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Full text of "Von Monet zu Picasso; Grundzüge einer Ästhetik und Entwicklung der modernen Malerei"

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Von Monet zu 
Picasso 




Max Raphael 





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RAPHAEL: VON MONET ZU PICASSO 




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I'hot. Kahmreiler, l'iiris i'oll. SIfiti 



Pablo Picasso Jüngling mit Pferd (Abb. 1) 



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VON MONET ZU PICASSO 

GRUNDZUGE EINER ÄSTHETIK 
UND ENTWICKLUNG DER MODERNEN MALEREI 

VON 

MAX RAPHAEL 




MIT so ABBILDUNGEN 



DELPHIN-VERLAG /MÜNCHEN 



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Dritte unveränderte Auflage 



Fine Arts 

MD 



Copjriglii 1919 hj Delpbin-VerUg (Dr. Richard Landauer) in Mfiaoliaa 
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INHALTS- VERZEICHNIS seit« 

I. TheoretischerTeil:Versuch.emer Grundlegung des Schöpferischen 7 
IL Praktischer Teil: Die Entwicklung der modernen Malerei 

1. Die Eroberung des neuen Lebensgefühles 51 

a. Der Impressionismus 5 a 

b. Van Gogh Ö7 

a. Auf dem Wege zur al^oluten Gestaltung 75 

a. Der Neo-Impressionismus 76 

b. Cözanne 79 

5. Die Nachfolger Cezannes 95 

a. Der Expressionismus 96 

Gauguin 104 

Matisse 106 

h. Pirassft 110 

Schluß 119 

Anmerkungen laa 

AnmT.miNGSi.vKnzF.ir.HNTs 

1. Pablo Picasso: Jüngling mit 16. Pa«/Gaw^z>i:D.Flötenspielerin 

Pferd (1905) 1 7. ii/ewi MaEfM.y«: Notre-Dame de 

ö. Claude Monet: Die Brücke von Paris 

Argenteuil (1874) 18. Henri Matisse: Cafö Maure 

5. Claude Monet: Venedig (1908) 19. Henri Matisse: Nature morte 

4. Auguste Renoir: Landschaft ao. Henri Matisse: Kopf 

5. Auguste Renoir: Landschaft ai. Pablo Picasso: Stilleben 

6. Auguste Rodin: Die Bürger von aa. PaZ^ZoPica^^rWeibUchesBUdnis 
Calais 35. Pablo Picasso: Zwei nackte 

7. y^u^^/e/{odi>t:LaMaindeDieu Frauen (1908) 

8. Vincent van Gogh: DieSchlucht »4. PaUo Picasso: Stilleben (1910) 

9. Vincent van Gogh: Zeichnung »5- PöWoP/c/w«):Studentui(i9io) 

10. Paul Signac: Avignon abends ^ö. Pablo Picasso: Mann mitKlari- 

1 1 . Georges Seurat: Le Chahut ^^^^ ^ ^ 9 1 0 

^ n 1 ryj Ol- i- 1 37. Pa^/oP*cajJo:DieVioline(i9i5) 

la. PaulCezanne: Schneeschmelze onnr»- tüt- ^^ v c 

a8. PöWojP«:<m«): Mannlicher Kopf 

1 5. Paul Cezanne: Das Haus C^- (Zeichnung) (1915) 

nes (Aquarell) , 2g. Nicolas Poussin: ApoUo und 

14. Paul Cdzanne: Estaque Daphne 

15. Paul Cezanne: Stilleben 50. Paul Cdzanne: Badende 



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VERSUCH ElNüR GRUNDLEGUNG DES SCHÖPFERISCHEN 



Faust: Wohin der Weg? 

Meph.: Kein Weg! Ins Unbetretene, 

Nicht zu Betretende; ein Weg ans Unerjjeten^ 
Nicht zu Erbittende. Bist du bereit? — 
Nicht Schlösser sind, nicht Riegel ^^[zuschiebea, 
Von Einsamkeiten wirst vunhergetrieben. 
Um dtt Begriff T(m Öd' und Einsamkeit? 

Ein glUheoder Dreifuß tut dir endlich kund. 
Du seist im tiefsten, allerti^ten Qrund. 
Bd seinem Schein iviist du die Matter sehn, 
, Die einen dtzen, andre stehn und gehn, 
Wie's eben kommt. Gestaltung, Umgestaltung 
Des ew*gen Sinnes ew'ge Unterhaltung 
Umschwellt von Bildern aller Kreatur. 

Berühr' ihn mit dem Schlüssel — 

Er schließt sich an, er folgt als treuer Knecht. 

Und hast du ihn einmal hierher gebracht, • 
So rufst du lieid und Heldin aus der Nacht, 
Der erste, der sich iener Tat erdreistet^ 
Sie ist getan, und du hast es geleistet. 

Wenn ihm der Schlüssel nur zum .Besten fvoinml^ 
Neugierig bin ich, oh er wiederkommt? 

(Goethe^ Faust IL Tal, x. Akt) 

* 

La fin est k ddectatkml (Poussin) 



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Unter allen Rätseln, die den menschlichen Geist um ihre Lösung an- 
gehen, nimmt das ewige und erregende Problem derKuTist eine be- 
sondere Stellung ein. Ist es doch nicht nur ein Sachprobiem, son- 
dern zugleich die Fran;e nach der Möglichkeit des Sachprohlems überhaupt, 
wenn anders die Stellung eines Problems über dio reine Gegebenheit schon 
hinausweist. So stehen wir, sobald wir uns um das Wesen der Kunst be- 
kümmern, vor der Sphinxir age des Schöpferischen. Vielleicht wäre man der 
Lösung des Rätsels schon naher gewesen, wenn man nicht immer gefragt 
hätte:„Was i&tKunst und wiewirktKunst?** sondern: „Wie wirdKunst, wei- 
ches ist der Sixm ihres Werdens?'* Indem man die Kunst mit außerkünst- 
' lerischen Dhi||;en wie Natur, SchKiiheity Abstraktion und Metaphysik ver^ 
quiekte und Torendlicfatey versperrte man sich jede Möglichkeit einer zu» 
reidiendCTi Erkenntnis. Der andere Weg aber, aus dem Werdm der Kunst 
ihren Sinn zu finden, zeigt uns sogläch die fundamentale Tatsache^ daß dem 
Menschen ein schttpferisdber TVieb eingeboren ist, der — in einer erstaun- 
lichen Br»te sich ergießend — aberall Mittel zu seiner Betätigung sudit. 
Der abstrakte Weg über den Begrlü^ der konkrete Weg über die plastische 
Form und der Weg über Architektur und Musik sind schlummernd in ihm 
wie der Weg der Tat und des Lebens selbst. 

Mit der Behauptung eines einheitlichen schöpferischen Triebes unter allen 
ÄuiBerungen, nicht nur des Geistes, sondern des Lebens überhaupt, stehen 
wir bereits auf einem der bisherigen Erkenntnistheorie entgegengesetzten 
Standpunkt. Die Frage, mit der und durch die Kant die Ästhetik geschaf- 
fen hat, lautete: „Was imterscheidpt die Richtung des Geistes, welche auf 
die Erzeugung von Kimstgebilden geht, von den anderen Richtungen des 
Geistes, welche Wissenschaft und Sittlichkeit hervorzubringen streben?" 
Von hier aus kam sie zu einer Differenzierung des Bewußtseins m drei ge- 
trermte^Vermögen, in verschiedene Gesetze und Stoffe dieser Vermögen. 
Das Resultat dieser systematischen Isolierung war, JaC man der Kunst die 
Möglichkeit jener Objektivierung nahm, die man der Wissenschaft glaubte 
zugestehen zu mfissoi. Alles gi]^dte in dem Satze Kants.: „Es ist k^ 
objektives Prinzip des Geschmackes mfi^cfa." Sein Bemühen, die Kunst 
dennoch aus der Willkfir des SubjektiTen und zugleich ak Problem der 



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IMMMMIIU 



Wissenschaft zu reiten, war eine ergebnislose Gigantenarbeit . Und seinVolk 
der Dichter und Denker schwört noch heute auf die positiTe Umsetzuiig 
seines Resultates: ,,Kun$t ist Geschmacksache." 

An der Unhaltbarkeit des Resultates offenbart sich die Verkehrtheit d^ 
Ausgaiif^^punktes. Vor dem Gedanken des einheitlichenschöpferi'^chen Trie- 
bes fallen alle Differenzierungen zusammen. Bei der Aulteiiung des Be- 
wußtseins in drei dpriorisi he, konstitutive Grundkräfte: Denken, ^^Dlleri, 
Fühlen — VVissenst halt, Tat, Kunst mußte man einerseits der Rplif;ion eine 
abgeleitete Stellung zuweisen und konnte andererseits nicht verbergen, daß 
die selbständigen Bewußtseinsarten ineinandergreifen und daß die eine, die 
die Kunst konstituierte, recht jungen Datums war. So sind Erweitermigen 
Didit ausgeschlossen und werden um so wahrscheinhcher, wenn man ein- 
sieht, daß die gesuchte Difieranz weder im Stoff noch in dem Vermifgen 
liegt, sondern im Ausdrucksgebiet und in den Materialien. Von daher be> 
stimmt sich das Vermögen nicht mehr als ein isoliertes, sondern ab eine 
spezifisch präpondeiiertö Kombination aller VermAgen. Und diese bedmgt 
den Stoff. Als Ausgangspunli^t ist er überall die Totalitfit der Wdt, nmr das 
Gebiet dw Realisierung ist yerschieden. In den Gesetzen aber differiert der 
Standpunkt am augenscheinhchsten. Denn es wird nicht mehr nach den 
Prinzipien der Erkenntnis und den Gesetzen gültigen Denkens gefragt, son- 
dern, nach d^ funktionalen Prinzq>ira des Erkenntnistriebes selbst, nach 
denen allein er ein Werk heryorbringen, seinen letzten ihm immanenten 
Sinn erfüllen kann. Schon der Gedanke, daß ein logisch richtiges Urteil 
oft belanglos ist, daß eine rechte Verbind im richtiger Urteile noch kein 
wert volles Werk sichert, sollte zeigen, daß untei diesen Ki kenntnisprinzipien 
und logischen Gesetzen eine I ätigkeit unseres Bewußtseins stattfindet, die 
umfassender ist und jene in sich birgt- Diese Tätigkeit ist die schöpteri'^rhe, 
die, nach ihren eigenen Gesetzen sich vollendend, jene geradezu bestimmt. 

Freilich laidct sich auch Inder bisherigen ü,i kenntnistheoric die Einsicht, 
daß in der Kunst eine Kraft wirke, die die Welten der Natur und Sittlich- 
keit eine; Aber es fehlt der klare Leitgedanke, daß es derselbe schdpfoiscfae 
Trieb ist, der alle Erscheinung!^ des Gastes und des Lebens gebiert. Diese 

« Einheit aber ist zugleich der Grund der Zusammengehörigkeit wie der tQI- 
ligenDiffereDzierthettdereBu»lnenEndieinung^ormen. Denngeradeipreil 

- sich die einsefaie Kunst aus dem Urstrom überhaupt loslllsen konnte^ ist sie 
in sich rein, d. h. unersetzbar durch ixgesubine andere. Dieses In-sich-fae- 
stimmt-sein dner jedenKunst, dasunsereKlassiker gefordert haben, kanndie 



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1 <i Versuch einer Grundlegung de* Schöpferischen 

H«»W«»W«»IIIIIW HHH mMm»IIIHH»IHMmM»l«M»W«»»HMMMMWIM»M« ■••MU>»nunmil»lll<»MmMHIU>MIMlMtl«UUtMiaill<«l 



Grenzen nicht überschreiten^ die aus der Einheit der Funktion des schöpfe- 
rischen Triebes kommen. Indem wir diesen selbst zum Gegenstand unserer 
Erkenntnis machen fmn zu zexp^en, daß er einer Objektivierung fähig ist, die 
jedeWilikür au'-si lilirijt l, werdt ti wir ihn in seiner Allgemeinheit darstellen 
und mit Bezug auf die Maierei spezialisieren, uhno ipdosmal die korrespon- 
dierende Form in den anderen Künsten imd VVissenschalten auizuzeigen. 
Diese Zusammengehörigkeit hat — um nur einen zu nennen — Leonardo 
betont, wenn er die Überschrift setzt. „Uer Maler gibt eine Abstufung der 
dem Auge gegenüber befindlichen Dinge, ebenso wie der Musiker eine 
Stufenleiter der Töne verleiht, die dem Ohr gej^enüberstehen" und dann 
schreibt: „Obglmcli die dem Auge gegenübertt^enden Dinge, wie ne aU» 
mShlich nacheinander folgen, in ununterbrochenem Zusammenhang eins 
das andere berOhren, so werde ich nichtsdestoweniger meine Regel (der 
Abstände) von ao zu ao Ellen machen, ebenso wie der Musiker zwisdien 
den Tttnen, obwohl diese eigentlich alle in eins aneinanderhSngen, einige 
w enige Abstufungen Ton Ton zu Ton angebradit hat, dieselben Prime^ 
Sekunde, Terz, Quart und Quint benennend und so von Stufe zu Stufe BSat 
dieMannig£Edtigkeit des Aufsteigensund Niedersinkens der Stimme Namen 

einsetzte. Und würdest du sagen, die Musik ^i aus Verhältnismäßige 

keit zusammengefügt, so bin ich mit ganz ebensolcher Verhältnismäfiig- i 
kcit der Malerei nachgegangen, wie du sehen wirst." ' 

Dieser einheitliche und schöpfen sehe Trieb ist in sich ursprünglich und 
rein. Wenn er sich der Objekte bedient, um sich zu realisieren, so ist er 
darum nicht Nachahmung, überiiaupt keine Reaktion j er liegt also völlig 
vor jeder Abstraktion und Einfühlung. Daß er Ausdruck eines Subjektes 
ist und sich an Subjekte wendet, bestimmt ihn nicht aks P^unktionslust und 
Mitteilungsbedürfnis. Sein Maienai erniedrigt ihn nicht zum Handwerk, 
und wenn er praktischen Zwecken sich einfügt, so geht er nicht in ihnen 
ani Ihn so definieren, heißl^ ihn an seinen Mitteln verendlichen, während 
er sie doch nur als seine Inhalte überwindet Und man kann sagen, daß 
er um so stärker ist, je größer die Hindernisse waren, die er sich von die* 
ser Seite stdlte. In seiner Tätigkdt Udbt er reine, und ursprüngliche 
Funktion und als solche unendlich und zielsetzend. 

SttneÜnendlichkeit zeigt sich zunfichstinseiiigrUrBpirungskmgkeit. Mag 
(tie Berufung plötzlich oder allmählich zum Bewußtsein kommen, sie bleibt • 
unerklärbar. Und da sie sich nicht erzwinge ja die B^abung nicht ein* 
mal durch rehie Erkenntnis fördern läßt, so müssen wir annehmen, daß der 

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Verwidi wagr Gnmdleying de« Sch^ 



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Künstler mit der Fähigkeit zum Schaffen wie der Mensch mit der zum 
G«hen gehoreo ist Wie Goethe beliauptet, daß der Dichter sein Wdthild 
schon mit ins Leben bringe. Dieselbe Unpnmgslosigkeit.finden wir dann 
auch in der einzehien Konzeption. Matisse sagte mir einmal, daß er Wo- 
chen und Monate durch diesdben Dinge gehe, bis sie ihn pUltzIicfa zum 
Schaffendlingen. Und dann mit einer unabweislichen Energie. Kfinstler 
berichten, daß der Rhythmus eher da war als dar Text, ein Liniengewiir 
▼or der Figur. Dem entspricht die Energie des Berufenseins. Der Künst- 
ler fühlt es, ehe er weiß, zu welcher Kunst er h wenden wird (und die 
Möglichkeit dieses Zweifels beweist die Einheit der Funktion hinter den 
Spaltungen in Künste). 

Der Tätigkeitsdrang selbst ist ununterbrochen. Was von Mart^es und 
C^zanne berichtet wird, daß sie nie und nirgends ihr Auge und Gehirn 
ruhen ließen, darf ganz allgemein gelten, in dieser ewigen Tätigkeit nun 
scheint der gleiche Gehalt immer wiederzukehren. Wenigstens hat Poussin 
versucht, die seelischen Tatsachen, die ihn beschäftigten, nach den damals 
bekannten Modi der griechischen Musik aufzuteilen. Sein Biograph F^li- 
bien schreibt darüber: „Que le mode des anciens ^tant uiie composition de 
plusieurs choses, il arrive que de la vanet^ et diff^rence qui se rencontrent 
dans Tassemblage de ces dioses, il en nait autant de difförents modes et 
que chacnn ainsi co m p o s d de diverses parties mises msonUe vwec propor- 
tion» ü en procMe une secr^e pnissance d'exdter TAme k diffdrentes pas- 
sionSi Que de lea andens attribubrent k chacun de oes modes üne 
propri^d. particnli^ selon qu'Us reconnurent la natiire des efifets quMis 
dtaient capahles de causer: conune au mode quHs nommikent Dorien des 
sentiments graves et sdrieux; au Phiygien des passions y^hdmenfiBS; au Ly- 
dien ce qu'U y a de doux, de plaisant et d'agr^Ue^ k Ilonique ce qui con- 
vient auz Bacchanales, aux f^es, aux danses. Que comme^ k rimitatioades 
Peintres, des Po^es, des Musiciens de FAntiquit^ il se conduit sur cette 
id^e: c'est aussi ce qu'on doit ohserver dans ses ouvrages, oü selon les dif- 
f^rents sujets, qu'il tratte, il tdche non seulement de repr^senter sur ses 
vipages de ses figures de? pnpsions diif^rentes et conformes k leur action, 
mais encore d'exciter et laire naiti e ces m#m^ passions dans l'^imedeceux 
qui voient ?es tableaux." Bei der Klarheit dieser Autteilung sieht man 
leicht, daß es immer dieselben Gehaltsarten waren, die in den verschiedenen 
Perioden seines Schaffens in gleichen oder völlig anderen Erscheinungsfor- 
men und Stoffen wiederkehren. Allein die Tatsache dieser Wiederkehr gibt 



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Vernich einer Grundlegiuig det Schöpferitchen 



dem ficfaöpferiichen Trieb eine umere Unendlichkeit seines Tvau, wenn 
wir auch das Perioden-Gesetz dieser Wiederkehr nicht kennen. 

Noch' mehr als An&ng mid Verlauf ist der Abschluß im UnendUdien} 
Kunst und Abschluß bedeutet eiueo Widerepruch in «ich seUssL Die Fra^ ; 
Warnt und aus welchen Kennzeichen wissen Sie^ daß Ihr Bild fiertig ist? 
wird von dem wirklich gestaltenden Maler mit einem inmisrhen Lachen 
beantwortet. Es ist ein immer wieder Von-neuem-anfangen. Wäre Kunst 
Natumachahmung, Ichmitteilungoder irgendeine Art Stilisierung, bewußte 
Umbildung, so müßte sie ein Ende haben. So aber hinterläßt noch die 
größte Totalisierung die Empfindung, daß man nur ein Bruchstürk heraus- 
gebildet habe. Bekannt ist der Ausspruch ein^ japanischen .Mulei-s, daß 
er neunzigjährig 7.u ahnen hep;irine, was man gestalten könne, und die Dar- 
stellung diej>es Satzes in i lofi nmnsthals^Tod des Tizian Am einsichtigsten 
aber wird die Unendlichkeit des schöpferischen Triebe aus seiner Ziel- 
setzung. Die relative Verendlichung dieses in sich unendlichen Willens be- 
steht in der Herstellung eines Organi^-mus, der alle Lebensbedingungen in 
sich selbst trägt, seinen eigenen Raum, seine eigene Zeit, seine eigeneKaüsali- 
tät hat. SeinWesen ist wiedaseinesjeden Organismus unendliche Beziehung. 
Dieses 7mI^ das uns den Sinn der Kunst darstellt, liegt völlig jenseits jeder 
realen Welt In einer gesollten und als gesollt erst zu erschaffenden Weltv 

Nach dieser Erkenntnis kann es uns gleichgültig sein, ob in jeder wnlie* 
g^den Malerei diese Forderungen verwirklicht'sind. Denn nicht {ede 
Malerei ist Kunst und nicht (ede KunstabsoluteGestaltung. So wird ach ta» 

einStufenbau der Betätigung des schöpferischen Triebes ergeben, der zu die- 
ser absoluten Gestaltung hinführt. Andererseits aber muß der schöpferische 
Tnebydenwir als einen ursprünglich en erkannthaben,so tief imiVIensc blichen 
verwurzelt sein, daß wir seinen Widerschein in jeder individuellen Stellung- 
nahme zur Welt erkennen können. Hier kommt uns die Erkenntnistheorie 
mit der Lehre zu Hilfe, daß uns die Welt nicht an sich, sondern nur be- 
dingt durch unsere Vermögen gcgobeu sei, po daß alles, was wir wahr- 
nehmen und erkennen, bereits eine ErscliatTnng darstellt. Psychologische 
Untersuchungen haben ganz konstante Reihen der Stellungnahme des Sub- 
jekts zum Objekt ergeben, und Baerwald hat folgende Typen gebildet : 

I. Den beschreibenden Typ, luid zwar a) den passiven, b) den vorsichtigen^ 

II. den selbsttätigen Typ. Charakteristik : Neigung, den Zusammenhang des 
Ganzen zu beobachten, Vergleichungen vorzunehmen, über nicht gleich 



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Venuch einer Grundlegung dea SdiSpferiachen 1 5 

•M»ntM»inn«niiittM«tM>MMtM<nniiitw«»i«tH«<i(it>ri«tit«ti>i<f»iM>wi>»iMti><«N>tHM>nftti<iiMi>nfiriitnitiiiiiritiMa>nMiiaiiii<M<>aMntt<^ 



Yrrständlichp? Koiiiekturen aulzuBtelle n, Kritik zu üben, endlich die Be- 
ziehung zur eigenen Person stark zu betonen; TTI. den harinonischea Typ 
als Synthese des selbsttätigen und vorsichtigen Typus. 

Diese Typik läßt sich zwanglos als ein Wertung enthaltender Suilenbdu 
interpretieren, undals einen sokheu können wirdieResultateder expenrnen- 
tellenPfeyciiülogienacheimgenVariationenauiderineinerganzdnderenEbene 
UegendenÄulkrungdes schöpferischen Triebes wiederfinden. DieKluft zwi- 
sdiea dSfimrundder «iiifiKhfliiStelhiiigii^hme^^^ fiidmnsjqpBUrauBfiUleii.' 

Der sdilfpferische Trieb begmnt «eine Tätigkeit mit der konstatiereDden 
Bildung einer XatMche. Es ist dies die unterste Stufe oder der Naturalis- 
mus jdei! Gestaltung. Doch wollen wir keinen Zwdfel darüber entgehen 
lassenydaO'wir nichtvon Naghahniungsprechen. Jedelmitationstlieorieleidet 
an e^kenptniskritischen Unmöglichkeiten. Denn die Weh ist nie gegeben, 
^ondenf durdli und für die speziellen Mittel der Kunst (oder Wissenschaft) 
inuufir erst zu entdecken. Als Forderung ist die Nachahmungstheorie sinn- 
los, weil sie nur die neg^tiye Bestimmung der Verdopplung gibt, dasschöp» 
ferische Problem also nur vom Künstler zurückschiebt und damit unweiger- 
HchinsMetaphysischeoder Theologische. Auch die erste StufederGestaltung 
ist Erzeugung. Diese aber bestimmt sich als e'me aus einer Relation zwi- 
schen Subjekt und Objekt entspringende EmpiindLin^. Als Subjekt lungleii, 
die Persönlichkeit, das Ego-Individuum mit einem l borwiegen passiv sich 
hingel)enderPerzeptionsorgane,alsObjekteinezufälljgeEi sei l einung. Dabei 
macht es keinen wesenilichen Unterschied aus, ob in der Konstituierung 
dieser Empfindung das Objekt in der physischen oder psychischen Welt liegt. 
Man muß sich darüber klar sein, daß das psychische Erlebnis eine eben- 
solche Realität bedeutet wie die Welt der Objekte und daß es als solche 
ehensowenig wie die Welt des Süßeren Seins konstituietendes Prinzip des 
Utostleriscfaen Schaffens sein kann, sondern daß seine reine Wiedergabe 
ebeDsosdurGestaltungs-NtturaiismusistwiediederHußerenWelt. Für jeden 
Kilnstlersol]tedieseSdieidungTtdhgbelangk)ssdnydenn:,,NiGhtsin 
nichts ist draußen, was nicht innen, ist nidit außen.'* Wichtiger ist, daß 
auch auf dieser Stufe der Gestaltung die Empfindung nicht in sich sdbst 
beschränkt und beschlossen bleiht,'sondemeineVerknüpfiing^t einer Art 
Totalitätfindet, die wir wegen ihrer materiaUenBeschafiiräheitdie kosmische 
nennen können, und als solche ist sie entweder Stimmungshaft oder atmo- 
sphärisch. Es ist nun das Hauptcharakteristikum dieser Gestaltungsstufe, 
daß der schöpferische Trieb .bei dieser durch jErkennen erzeugten Tatsache 



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Venuoh einer GnmcQegiuig det Sdiöpferisohen 



beharrt, sich nicht von ihr befreien kann. Er bleibt aus Mangel an Ge- 
halt im Materialen des Stoffes, seine Tätigkeit ist eine Versc:hari ung der 
Wahrnehmung und Vcrleinerung der Analyse des zu beschreibenden 
Objektes. Mag mit der Bereicherung auch eine Vereinfachung Hand lu 
Hand gehen, die Beziehung von Einheit und Mannigfaltigkeit kommt 
über einen Objektzusammenhang nkht hinaus. 

Es wird eine Untencheidting ntttig wem zwischen dieser Kunst^ die aus 
mmem Minimum auGehak nicht zur Gestaltung kommt, und einer anderen, 
die aus einem Maximum an Gehalt die Gestalttmg nicht mehr erreichen 
kann. FCkr diese hat Hegel in seiner Definition der romantischen Kunst 
eine zureichende Erklärung gegeben: die romantische Kunst bedeute ein 
Hinausgehen der Kunst über sich selbst in Form der Kunst selbst, eine 
Auflteung der ästhetischen Form zugunsten eines absoluten Inhalts, dessen 
Darstdhmg die Grenzen der ästhetischen Ausdrucksmittel Oberschreiten. 
Aus zweiganzverschiedenen Gründen und bei völliger Differenz des Gehaltes 
ist beiden gemeinsam, daß sie im Materialen des Stoffes bleiben. 

Drohte auf dieser ersten deskriptiven Stufe der Gestaltung; die Aktion des 
schöpferischen Triebes zu einer Fieaktion zu werden, so ist auf der zweiten 
Stufe der Gestaltung im Cj egenteil aller Nachdruck auf das Subjekt gelegt, 
und an dieStelle der glatten Nachahmune; tritt dasdespenst des Formalis- 
mus. Die Erzeugung LcrLiht auf der Teilnahme der verknüpteiiden, kiären- 
den,kombinierenden Fähigkeiten, auf demZusammenhängcsiu henden Sub- 
jekt. Das gesuchte Objekt aber soll hinauBgehoben sein über den Wirr- 
warr der Einzelerscheinungen^ über das zufällige Verlorensein des Dinges in 
Zeit und Raum. Man sucht das Stabile, das' Wesen, das Allgemeine. Ob 
man nun das statisch Allgem^ne sucht — das Wesen das Seins — oder das 
dynamisch A llgemeine — das Wesen des Ablaulas — inmier taucht dieFrage 
auf: Woher btttimmt sich denn dieses Wesen? Der schöpferische Proxe^ 
der sich in einer Umbildung der Gegebenheit auf ein gedachtes, gescheutes 
Wesentliches betfitigt, mag durch Eliminierung und Fortlassen oder durch 
Konzentrierung undSammlung zu sdnemZiel gelangen wolkn, immermuß 
ein Prinzip^ nach dem bewußt Terilndert wird, stillschweigend angenommen 
sein. Sofern dieses nun nicht in der absoluten Gestaltung liegt, muß es von 
außen her herangeholt werden, und die Wahl und Scheidung zwischen We- 
sentlichem imd Unwesentlichem der Willkür des Subjekts, einem metaphy- 
sischen Bedürfnis oder einem naturteleologischen Zweck anheimgegeben 
werden. Damit aber hat sich der schöpferische Trieb seiner £igenrechte 



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Vanuch einer Grundlegung de« Schöpferischen 



entäußert Erinnem wir uns datan, daß auch DOier, der wohl am hart- 
nadagsten die eine Schttnheit de» Menschen gesucht hat, schließlich zu 
dem Ergehms kam, daß räe solche nicht zu finden wäre. Es war bedingt 

durch den verkehrten Au^angspunkt, der die absolute Gestaltung in den 
absoluten Begriff des Dinges verlegte, die Form in die Norm. Diese letztere 
tolt mit dem abstrakten Begriff das Schicksal, daß sie die Unendlichkeit^ 
die sie zu fixieren, zu verendlichen glaubt, in ihrer unendUchen Lebendig- 
keit tötet, so daß jeder /Aisammcnhang, den «;ie norh geben kann, kBin 
organischer, sondern nur em konstruktiver sein kann. 

Ein bedeutsamer Vorzug dieser Gestaltungsstufe ist die Tendenz zum 
Wissen um die Dmge, wenn das Wis'^en hier auch noch auf den Abweg 
führt, im Theoretischen als Selbstzweck verendlicht zu werden, wälirend 
es doch nur dienende Stellung haben kann. Je mehr sich aber der schöp- 
ferische Trieb von der hai^ten Nähe der ükjcktc entierut, um so mehr 
rerfUllt er allen nur vom Subjekt getragenen Ausdrucksformen und da- 
mit oft dem Fluch, keinen Weg mehr zur Realisierung zu finden. Aber 
auch da^ wo snbjektiinstsche Willkür durch die Objekte beschiänkt wird, 
gibt es auf dieser Stufe der Gestaltung nur den einen Zusammenhang 
durch die Subjektakte, und je freier man mit dem Stoff waltet^ um so 
mehr bleibt man an der Fünktionslust des Subjekts haften. 

Wir kttnnten leicht unsere Ausführungen über diese beiden Gestaltungs- 
stufen nach ihrem Inhalt und ihrem Resultat verroUständigen, da wir gku- 
ben^ daß hier eine durchgehende typische Korrelation vonGehah und Ge- 
staltung^grad vorliegt. Aber wir müssen uns damit begnügen, dieselbe fiEkr 
die dritte Stufe, für die absolute Gestaltung auszuführen. Nach der Inter- 
pretation der Psychologie sollte diese dritte Stufe eine Harmonie der beiden 
ersten darstellen. Wie aber soll diese zustande kommen können, da auf jeder 
Stufe zum Subjekt ein notwendig mit ihm verbundenes Objekt o;ehörte? 
Der Umkreis des Sems ist mit der Setzung eines transzendenten Seins völiig 
erschöpft, zu emer größeren Steigerung ist weder das reale Subjekt noch 
das Objekt fähig. Alles Sein aber ist kausal an sich gebunden: die Welt 
der Objekte an den Zusammenhang des gesamten physischen Daseins, das 
psychische Erlebnis an den Erlebenden; das Wesen, das Cjesetzan Gott oder 
den Einzelfall, da es ja eine Umformung darstellt. Die Welt der Kunst aber 
ist unserer Voraussetzung nach dadurch charakterisiert, daß alle Bedingun- 
gen und alle Möglichkeiten ihrer Existenz in ihr selbst hegen, die Verbin' 
dung zur Realität unterbrochen ist Solange eine Äußerung an jenen Zu- 



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Vernich einer Gruadl^gunc des Schöpfentohen 



sammenliaug gebunden bleibt, ihn zum Zweck hat, ist sie in ihrer Reinheit 
bedroht und prinzipiell durch eine ander^eartete ersetzbar. Daher das 
ewige Schwanken zwisclien dem Natuialinnus und der Photographie und 
dem Eilehnis^ zwischen dem Ideelismus und der Mystik und Philoeophie, 
swiflchen dem Artktentum und demDandy. DiefieEnetEbarkeit aber wider- 
qnriicht derFoiderung derUrsprüngliehkeit undReinhelt des schöpferischen 
Triebes. So wird die ganze Welt des Seam, die Realität des Obfekts^ des 
&]b)dct$ und des Materiak zu eonem Stoff, 'von dem sich der schfljpferisdi e 
Trieb mittels Durchdringung zu befreien hat. Er muß aus des Welt des 
Seins fortgerückt werden in die de« Sollen^ der Gültigkeit. Erst wenn der 
Nachdruck ganz ins Subjekt gelegt wird, wenn der schöpferische Trieb sich 
nicht mehr als Wiedergabe und Ordnung der Realität, sondern als gesetz- 
mäßiges Setzen seiner ihm immanenten Funktionen erkennt; wenn die 
Realität initZeit, Ranm nndKausalitätnichtmchralsEmpfindungerlehtimd 
als Kategorie gelordert wird, sondern als eine neue, in sich besrhlossene Weit 
aus den Grünrien der Gesetze des Werdens der Objekte gestaltet w'wS; wenn 
das Erlebnis nicht mehr eine Vereinzelung oder ein Allgenieines ist, solidem 
eine Totalität, von der Basis des Psychologischen fortgerückt wird in eine 
ganz andere Ebene, in der es seinen letzten Sinn und seine logischen Aus- 
drucksfoirnen iindet, däiin ei st hat der schöpferische Trieb seine letzte und 
höchste Gestaltungsstufe: die absolute Gestaltung erreicht, die aber nach der 
Yeranlagiung des Menschen immer nur ein unsoidliches Ziel Uelben kann. 

Mit diesem Stufenbau des reinen Schaffenstriebes glaube ich keineswegs 
aDe Eisdiemungen des schttpferischen Triebes überhaupt er&Bt zu haben* 
Es kommt die große Zahl der unreinen Äußerungen hinzu. Sie alle sind 
charakterisieit durch eine Ühennißige Betonung einer der im Spiel stehen* 
den Krilfte und haben als Resultat eine Tdllige Ablenkung Ton der Fcvm- 
bildung überhaupt. Hierher gehört zunächst der Symbolismus und jede 
andere Art literarischer Vergeistigimg, die glaubt, daß ein Werk der bil- 
denden Kunst anders als durch seine eigene und reine Formbildung Inhalte 
an G edanken und Gefühlen übermitteln kann. Aber nicht nur die Reinheit 
der Mittel wird umgangen, sondern die "Vergeistigung, die doch nur eine 
schnell f^reifbare Endlichkeit bedeuten kann, zcif^ eben dnrnm, daß eine 
Gestaltung überhaupt nicht vorlie^^t^ von Kunst nicht gesprochen werden 
kann. Hierher gehört ferner der Fot inalismus, der. Hie Identität von Form 
und Gehalt leugnend, von einer Apn(niiät der Form ausgeht und so rettungs- 
los in eine leere Willkür veriällL Die bestehende Form, die einen Inhalt 



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Vomicb «incr GniiidlH;niig des Sdritpfirisdien J^y 

einzwängen soll, ist ein lebloses Schema, das allein schon wegen seiner 
Existenz vor und ohne diesen Inhalt nichts mit der Form der Kunst zu tun 
hat, die Gestaltungsergebnis ist. „Ein methodisches Prinzip, dessen Charakter 
nicht d urch die Eigenart dps Objektes bestimmt wird, ist eben unfruchtbar, 
weil es willkOrlich ist." Hierher gehören femer alle Arten akademischer 
Kunst: dbSciifllerkopisten,dleKla88iziiteii,di»Syiikretktien^ dasnurPekora- 
thre undMonumentale; dieStUisierungy dieKarikatur imddielmproTiBatioiL ' 

Der rein schftplerischeTrieb ergab uns drriÄußerungsformen, von denen 
jede mit dem Anspruch auftrat^ Kunst su sein. Die erste war das Ergebnis 
einer Relation zwischen Subjekt und Objekt, in der beide sich aneinander 
bildeten, und die Beschreibung dieser entstdimden Empfindung war Kunst 
Auf der zweiten Stufe suchte ein Subjekt ein Wesentliches, für das es kerne 
reale Bestimmung hatte und das selbst, wenn es sein Wahl- und Wertungs- 
recht legitimieren wollte, über sich hinaus ins Tganszendente greifen mußte. 
Zwuchen diesen beiden Stufen vmd der dritten war für uns eine Kluft, die 
allgemein durch den Unterschied von Talent und Genie, spezieller durch 
den von Redner und Bildner zu umschreiben ist. Dort ist alles Ich-Rhyth- 
mus und trotz der Priorität dt s Objektes Passivität des Gehaltes. Hier da- 
gegen Sachauf lösung und Aktivität. Wollten wir uns die Differotiz gniphisch 
verdeutlichen, so könnten wir die beiden erstenStufen nur zweidimensional 
als Scheibe, die dritte aber nur dreidimensional als Kugel darstellen. Wir 
sahen, daß hier — nicht mehr ein zuialiiges Subjekt, sondern — die Funk- 
tionen des Bewußtseins ausstrahlen und daß ihnen Strahlungen — nicht 
mehr eines unbestimmten und seienden Objektes, sondern — der Gesetze des 
Werdoo» dmrObjekte entgegenkommen. AnihremSchnittpunktmtstehtdie' 
Kugel einer neuen Welt, die in sich einen völligen Zusammenhang hat 
Das^ was ich den schöpferischen Trieb nenne, ist also deutlich nurBewe« 
gung, nur Funktion. Unsere Aufgabe ist uns damit klar vorgeschrieben: 
Wir werden uns zunächst über die Funktional des Bewußtsräs, dann über 
die Gesetze des Werdens der Objekte Aufklärung verschaffen, um schließ" 
lieh die Hauptfrage zu stelle, welchen Gesetzen die Gegenein anderbewe- 
gungbeidergehorchtyumjmeneueWeltenkugelderKunsthervorzubnng^ 

Das Bewußtsein oder das stellungnehmende Subjekt beruht auf einer un- 
unterbrochenen und unendlichen Aktivität, auf einer kontiriuierlichen 
Bewegun^T und damit auf einer Priot itiit des Willens. Dieser hat in seinem 
Verlauf die Tendenz zum Antithetischen. „Wir können auf keine andere 
Picasso • 



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i8 



y«nndi dner Grundlegung des Schöpferiidieii 



W e>enheitdesSubjekleshinwei^en als eben aufdiese innere Beziehungseiner 
Akte zu ihren Gegensätzen. Alles Wollen ist ein Zurückweisen des Nicht- 
wijUens, das Bejahen wäre sinnlos, wenn es kein Verneinen gäbe, und das 
Verneinen will das Bejahen ausschließen, kurz, der Willensfaklor im Erleb- 
nis ist jener Anteil, der den Gegensatz notwendig verlangt und gerade in 
seinerEntschddung zwischen G^nsätzenliegtderSinnderSub]^^ 
tiing.^ In dieser Entscheidung zeigt sich £e dritte Eigenschaft des Be- 
wußtseins, sem WUle, sich zu realisieran. Es Iconunt mit der Setzung der 
RealitKt nichts prindpiellNeues oder garVerschiedenes hinzu^ weil die reine 
BewußtseinsbewegungalsFunldionTölligimLeerenUeibenwfidle^jawe^ 
entstehen noch bestehen könnte, ohne daß sie ein Objekt setzte. Die Rea- 
lität des Künstler^ auf die dieBewußtseinsfundamente seinesschöpferischen 
Triebes hinweisen, läßt sich etwas nfiher bestimmen. Bei der Mehrzahl der 
Menschen ist das, was sie (von außen oder von innen her) wahrnehmen, 
ein Etwas, das aus Erinnerungen, Gefühlen und Zwecken so zusammenge- 
setzt ist, daß es immer „dem Gegenstand einer nicht vorhandenen Empfin- 
dung gleicht". Unrein und gefälscht, ist es auch unselbständig, ein unori- 
ginelles Gemisch suggerierter Gefühle, Meinungen, Konventionen. Der 
Künstler dagegen Ix rnärhtigt sich der (inneren und Mußeren) Realität in 
ihren ui-sprünglii b empinKibaren Gröüeii und F'orinen, in rle.i ursprüng- 
lichen Unmittelbarkeit des zeitlichen Verlaufes. Der Umstand, d iß ihm die 
Realität als solche lebendig ist, bedeutet eine weit größere Zahl von Reizen, 
aui die er eigen und neu reagiert, damit einen größeren und persönlicheren 
Besitz an Erfahnmg undWelt. „Toute ma valeur, c'est que je suis un homme 
pour qui le monde visible existe" (Th. Gautier). Aber auch das, was der 
Kflnstler sieht, differiert von den optischen Inhalten des Laien. Nicht 
mehr an das einzelne tmd isolierte Ding und den Teil gehdEket, sieht er 
überall Zusammenhänge, Verhältnisse, Ptoportionen. Und diese Gesamt- 
heit bedeutet ihm einen in sich lehmdigen Raum, in dem Formen sich 
in allen Dimensionen bewegien und auf ihre Werte als Raumtriger und 
Raumbeieber, Raumerzeuger geht vor allem das Sehen des Malers. 

Wir sprachen von dem Moment ab, wo wir den Realisierungswillen des 
stellungnehmenden Subjektes bdbandelten, so, als handle es sich um die 
Wahrnehmung einer uns gegenüber existierenden Welt. Darin spricht sich 
die Kluft aus, die zwischen dem stellungnehmenden Subjekt besteht, in dem 
Subjekt und Objekt noch ^ns sind, imd dem betrachtenden Subjekt, in dem 
ein Dualismus zwischen beiden hergestellt ist Auf der Basis dieses neuen 



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Versuch einer Grundlegung de« 

^ nicht mehr strebenden, wollenden^ sondern beobachtenden, nicht mehr 
Bteliongnehmendeii, sondern psychologischen * Subjektes wird aus der un* 
endlichen Aktivität des Willens die Forderung derTotalltSt der SeelenkrSfte. 
Da diese Totalität nicht die Addition einander äußerer Elemente ist, sondern 
dankdesgemeittsamenUrsprungsimstellungnehmendenSubjekteineinner- 
lieh züsammengehöreade £iaheit von Kräften, so ist mit der Forderung der 
Totalität zugleich die Forderung der Harmonie dieser Kräfte ausgttprochea. 

Um diese Forderimg zu erfüllen, muß sich das psychologisch betrach- 
tende Subjekt über seine individuellen Inlialte hi!Mu> erweitern, ein soziales 
und religiöses Ich mit seinem individuellen U h ia Rmklang setzen. Man hat 
das so/ialelch als Einschränkung gemein [, indem m;m es produktiv machte. 
Wir sind heute von den euist so glorreichen Tainesciien riicorien gelang- 
weilt, die sich in einer auffallenden Geistesabwesenheit darin gefielen, nur 
beeinflussende Momente des Milieus zu verabsolutieren. Selbst eineZeit wie 
das Mittelalter, die wie keine andere ihre Küu^ilei uiii Vorschriften, Kon- 
Tentionen, bizarren Stoffen und Anordnungsplänen belastete, war sich über 
die gegenseitigen Machtgrenzen klar. „Nur ^ Kunst gehtfrtdenKCUistlem, 
die Anordnung gehört den Kirchenvätern!^ lautete der dasMitteUlter hin« * 
durch gültige Spruch des Konzils von Nicaea. Für die rechten Künstler 
haben aUe Hindernisse^ Fesseln und Einengungen, die aus dem Uterarischen 
Inhalt der Legenden^ aus der Torgeschrlebenen Persouenzahl, aus d«r un- 
umstößlich festen Art ihrer Embleme uOd sogar ihrer Kleidung, aus einer 
sehr großen Zahl unumgänglicher Gegebenheiten kamen, einen Stachel des^ 
schöpferischen Triebes bedeutet, der mit der Zahl der Schwierigkeiten pro- 
portional zu wachsen schien. Und die anderen haben damals (wie auch 
in den glorreichen Zeiten des Perikles) gerfhgwertige Kunst gemacht. 

Das Soziale hat aber auch eine das Ich erweiternde Bedeutung, indem es 
dem schöpferischen Trieb einen breiteren, o^e wichtigeren, allgemeineren 
Stoff gibt. Das Individuum i'=t eine nur einmalige und in sich beschlossene 
Existenz, und nach seinem \Ve^en formen sich die Gesetze seines Ablaufes. 
Aber sobald das p^yrh'^cho Subjekt die Totalität seiner ICratte erstrebt, wird 
e» über das Individuum iiiiidusgewiesen auf den anderen, aufdie Masse der 
anderen, deren Gesetze Bedürfnisse und Geschichte ganz anderer Art sind 
als die des Individuums oder die einer möglichst großen Zahl von Indivi- 
duen. Der Künstler aber ist eine besonders starke Individualität durch die 
ToCalitit und Harmonie seiner eigenen psychischen Kräfte, die er er- 
streben muß^ und damit ein geborener Feii^ des Sodalen, das NiTdlierung 



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.00 ▼«nrnsh «ilwr OrwidUegunf d«i SebSpferiMdi«» 

mMHnwnnnmnt«MtnM«<>>ii>iinimm«iinfamnmt*m>mtimiiiittf««tit<«iM«NnMMiMfn«n«tm«wrniMUMiain«f>MU>nnt«iMNMl 



oder VoFäul3erlichung bedeutet. Aber er kann die Totalität nicht voll* 
enden, ohne daß er das Soziale auf sich nimmt, es mit sich in Einklang 
bringt.^ So ist es die Grundkraft seines Seins, die ihn zugleich in sich 
hinein und aus sich heraus treibt. Diesen durchaus tragischen Konflikt 
des schöpferischen Mensrhen hat iinn die Weltgeschichte in ergreifenden 
Beispielen dargestellt, um nur an den heiligen Franz und seinen Orden 
711 erinnern. Die Spannung darf nicht aufjs^ehoben werden weder durch 
völlige Individualisierung, noch durch vöüige Sozialisierung. Das Resul- 
tat würde in beiden Fällen eine armselige Banalität sein. Die Lösung 
liegt in dem Ausgleich 'der individuellen und sozialen Gegebenheiten, in 
dem Erlebnis der Menschheit, in dem Jubel: diesen Kuü der ganzen Welt! 

Die Tendenz zur Totalität seiner Kräfte treibt den Künstler auch über 
sich hinaus zu Gott, vom endlichen Indi^mun zum Unendlichen. Und 
ivriedor ist der Kflnstler ein Individuum^ das die Endlichkeit besonders emp- 
finden muß. Er, der die Welt als eine Eukflnitige Ordnung ansteht, Ter* 
. liert im Schaffen dieser Ordnung zuviel von der Materialität der Dinge und 
yon den Dingen selbst. „Toutes lel belies choses^ne sont-elles pas fidtes de 
' renoncement?'' (Degas) Und smne Liebe, dio tiefer ist als sein HaB, s«n 
Bedürfnis nach Notwendigk^t, das nodi großer ist als seine liebe^ flieht 
daher zu Gott als dem gebärenden Urschoß, aus dem alle Dinge kommen, 
in dem sie alle einig ruhten. Und dann : kommt nicht sein eigenes Werk in 
seiner ganzen Rätselhaitigkeit irgendwie aus Gott? Und seine Existenz, 
wie wäre sie auch nur möglich ohne jenen unerschütterlichen Fatalismus? 

Und doch differieren die Lösungen, durch die der religiöse und der künst- 
lerische Mensch jene Spannung; anfheht. Der religiöse setztGott alsUrsache, 
alsVater^ als solcher ist er ihm trane/endentes Sein, aber immerhin Sein 
und damit einmal erreichbar. Der K üiistler aber faßt die Welt als eine zu- 
künftige Ordnung, Gott als das Elrgebnib, den Sohn. Diese Ordnung hegt 
durchaus auf der diesseitigen Ebene, setzt sich, wenn auch nicht aus realen, 
so doch nicht aus überirdischen Kräften zusammen und hat ein in der dies- 
seitigen Welt liegendes Werk zum Ziel. Freilich ist dieses Ziel durchaus 
Notbehelf für die ini Prinzip nicht aufzuhebende Unendlichkeit des schöpfe- 
rischen Triebes. Die Kluft zwischen diesen beiden Ldsungen ist unüber- 
brückbar. Man kann sagen: HStte Gott die Welt geschaffen, so wäre der 
Künstler nicht nötig, um sie zu ordnen. Könnte der Künstler sie jemals in 
ihrer vollen Unendlichkeit ordnen, so bedürfte es nicht eines Gmtes als 
Sch<fpfers.iWoy wie bei Michelangelo, ^neVerlnndung dennoch gesudit 



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^ Yewttcb ^eiBy GriJ^^ ^ ^ftlf 

wird, geschieht es üid Grund einer Skepsis an der absoluten Gestaltung deS 
schöplerischen Triebes und endet notwendig im Religiösen. Indem sicii der 
Künstler an denreligiösen GottalsdenSchdpferderWelt hingibt, entäußert er 
sichsexnefiRechiBSyWieGottzüsein. AkreligifieerMenschwirderunfruchtiMur. 
. Die Tldlige Antiiioiiiie Ueibt bestehen: das- eocUiche Ich, das Aber sich 
limättsscrebeiid das Unendliche suchty kann es als schöpferisdies Ich nicht 
im I7nend£chen des leligiOs Absofaiten finden. Auch hier ist die Span> 
taung nicht tifsbar durdi Aufhebung eines der beiden Kontrast^^ieder, ^ 
sondeni durch die Auihebang beider ib ein diittes, neues Gebilde: JXiä 
erlösende Vollendung des Lebens im Leben selbst 2u finden, das Abso^ 
lute in die Form des Endlichen zu gestalten.^ 

Nachdem wir gesehen haben, wie diejenigen Subjektsinhalte; die überdas 
Nur-IndividUellehinauigdieny die Tendenz haben, sich durch die wirkliche 
Lösung fruchtbarer Spannungen neuen Gehalt und Gestaltung zu schaffen, 
die völlig jenseits des nur real Gegebenen hegen , bleibt uns die reine Indivi- 
dualitätsäußerung zu untersuchen, die Tchgegebenheiten im engeren Sinne. 
Wir müssen hier die Darstellung der Inhalte wegen ihrer Fülle ablehnen, 
einer Fülle, die allein durch die Forderung der Totalität und Harmonie 
und durch die Bedingung, daß diese Inhalte nicht Selbst / weck bleiben, son- 
dern Mittel des schöpferischen Triebes werden, zusammengehalten wird. 
Den Weg, den diese Forderung umschreibt, können wir am deutlichsten an 
denFunktionen derjenigen Organe erläutern, die das psychoIogischeSubjekt 
mit der von ihm getrennten Objektwelt verbinden. Wir dürfen dabei nicht 
vergessen, daß wir aus dem ur^irOnglichen Zusammenhang derselben im 
steUnngnehmenden Subjekt heilKnnmeny und daß wir uns immer dort un- 
genau ausdrucken, wo wir nicht von einer Eneugung der kOnstlerischen 
Weift duidü das Zusammentreffsn der durch die Bewußtseinsfunktionen er- 
wiigten Obf ekte mit dem aus deii Geseteen der Objektwerdung eneogien 
Subjekte sprechen. Die Zerlegung in Perzeptlon und Aktion ist ein kfinst- 
licher, aber «ir Darstellung' notwmdiger Akt Diese Priorität des Willens 
sogleich an unserem Ausgangspunkte ächert uns gegen jede Perzeptions- 
Üieorie im allgemeinen und den Sensualismus im besonderen. Die Kunst 
kann jetzt nicht mehr das Ergebnis des Auges als eines einzelnen Sinnes 
oder des Geschmackes als eines isolierten Vermögens sein, sondern nur das 
Resultat der Erzeugung aller Organe unter Führung des Willens. 

Unsere Bestimmung des Willens kann nicht psychologisch geschehen, son- 
dern allein aus unserer erkenntnistheoretischenVoraussetzungherausalsBe' 



9 



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6d Versuch einer Grundlegung des £M^höpferischen 

wegun g. Was wir hier als Bewußtsdn der Bew^;tmg einfOhroi möditen, 
das ist ... die Richtung und Tendenz in das Vorwärts und Hinaus selbst. 
Das ist nicht das Denkhewußtseän^ welches in der Vorstellung überhaupt 
von Element zu Element fortgeht und in diesem Fortgehen die Verbindung 

der Elemente zur Einheit der Vorstellung, zur Einheit des Denkens endliqh 
im Begriff vollzieht. Das ist eine andere Art des Fortgänge^ welche Yom 
A aus das B, zudem es Qbergeht, in diesem Übergange erst hervorbringt . . . 
Diese Hervorbringung aber ist eine Schöpfung, weil sie eine solche sein 

■will: weil das Bewußtsein diese Richtung auf ein Element nimmt, wel- 
ches und insofern es noch nicht da ist, sondern schlechterdings nur, alsein 
erst hervorziibririp^endes, Inhalt des Bewußtseins ist. Solches Bewußtsein ist 
das BewuRtfoiii dei Tkwegung, nicht wie sie vorgestellt, noch auch als 
hervorzubringende vorgestellt wird, sondern wie sie im Bewußtsein sich 
vollzieht. Die Tatsache also ist das Novum: daß das Bewrußtsein diesen 
Fortgang, dieses Übersichhinausdrängen, diese Projektion in ein Jenseits 
des Bewußtseins vollführt." Daraus ergibt sich die Zuröckweisung der 
Ansicht vom interesselosen Anschauen. Es handelt sich immer um ein 
Interesfiiertsein von einem auBerpraktischen Zwecke her und zu ihm hin: 
In der Ebene des P^cbologischen wird die Aktion der Bestimmungs- 
grund für die Peneption der Welt, und sie ist der letzte Grund ihrer ^Ehi- 
heit. Was sonst in Körper und Seele auselnanderfall^ wfird^ ist durch 
die Priorität des Willens im Bewußtsein zusammeng^alten, so daß das 
Gefipily als 'der psychische Ausdruck des Inneren, au& engste mit ihm 
verbunden ist. Hier werden wir stärker gedrängt, eine psychologische De- 
finition zu geben. Wir begütigen uns abormit einer Ablehnungjener sinn- 
lichen Qualitätsbestimmung, die in Lust und Unlust besteht, und die an 
sich nur die äußersten Pole einer langen Rette darstellt, in der Misch- 
gefühle aller Art zu ergänzen wären. Wir verstehen unter Gefühl wie 
unter Willen nur die Funktion und zw ar im Gegensatz zum WMllen gleich- 
sam das Blut der Willensfunktion, ihre Wärme, ihr Leben, den Gestus, 
mit dem sich die Liebe, die Menschlichkeit auf die Dinge projiziert, im 
Sinne Christi oder im Gegensatz — im Sinne euie^ Propheten, 

Wille und Gefühl als Erzeugungsprinzipien gehören noch dem Subjekt 
an, ergreifen die Dinge gleichsam in ihrer Ganzheit und sichern sie uns als 
solche in Einheit mit dem Subjekt. Erst der Intellekt faßt die Dinge in 
ihren einzelnen Bestandteilen. Aber nicht so, als ob er sie zuerst säuber- 
lichst analysierte, um sie hinterher „synthetisch" in einen Kasten zu tun. 



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Ywwich «imr Ggandkgimg 4m Sc^pCsnscken 



unter irgendeiner künstlich herangebrachten Einliei t des Begrilies, der An- 
ßchauuijg usw. Die reine Analyse ergibt die Möglichkeit einer unendüchen 
Aufteilung des Obiektes zugunsten seinerVerlebendignng, aber zugleich die 
Unmöglichkeit einer andeui als mechanischen oder naturteleologischen, 
also unkünstlerischen und unwi^enschaftlichen Verbindung. Die Synthese 
aber bedeutet dieVerendUcIiiiiig des Objektes duidiTöttiiigsraier Leben- 
digkeit zugunstoi seiner begrifinidien Fixierung. Der Ziuammenhaiig in 
daher immer nur me Konstruktion. Der Intellekt als F^mktioii abw faBt 
nicht nur diese beiden in sich, sondern g^ht zug^ch darüber hinaus auf 
die GrOnde und Ursachen der Dinge zum Zwecke ihrer formalen Neubil- 
dung. Die Annahme eines solchen Intellektes unter seinen Ewrheinnnga» 
formen oder gar Inhalten (wieKlugheit, Bildung usw.) wird ▼ieDeicht weni« 
ger wülkürlil^ erschein^ wenn wir bei der Lektüre dieser Worte: j^L'art 
c'est la contemplation. Cest le plaisir de Tesprit qui p^n^tre la nature et 
y divine Tesprit, dont eile est elle'-nieme anim^e. C/est la joiede TinteUigenoe 
qui voit clair dans l'univers et qui ie recr^e enrUluminantde conscience. 
L'art c'est la plus sublime mission de Thorame puisqtie c'est l'exerci^e dela 
pens^e qui cherche a comprendre le rnonde et ä le faire romprendra**. . . 
wenn wir beden1<en, daß sie von einem Künstler stammen, der in seiner 
eigenen NaturerkeniiLnis sehr an der maieriollen Funktion der Analyse 
hängen geblieben ist. Die Definition Rodins ergibt klar, daß der künst- 
lerische Erkenntni&trieb für Ihn nicht in einem bestimmten Organ 1 cikalisiert 
ist, sondern den ganzen Komplex umiaßt, der zwischen dem Unbewußten 
und Bewußten, zwischen Instinkt und Intellekt liegt. Hierin drückt sich 
die Tatsache aus, daß der Intellekt als schöpforisches Organ nicht ein Ge- 
bilde, Sandern ein Vorgang, nicht ein Sein, sondern eine Funktion ist 
Die Richtung dieser Funktion haben wir schon angedeutet als auf die Ur^ 
eadien der Objekte gehend, zum Zweck ihrer formalen NeuUldmig. Da- 
mit 108t der Intellekt das S«n der Dinge auf und schafft ihnen eine neue 
Einheit unter ihrem Sein in den Gründen und Gesetzen ihres Werdens 
Und damit macht er uns das schlechthin Unbegreifliche einsichtig. 

Konnte die AufTassung derKun st als einerTatdes Geist es noch die Ordnung 
des schöpferischen Triebes vor der Zersplitterung in die endlose Mannig" 
faltigkeit der Objekte und vor der künstlich^wiUküriichen Konstruktion der 
Subjekte retten, so scheinen nun aber die Sinnesorgane als die psychologisch 
ersten und unmittelbarsten Verbindungsträger zur Welt unansweiclilich an 
die Verwoirenheit des Seins, ja des Scheins zu fesseln. Was kami zugleich 



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Tenudi «iiMr Gnmdlegimg de» SohttpferwAea 



uiidurchsichliger und trOgerischer sein als die Daten, die uns das Auge 
liefert, das Organ, durch das die Erzeugung der Welt der Malerei am nach- 
drücldichsten bestimmt ist? Wo wir die Augen öi]iieii,eiiipiaiigeii w ir ein un- 
vollständiges, zufälliges, belangloses BiUl) einen Schemen der Realität. Und 
worin anders sollte dann noch der Sinn der Kunst bestdien ab in der Seh- 
schSrfe des Aug^s? Aber aUe Fragen, wie wir die Dinge wahmdunen (ob 
flfidiig oder xfiuQiIich, ob in uns odier außer uns, ob Mag oder linear), 
treten zurOck vor der Einsicht^ daß es sich in der Runst^ selbst noch im 
Naturalismus^ nicht um diePerzepdon der Dinge handelt, sondern umderen 
Schaffung. Diese hfingt wm den Forderungen SiresZides ab. Sie lauten, daß 
da» ganze Summe der menschlichen Organe die Objekte erzeugen und zwar 
miter Führung eines einer jeden Absonderung des schöpferischen Triebes 
spezifischen Organes, das für die Malerei das Auge ist. Aber das Auge um- 
faßt bereits auf Grund seiner Bewegung die Funktionen zweier Sinne, die 
des Blickens und die des Tastens, die dei' Raum- und die der Zeitwahr- 
nehmung. Vielleicht ist die Bewegung; auch der Grimd für die Tnhärenz 
allerSinnesorgane.OhnegegendieTheoriederspezifischenEnergie derselben 
polemisieren zu wollen, muß ich festhalten, daß man in Holbeins Passions- 
szenen den Lärm sieht, in Monets Bildein den Wind spürt, in anderen den 
Geruch der See sieht. Diese Tatsachen sollen nur besagen, daß in jedem 
einzelnen Sinnesorgan — zum mindesten im Auge — alle anderen mit tätig 
sind und ihre spezifischen Daten iüi unser Bewulitsein in ihm ausdrücken 
können, so daß umgekehrt das reine Anschauen die anderen Organein Tätig- 
keit zu Tersetzen yermag. Dadurch wizd das Wahrgenommene ergänzt und 
TOm Schein zur Realität gefllhrt Die Gegenstände des Bildes sind niemals 
die Resultate einer r^^ Optik, die eine TtfUig leere Abstraktion ist Selbst 
der Wahmehmungsakt ist du]<ch8etEt Totn dem „ganzen Menschen''. Sehen 
ist immer Auge-f'F^che. Das gibt den Grund dafiOr, daß Jeder anders 
sieht, und zeigt zugleich das Unberechtigte der Forderung, daß man das^ was 
der Kunstler male, so in der Natur mOsse sehen können. 

Wie die einzelne Wahrnehmung durch ihre Qualität Ober das einzelne 
Sinnesorgan hinausweistaufdie Gesamtheit der Sinnesorgane, so durch ihren 
Umfang auf den Intellekt und den Willen. Sebald der dargestellte Raum 
mit dem einen ruhenden Auge nicht mehr zu er&ssen ist, hat es des In- 
tellekts und intellektueller Mittel bedurft, umihnzu einer Einheit zusammen 
zu binden. So wird uns immer ilcutlicher, was Ponscin klar ausgesprochen 
hat: „Es gibt zwei Arten, die Dinge zu sehen:, die eine, indem man sie 



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einfach sieht, die andere, indem man sie mit Aufmerksamkeit betrachtet. 
Einfach sehen, heißt, mit dem Auge Form und Ähnlichkeit des Diiiges 
wahrnehmen. Betrachten aber heißt mit einer angestrengten Aiiiinerk- 
samkeit außer der einlachen Wahrnehmung die Mittel suchen, den Gegen- 
stand gut zu erkennen! Daher könne man sagen, daß das einfache Sehen 
ehi natllrliclier Vorgang, das Betnditai aber eine Obliegenheit der .Ver- 
nunft seL" Damit ist das Sehen in die reuie Funktion des lateUekts zurück- 
geführt, durch diesen in den Willen, in das steUungnehmende Subjekt 
und so, Ton aller sulqektiTen WilUior befireit, den Fundamenten der 
absoluten Gestaltung unterworfen, von ihren Prinzipien bestimmt. Es 
gibt kein anderes Gesetz der kQnsÜeriscben Optik als das der Gestaltung. 

So ist esalsowedereineinzelnesOrgannochein isoliertes Vermögen,das von 
der Seite des Subjektes die Welt der Kunst erzeugt, sondern die innige Ge« 
samtheit aller mit einerspezifischenPräponderierung. Vom Bewußtsein her- 
kommend spitzt sich der schöpferische Trieb in dem Maße auf sein spezi^ 
fisches und zugleich unzuverlässigstes Organ zu, als er sich dem Objekte in 
seinen Erschein ungsformcn nähert. Aber wie er all ein durch seinen Ursprung 
nicht im Materialismus und Sensualismus stecken bleiben kann, so weist das 
Organ selbst über sich hinaus. War der Grund für den ersten Prozeß der 
Materidlisieruiig des Bewußtseins diePrioritäl des W illeiis, st) wirddievöUige 
Empfängnis der Grund für den zweiten Pri)zeß der Entmaterialisierung des 
Objektes durch seine Zurürkführung ins Bewußtsein. Das Erlebnis darf nicht 
nur überllogen, es muß durch Erfassung seiner Gründe ganz und völlig 
enjpfangen sein. Nach einer solchen Befruchtung verliert ^as Erlebnis seine 
stoffliche TatsSdilichkdt und wird Kraft, Bewegung, lutensltttt imd als 
solche frei Terfitlgbares Eigentum und Besitz des Kflnstlers. 

Wird nun dieser KxdskufderErzeugungindiepsychologischeWelttrane- 
poniert und auf die Inhalte bezogen, an die er notwendig gebunden ist, so 
entstehen alle jene so oft behandelten Fragen der Ästhetik, diezum Teil die 
TStigkeit des Sulqektes angehen — zum Bebpiel das VerÜlltnis von Unter- 
hewuBtsön und Bewußtsein, von Naivität und Ichspaltung, von Hemmung 
und Impuls, von Freiheit und Gebundenheit durch die Gesetze der Assozia- 
tion — zum Teil die Stellung des Subjektes zum Objekt — zum Beispiel 
das Verhält nie von Anerkennung, Liebe, Ehrfurcht zuVemeinungundSkep- 
tik, von Hingabe und Selbstbewahnmg, Aktivität und Passivität — zum Teil 
die Behandlung des Objektes wie die -wichtige Frage des Verhältnisses von 
Sensation und Leben zu Zwang, Form und Tod. W ir können alle dieseFragen 



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26 Versuch einer GnmdlcignDg de» Schöpferöchm 

■•■■■■•■■•■•■■■•■■MiamiMnmininMMmUlltnMinHHMHMMNMHtiniinNilNtfMinilHMniMinillMNniMI 

hier, wo es sich um eine Grundlegung handelt, nicht erschöpfend erörtern. 
Es muß uns genügen, darauf hinzuweisen, daß sie alle die Form des An- 
tithetischen aufweisen und ihre Lösung daher nicht in der Streichung 
eines der beiden Kontraste, nicht in ihrer Angleichung, sondern unter 
Beibehaltung beider Pole, in deren Durchdringung und Überwindung zu 
einer 'neuen Welt bestehen kann. Eine solche Lösung zu geben, wird nur 
dem möglich eem, der im Auge b^ält, daß die Probleme wieder in ihre 
alte Ebene der Eizeugung selbst zurCtokprojiziert und aus der Stellung im 
Ablauf derselben bestimmt werden mOssen. 

'\?l7'ie wir zur BestimmungdesSubjektes vom steUungnehmendenBewußt- 

* * 8einüberhauptausgingen,umdurchdeS8enWiUenzurRealisierungzum 
psychischen und — der Möglichkeit nach — zum psycho-physischen Subjekt 
zukommen,8omfi8sen wir in einer TollstSndigenKoirespondenz in derBestim- 
mung des Objektes von dem Gesetz seines Werdens ausgehen. Es gilt also, die 
Objekte nicht mehr als einFertiges hinzunehmen, alsein veränderlichesoder 
, unveränderlichesResultat, sondern jene Kräfte aufzusuchen, die in ihrem Ge- 
geneinander das Ding entstehen ließen. Und von diesen Gründen und Be- 
dingungen ihrc^ Seins an^ hnt der Künstler die Gegenstände als solche der 
Kunst neu zu schahen. Dabei ist er den i^oi dei Lin'^tin jeder übjektbihlnng 
unterworfen, daß der Gegenstand sei, und daß seine Existenz endhch sei. 
Das Sein an sich will nicht besagen, daß er ruhend und stabil sein müsse. 
Auch Relationen können Gegenstand sein, sobald sie sich völlig in sich 
schließen und ihre Bewegung nicht über sie hinausweist. Die Endlich- 
keit soll nur besagen, daß das Ding begrenzt sei, Form habe, nicht, daß 
es nur auf sich angewiesen sei, aus sich hetaus und nur in Beziehung 
auf ach leben müsse. Die Endlichkeit der Form schließt die Vielfältig- 
keit der Relationen nicht aus» aber diese ist nicht raiendUch, sondern 
durch die Forderung des $eins bestimmt und damit berech^biir. 

Diesen Prinzipien der ObjdLtbildung überhaupt wohnt dieTendenz ume^ 
sich im realen Objekt zu manifestieren, ebenso ^e die Fkmktionen des Be- 
wußtseins zum psychischen Subjekt strebten und damit gleichzeitig als not- 
wendig dazugehörig das Objekt setzten. Ebenso wird vonseiten der Gründe 
und Gesetze der Objektbildung mit der Setzung des Objektes das Subjekt 
nutgesetzt. „Unsere Wahrnehmung ist also in ihrem reinen Zustand wirklich 
ein Bestandt«l der Dinge selbst." Und in weiterer Parallele ergibt sich 
die Forderung, daß es die Totalität der Objekte sdn soll, in die sich die 



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1^1 



Tersnch einer GmadlegUDg da» Sohapferiicben 



Prinzipien der ObjektbildurijS: realisieren. Gerade an diesem Punlit hat man 
eme DiÖerenz zwischen Kuiisi und Wissenschalt suchen wollen. „Das Be- 
sondere mit Rücksicht lediglich auf seine Besonderheit ist Kunst und inim^ 
nur Kümst . . . und das Besondet« ndt Kfidsicht auf das Allgemeine ist 
Wissenschaft . . . Nur deshalb muß der Künstler in dar subjektivierenden 
Kunst auch das Gegenwärtige in die Vergangenheit schieben, und in der 
objektivieienden Kunst den Raum des Kunstwerkes aus dem Raum der 
Wirklichkeit herausschneiden, so daß selbst der Flastiker nur einen idealen 
Raum und nicht den unserer Umgebung erfüllt; alles, damit die Akte und 
Objekte sich nicht d^ Zusammenhängender Wirklichkeit einordnen, nie- 
mals als Ursache für räumlich- zeitliche, außerhalb des Kunstwerkes Upende 
Wirkungen^niemalsakiyiotiveoderZieleanzuregenderHandlungen zugelten 
haben. Losgelöst vo^ allem Allgemeinen hat es künstlerische Wahrheit, 
und die Grundgesetze der Kunstlehre lassen sich aus dem angestrebten Auf- 
heben der ZuFammenhänge ebenso ableiten, wie die Grundgesetze der Wis- 
senschaftslehredurchdasSuchennachZusammenhangen zu verstehensind." 
Hier liegt offenbar der Irrtum vor, daß man aus der Tendenz des schöpfe- 
rischen Triebes, sein Werk aus dem realen Zusammenhang als ein indivi- 
duelles und in sich existierendes Leben herauszulösen, den Schluß zog, daß 
der Kunst nur das Besondere, Individuelle, Einmalige, Fragmentarische,Zu- 
sammenhangsloi-e als Stoff zugehöre. Aber das Buch ist ebensosehr (sym- 
boHsch durch seinen Einband) aus den realen Beziehungen gelöst, und die 
Zw anomenhänge, die&Wis6enschaftauistellt,habeumitdeneu des realenLe- 
hensnichtsmehrundnichtswenigerzutunyalsdiederKunst. Jenegehtebenso 
wie diese auf die Totalität und damit auf den Zusammenhang der Objektew 
Um die Bestimmung dieser Begriffe haben sich so viele Irrtümer gesam- 
melt^ daß die von uns aufgestellte deutlicher hervortreten wird, wenn wir 
den gegnerischen Ansichten einige Worte widmen. Einige .glauben, daß 
die Totalität durch eine Addition mllglichst yieler Variationen desselben 
Themas oder gar möglichst vieler Verschiedwiheiten zu erreichen sei. Da- 
bei handelt es sich um eine Veräußerlichung und Verendlichung des Schaf- 
fens. Einige vermeinen, die Totalität durch eine Kontraktion der Objekte 
auf einen einheitlichen Grund hin zu erhalten, der Stimmung oder Begriff 
ist und nun von sich aus die Fülle der Einzelheiten entläßt. Totalität be- 
deutet also formal-geistige oder psychische Sammlung. Und wahrend es 
sich einerseits nur um eine Verendlichung des Gehaltes handelt, taucht 
andererseits die Gefahr des Formalismus auf. Andere glauben, sie durch 



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Steigerung ins Göttliche zu erreichen. Hier liegen alle falschen Probleme 
des Klassizismus. V ei allgememerung ist nicht Erweitei ung, Ei dentrückung 
nicht Allgemeingültigkeit. Die Totalität ist nicht zu erlangen, wenn eine 
£rwdterungoderVerengerungxMcfaeinerRichtunghiBn>rUegt,80iiikmTo- 
talitfit ist allein charakterisiert durch die Doppelseitigkdt dw Empfindens 
und zwar nicht nur durch den Kontrast an sich, sondern durch die Auf- 
hellung desselben. Sie ist nach dem Ausdruck Plchtes ein thetiscbesUrteili'' 
eine wahreUnendKchkeit Als solche entzieht ne sich jeder begriff lichenBe- 
sdmmtheit undBestimmbarkei]^ denn sie enthält unendliche M^lichkeiten« 

Die Streitfrage der Erkenntnistheorie, ob nur das Allgemeine oder auch 
das Individuelle Gegenstand der Wissenschaft sei, hat sich uns dahin ge- 
Ittst, daß weder das Nur- Allgemeine noch das Nur-Individuelie, sondern 
nur die Totalität ein vollgültiger Gegenstand des schöpferischen Triebes 
sei. Und sie bestimmte sich uns nicht als ein inhaltlicher noch formaü' 
stischer Begriff, sondern als ein formaler, das heißt als ein Zusammen- 
treffen der Rewußtseinsfiinktionen und des Objektes. 

Nehmen vvirnachdci Bestimmung desümfangesdieDarstellung der Reali- 
sierungstenden?: der ( lesetze der Objekthildung wieder auf, so ergibt sich uns 
die Notwendigkeit, dieselbe hier auf dieiciiige Form zu beschränken, in der 
sich die Objektwerdung sammeln muß, uni Gegenstand der spezifischen 
Äußerung der Malerei zu werden. Diese ist das Konkrete. Das Konkrete soll 
heißen: die GesLaU der Dingern ihrer unumgänglichsten Bedingung, m ihrer 
Dreidimensionalität Als eine aus den Prinzipien der Objektwerdung her- 
kommendesteUtsiesichal8eineKonkreüsierungdar,alseinDreidimensional- 
werden, als ein Gestalt-gewinnen. Die Realnierungstendenz des Objdttes 
schreitet darüber hinaus, verliert sich vttllig in die Ffllle der quaütativen 
Eigenschaften der Farbe^ des Stoffes usw. ENimit bietet uns das Objekt eine 
Reihe roa Erscheinungsfonnen dar, die die GrOndeTerhfiUenydenWegzu 
ihremUrsprungzuTerspeiTenscheinen. F^^ythologisch gesehen bildensieden 
Ausgangspunkt der Wahrnehmung, und man stand Tor dem großen Pro- 
blem, von hier zum Wesen vorzudringen. Unsere Bestimmung der Totalität 
zdgte uns, daß man sehr oft im Endlichen stecken blieb — im realen oder 
transzendenten Sein — , ohne bis auf ] ene Ursprünge vorzudringen, aus denen 
sich das künstlerische Objekt bilden konnte. Wir erkannten zwei solcher 
Wurzeln — von der dritten werden wir noch später spreche — : ^ie Funk- 
tionen des Bewußtseins, die sich in bestimmten Formenzueinemspezifischen ' 
QrgaahinrealisierteD,unddieFonnenderQbiektswerdung,diesichin analoger 



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Vcsmoh tbuat 6nindi«gnig des ScköpfoifaclMB ilO 

iifnnmi>mntMim«>m(n«iiiiiiiiiiiaNHiiiimftmnNiMiiniMiiMitMMiMtniMtlMi*i<'>>M«*n**>nn*n 



Weise konkretisierten, materialisierten, umdann, mit den Inhalten ihrer letz- 
ten Ausläufer beladen, den Weg der Entmaterialisierung ins Bewußtsein und 
auf dieGründe hin zmückzugehen. Es ergab sich im Verfolgderbeiden Ten- 
denzen ihr enges Verknüpftsein, so daß Objekt imd Subjektsich gegenseitig 
setzten und mit- und durcheinander existierten. Diese Einheit durch gegen- 
seitiges Bedingen ist wohl zu unterscheiden von ledein ps} c ho-physischen 
Parallelismus, von jeder Einheit zwischen Seele und Leib, von jeder meta- 
physischen Identi ta t, d le ent weder i m psy ch ischen Subj ek t oder im k ( > n k reten 
Objekt stecken bleiben, oder vor ihnen da sind. Diesesind Voraussetzungoder 
Folge davon, daß jene überhaupt stattfindet. Eis handelt sich in ihr nicht um 
eine seinshafte Beziehung, sondem um gegenseitiges Erzeugen, so «iaU die 
Totalität der psychischen Kräfte sich in der Totalität der Objekte entfaltet. 
Wenniwir di^enGedanken konsequent verfolgen, können wir önBedenkoi * 
gegendieLdireKantsTonderAprioritätdesBewußtiekismf^tuiittt^r^^ 

Durch dieses gegenseitigeErzeogenoffenlmrtsichuiisdieg^nzePikaiiterie 
eiiier ^pezietten Aufgabe dar bildenden Künste iwie dar Musik: ein Orna- 
ment, eine fixe und imveranderliche Form mit in diese gegenwärtige,Er- 
zeugung au&unehmen. Dieses interessante ProUem ist bisher vttUig zu 
kurz gd[ommen und darum soll nachdrücklichst darauf hingewiesen sein. 

Das Erzeugnis der gegenseitigen Bewegung von Subjekt zu Objekt und 
umgekehrt ist die schöpferische Stimmung. Aus beiden — nicht als Inhalten 
und Stoffcm, sondem als Kräften — entstanden, ist sie weder eine einheit- 
UcheStimmungnoch ein synthetischer Begriff, sondemeine wenn auch nicht 
verworrene Mannigfaltigkeit j sie enthält — im Bergsonschen Sinne — „qua- 
litative Mannigfaltigkeiten", d. h. eine Einheit von Kräften, die zu einer 
Äußerung drängen. Ihre Bildung hat gewöhnlich ein Äquivalent ins Be- 
wußtsein abgesondert, das die materialeGrundiagpileskünstlenschen Schaf- 
fens wird. Auf die-e Äquivalente muß hier mit einem Wort emgegangen 
w^erden, nicht soweit sie reiner Inhalt, sondern soweit sie Gefühlsrichtung 
smd und man sie als Einteilungen des Ästhetischen oder der einzelnen 
Künste aufzählt. Hier sind sie an ihrem Platze mit der Ergänzung, daß 
ein Gefühl wie das Tragische nicht nur uuf das Drama und das Literarische 
beschrankt ist, sondern auch in der bildenden Kunst seinen Platz hat. So- 
bald man aber diese regulative Einteiluiig iür das konstituierende Prinzip 
(und zugleich für den Wertungsmaßstab) des künstlerischen Schaffens aus- 
gibt, muß man dagegen Verwahrung einigen. Weder das Schöne noch das 
Erhabene, weder das Trag^che noch das Epische schafFen Kunst, sondern 



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sie sind allem Gefühlsrichtungen, die zur Kunst hindrängen, und als solche 
charakterisiert durchdiejeweiligePonderierungderimschöpferischenTriebe 
tätigen Gruudkräfte. Nach der Ausscheidung dieses Äquivalentes (das mit 
dem Gegenstand des Elrleboisses natürlich nichts mehr gemeinsam zu haben 
braucht) bleibt noch die reine Inteasitiity das Intensität- und Kraftmaß des 
Erlebnisses Übrig, das als reiner unerkennbarer Zustand im Srlebenden sich 
aufhebt und mit den anderen yerbindet. Hier durchdringen och dife einzel- 
nen Erlebnisse vor allem in ihren Gegensätzen, schaffen neue Werte und 
sind in der Summe aller Vergangenheiten im gegenwärtigen Moment Tor- 
handen, so daß das resultieiende Werk nicht mehr eine einzige Stiilmiung 
in stofflicher Spi^dung des Erlebnisses ist, nicht mehr ein Akt intdlektu- 
cdler Abstraktion, sondern eine Totalität infolge einer Konzentrierung des 
gesamten Lebens in eine von aller Materialität befreite Erregung. Diese 
stellt gleichsam ein (freilich konstruiertes) Sa um elbecken dar, einen Ersatz 
für daspsychologische Moment der Phantasie. Wasbeideunterscheidet,istvor 
allem der Umstand, daß in der Phantasie der Inhalt immer schon gegeben 
ist, und es sich nur um „seine Wiederholung, um eine Herbeischaffung 
seiner Wiederkehr handelt. Das Gegebene bleibt immer ge«j;eben, wenn- 
gleich es verändert Vi erden soU"^ dfe schöpferische Stnnmung aber ist 
immer nur ein Moment in der Erzeugung der Inlialte. Die Phantasie 
war daher Willkür sciiiechthin in ihren Grundlagen, in ihren Verknüp- 
* fungen, in ihren Resultaten, während die schöpferische Stimmung, ent- 
standen aus Geset^mabigkeity nur äulciie zeugen kann. 

Wir sahen, daß die Kunst 6^lt ist, und mflssen jetzt hinzufügen : 
sobald dieser in den spezifiwhen Aiisdrucksformen erscheint. Diese 
ahersind bedingt durch die Materialien. GrQnde der Darstellung zwangen 
uns, sie aus dem bisherigen Krets unserer Betrachtungen auszuschließen. 
Darum soll ausdrllcklich betont sein, daß sie nichts Äußerliches, Adhären- 
tes bedeuten, sondern etwas Notwendiges und Weiterfahrendes. Das 
Mittel fordert am nachdrücklichsten den Beschauer. 

PsychologischeELunstanschauungydiewegenderVerschiedenheitderMittel 
die ars una in artes auflöste, nur von den Künsten sprach, formulierte auch 
den Satz, daß die Anwendung des Lichtes auf Kosten der Farbe, die der 
Farbe auf Kosten der Linie ginge etc. Wir, die wir einen einheitlichen 
und unendlichen schöpferischen Trieb unter allen Künsten und einen ihm 
Tor aller Indiriduation typischen Weg der Funktion nachgewiesen haben, 



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\' -a h eine Grundlegung des Schöpferüchen 



51 



betonen wieder die ars una und glauben ferner, daß die Mittel, die sicher 
eine den ursprünf^lkhen Trieb zerteilende und trennende Bedeutung haben, 
doch alle einer uns noch nicht ganz bekannten) Logik unterworfen sind. 

Den isolierten Mitteln der Tänie, der Far be und des T ichtes sprach eine 
abstrahierende Ansciiamaig verschiedene Ausdrucksgebiete und verschie- 
denaVVertbedeutungais konstituierende Prinzipien zu. Bekannt ist die Über- 
schätzung der Linie: „Dans l'art tout cequi appartientaux premi^res (aux 
lois de l'ordre morale) s'exprime pai la forrnej la couleur, a mon avis, re- 
prösente un cöt^ plus matöriel/' Die Künstler haben je nach den Bedürfe 
nitten ihrer ehueitigen Begabung das gLeiciie ron der Farbe und yom tkht 
gesagt, und so alle jene &]schen Dogmen der reinen Lküe^ der reinen Farbe 
als Yerdeckung.ihrer Impotenz der Öffentlichkeit hingeworfen. Die Ästhe- 
tiker,dieamhartn&c1äg^endasDogmaderreinenLiniegeglaub^ 
nimalhnahlichsQgBraUendreiMittehikonstitatiTeBedeutungzugesproch^ 

Wir mOseen hier die Tatsache festhalten, daß es Mittel a priori nidit 
gibt. Weder ein Blau noch eine Symmetrie hat für die schöpferische Tätig- 
keit Bedeutung vor und außerhalb der Schöpfung, des Geschaffenseins. Der 
Künstler muß seine Mittel und ihre Wirkung (sowohl die Beziehung auf 
das Gefühl der Lust und Unlust wie die moralische) kennen — all das ge- 
hört zum Handwerk} aber ihre Verwendung ist weder naturalistisch be- 
schreibend noch foi inalistisch, sondern Gestaltungsfaktor oder besser Gcstal- 
tungsergebnis. Vor der Gestaltung ist jedes Mittel nur Material, tot, Hin- 
dernis des Geistes, h.t st in der Gestaltung wird es Mittel, lebendig, Hand- 
werk. Daher kann es weder uni beiiier selbst willen da sein noch zur 
Erreichung von Effekten, sondern einzig und allein zum Ausdruck der 
Gestaltung. So bestimmt sich die Frage der Wirkung, die den Materialien 
und Mitteln anhaftet. Legitim ist nur die Wirkung, die sich aus dei Ge- 
staltung ergibt, alles andere ist Prostitution. Aber es gibt auch keine Ge- 
staltung ohne diesen Ausdruck im Material: ,^Es wird derjenige Künstler 
in sdner Art der trefflichste sem, dessen Erfindungs- und Einbildungs- 
kraft sich gleichsam unmittelbar mit der Bdaterie Terbindet, in welcher 
er zu arbeiten hat." Und nach dem Worte Flauberts: „La pcddsion de la 
pens^e iait — et est m^me celle du mot** wird die Schimheit des Materiats 
zum voUkonimensten Ausdruck der Gestaltung. Es fragt sich, welches der 
Weg ist, den es machen muß. 

Noch in seiner Isoherung hat jedes Mittel die Tendenz, über sich hinaus- 
zuweisen. Die Linie als künstlerisches Ausdrucksmittd. weicht von der ma- 



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thematisch Geraden ab. Sie stellt an jeden i Pvinkte eine Durchdringung der 
Geraden laid der Kurve dar, also eine Spannung der Dimensionen. Ent- 
sprechendem gUt von der Farbe. Wo sie als künstlerisches Mittel auftritt, 
birgt sie eine Tendenz nach Weiß und Schwarz in sich, so daß — wie 
nebenstehende Figur (die dreidimensional zu 
lesen ist) verdeutlicht— das Farbensy stem ein 

nie also die VerlniidungsmdgUcUtekeazwi- 
tchen zwei Farb^ etwa Blau und Rot er- 
schöpfend darstellen wdlen, so haben wir 
einmal den i^eichsam ebenen Weg über Vio- 
lett und Purpur, den mit der Dominante 
Schwarz über Rotbraun und Graublau oddr 
den mit dem Unterton Weiß über Flezscfa- 
farbe und Himmelblau. — Femer aber ent- 
hält jede Linie zugleich mit dem rein linea- 
ren Zug einen Lichtwert wie die Farbe einen 
Fleck-, d.h. einen GröBenwert. Die Aufgabe 
des Künstlers besteht nun darin, die verschie- 
denen Momente seiner Materialien auf ein 
einheitliches Mittel zu bringen. Das will 
nicht nur heißen, daß man in jedem einzel- 
nen Material den gleichen Ausdruck setzen 
und die drei daiin als parallele Posten zu- 
sammenaddieren solle, sondern daß aus einer 
innerenVer«nheitIichungeinneuesund ein- 
heitliches Mittel zustande komme. Darum 
kann man nur unter Vorbehalt von ^em 
linearen oder malerische Stil sprechen, da 
T^nelinie und FarbeExtreme und alssolche 
Armut sind. Gerade die V«reinh«tlichung 
der Divergenzen im Schöpfungsakt machte 
die Bedeutung und die Größe des Künstlers aus. Dabei ist es nicht nötig, 
daß die Einheit eine Harmonie gleichwertiger Teile bilde; diese können 
verschieden nachdrücklich und schwer ponderieit, vielleicht auch konträr 
betont sein. In dieser Einheit müssen aber die Divergenz der Teile imd 
die Stoillichkeit der Elemente verschwunden sein. In ihrer L^ibilität 




Schwan 



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MtMtt 



Versuch einer Grundlegung des Schöpferischen 



Stellt sie einen vielfachen Funktionswert für die verschiedenen Organe dar 
imdenthältinihrerBestimmtheiteineinnereUnendlichkeitanTVlöo^lichkeiten. 

Daß dieses einheitliche Mittel bis in die Forderungen der Technik hin- 
ein speziiisch ^ei, ergibt sich systematisch, weil jede Kunst ihre iiöchste 
Vollendung nur dadurch erreichen kann, daß sie die ihr immanenten 
Möglichkeiten zu reiner Geltuno; bringt. 

Jedes Material ist in Kombination mit einem ihm gleichartigen Element 
Raumträger: Farben treten vor oder ziehen sich zurück, Licht werte geben 
RautngeMle, Linien yerkürzen sich durch ihre Lage. Aber nicht Raum- 
werten an sich haben sie zu dienen, sondern der Modellierung und den 
Raiimwerten, die in diePormbildung eingegangen sind, wie wir es apäter 
sehen werden. Damit werden sie Ibrmdienend und fblgen dem Grundge- 
setz der Gestaltungyd. h. weder derStoff bezeichnung der Natur noch irgend- 
einem wissenschaftlichen Gesetz, wie dem der Komplementär&rbe. Darum 
stellen sie in ihrer Gesamtheit eine von der materialistischen vdllig ver- 
schiedene Welt dar. Kein noch so konsequenter Sensualismus kann die 
Welt der Farben und der Töne in Malerei und Musik erklären, weil sie 
auf einer ganz anderen Ebene liegt. Kein noch so scharfes und objek- 
tives Auge wird die Farben von Claude Lorrain, van Geyen oder Monet 
in der Natur sehen. Weil Sehen ebensowenig ein abstrakter Prozeß ist 
als Denken, sondern eine Funktion, an der der ganze Mensch und — so 
sollte man meinen — seine ganze Menschlichkeit Teil hat 

Mit Subjekt, Objekt und Mittel ist der Inhalt des schöpferischen Trie- 
bes dargtstolh. Wir müssen jetzt noch erklären, in welcher Art sich 
unter dem Zusammentretfen derselben die Welte nkugel der Kunst bildet, 
und welche Gesetze sie zusammenhalten. Wir werden die Momente 
darzustellen haben, unter denen sich die schöpferische Stimmung ent- 
lädt und jene anderen, nach denen die neue Welt sich vollendet. 

Wir sahen, da8 sich die Bewegungen der Inhalte in ihrer entmateriali- 
siertenFormim8chöpierischenTrieb8ammeln.Es bedeutete wiederum 
nur eine Verelnfochung aus Darstdlungsgründen, wenn wir fingerten, daß 
jene ganze Bewegung von Objekt und Subjekt vor sich gi n re^ ohne ein Tun, 
ohne die Handlung, ohne den-Pinsel Psychologisch- tatsltcfalich ist dies 
wohl nur ein ganz eKtremer, ja erkenntniskritisch ein immSglidier Fall. 
Denn diese Welt kann nicht existieren ohne ihre Versinnbildlichung. Diese 
aber ist nicht eine Kopie eines innerlich Fertigen, sondern die Evolution 



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Vemicdi mner Grandlcgiing dei Sd^gfexischen 

des Werdenden und daher in ihrem Verlauf der Inhaltsbildung durchaus 
parallel. Auf welcher Stufe das Tun einsetzt, kann uns hier gleichgültig 
sein. Für uns wird es von dem Augenblick an bed^tsam, wo die Ganzh^t 
Gdiahes öch gebiert^ d. k flieh in dieSeinsbedingungen des schdpferi- 
sehen Triebes fiberhaujit unddesbildkünstlerischeninibesonderentmisetzt. 
Die unumgänglichste GebSrüngsfonn ist der sich selbst setsende Konflikt. 
Er kann nur aus den Momenten bestehen, die wir im SpaeL sahen, und in 
der Tat scheint er das Ergebnis des antithetischen Willens des Bewußtseins 
und des Seins der Gegenstandswerdung zu sein. Als Tat des Bewußtseins 
aber hat er die Tendenz zur Unendlidikeit in einer bestimmten Form ge- 
erbt. Die Definierung des sich selbst setzenden Konfliktes gebührt W. v. 
Scholz. i^Der Konflikt muß sich selbst setzen, sobald das noch konflikt- 
lose Thema berührt wird und zwar in der Vorstellung gemäß deren Ge- 
setzen, die erlebt werden und nicht weiter zurückfuhrbar sind . . . Zwei 
Momente kennzeichnen dip Antithesen des sich selbst spt7pnden Konfliktes, 
die innere Wesensnähe zueinander und ihre Unvereinbarkeit, ihr unlös- 
licher Zusammenhang in der Vorstellung, in der sie einander er/eu^eii, und 
das Beruhen ihrer Verwandtschaft in ihrer ewigen Urieindschatl. Dadurch 
sind die Antithesen miteinander verklammert, kein Zufall führt sie zum 
Kampf, sondern ihre Wesensnähe. Darum ist der sich selbst setzende Kon- 
flikt unlösbar, unerschöpflich und ewig furchtbar." Für die bildende Kunst 
nun steht dieser Konflikt unter der Bedingung, daß er niemals ein nur 
linearer, flfichenhafter Kmitrast s^ kann, sondern nur ein räumlicher 
(dreidimensionaler), weil erst dann der letzt^ nicht mehr reduzierbare 
Konflikt der bildenden Kunst entsteht: der Ausgleich der dritten Dimen* 
sion mit der Flfiche. Erst dann ist es nicht mehr ein konstruierhaxes 
Auseinander von gegensätzlichen Motiven, sondern dn Durchdringen 
untrennbarer Kontraste zu einer Einheit. 

„Aus dem sich selbst setzenden Konflikt gewinnen wir noch eine neue 
Bestimmung üQr die Notwendigkeit des AUaufes, nämlich die, daß alle 
wichtigen Momente, die den Ablauf bedingen, aus den beiden Grundgegen- 
sätzen des sich selbst setzenden Konfliktes hervorgehen, daß sie diese Anti- 
these widerspiegeln müsseil. Hier handelt es sich nicht mehr um die aus- 
dem Leben ins Kunstwerk übertragene reelle Kausahtät, sondern um eine 
lediglich dem Kunstwerk angehörende ästbeTisrhe Ursächlichkeit, die die 
alle rstärksten Notwendigkeitswirkungen auf den Beschauer ausübt, dieganz 
allein den — in der realen Kausalität nicht durchführbaren — Eindruck er-^ 



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weckt, daß ohne alle spätere HinzufOgiing neuer Momente aus dem Grund- 
konflikt allein und folgerichtig das Drama entwickelt sei" Die zeugende 
Kraft des Konfliktes vollendet also das Ganze und dieses Ganze muß aus 
fleineiii Ursprung die Form eines Organismus annehmen, in dem sich das 
Game und die Teile gegenseitig so liedingen, als ob das Ganze das Ergeb- 
nis aUer Teile und zugleich die Bedingung eines jeden TeOes iiL Das 
Ganze ist also nicht die Addition seiner TeUe, sondern das Produkt deisel- 
ben, aber doch so^ da6 auch jederTeil nur durch das Ganze existiert Da* 
mit ist eine neue Welt, die ihre Lebensbedingungen in sich selbst trilgt, 
Ton der Realität als solcher abgel&t Sie hat sich von allem Materialen 
derselben befreit, sie ruht in sich selbst, hat in sich Anfang und Ende. Dar 
erste G^rastand am Rand darf nicht mehr mit der anderen 
Welt zusammenhängen und ihr Horizont nicht mehr mit dw 
perspektivisch undeutlich werdenden Ferne der Realität. 

Die Realität als Realität ist überwunden. Das Zurückgehen 
auf die Funktionen des Bewußtseins und die Gründe der 
Objektwerdung, die Forderung der Totalität haben sie ent- 
materialisiert und ihr anschauliche, sinnliche Äquivalente ge- 
boren. Die Realität wird mathematisiert, und zwar arith- 
metisch-rhythmisch und geometrisch-figürlich. 

DieRhylhmisierunggehtdirektaufdieBewegungdesBewußt- 
seins zurück und hat mit den Nonnen, die man für den Auf- 
bau einesschltiienKlIrpershatgeben wollen, nichtsgemdnsam. 
Diese stellten iir jeder Hinsidit em endliches Verhältnis dar, 
wShrend die ihythmischeBeziehung eine unendlicheRdation 
ist Sie iiußert sich daher nicht so sehr an den Maßen des Kör- 
pers als an denen der gesamten Fläche. Ein besonders schönes 
Beispiel ist das Chormittelfienster in Gharties, das yon unten 
nach oben darstellt : i )Bäcker, dieBrot tragen, a)die Verkündi- 
gimg, 5) die Heimsuchung, 4)dieMadonna mit dem Kind. Die 
Rhythmik dieser Vierteilung läßt sich näher nachprüfen, wenn 
man annimmt, daB die Windeisen, die dasganze Fenster in wag- 
rechtenStreifendurchziehen^gleicheAbständevoneinanderha- 
ben. Das ganze Fenster besteht — von einem schmalen Streifen 
unten und der Spitze oben abgesehen (die ihrerseits einen interessanten Bei- 
trag liefern zur Technik des Anfanges und des Endes im Kirnst werk) — aus 
1 7 übereinanderliegenden Teilen zu ca. 5 in der Breite: )e Vt Rän- 

5* 



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Versuch einer Grundlegung det Schöpferischen 



dem und s in der Mitte. Von diesen 17 Teilen fallen (yon unten nach 
oben g^Ut) auf die 4 Teile der inhaltlichen Disposition: a Teile, 4 Teile, 
5 Tette^ 6 Teile, also ein ganz klares Verhältnis 1:2: sV« : 5- Bedenkt 
man, daß das Verhältnis von Höhe und Breite etwa 1 : 6 ist, so sieht man 
sofort, welche einfachen Relationen sich ini Verhältnis von Höhe und Breite 
in den dnzelneu Teilen herstellen. Nicht nur, daß das Bffiitelstf^ des 
untersten Teiles soviele Teile in der Höhe wie in der Breite hat, also als 
axfi ein Quadrat ist, sondern die gesamte Breite des Fcoisters beträgt un- 
gefiihr die Hälfte des obersten Teiles. Bei dieser Bedeutung der Verhältnis- 
zahl 3 wird mau begreifen, warum der zweite Teil das doppelte des ersten 
beträgt, warum 4 Teile das Fenster aufteilen, und warum der dritte 2 -j- 
mal so groß ist als der erste. Hier Icornrnt nun die 5 mithinein. Das Vn i^^t 
/nicht nur die Hälfte der Höhe des Ausgangsteiles, sondern zxi gleich die Hälfte 
der Differenz zwischen 9 und '^y aber — als 2 2 x ^/^ — ist nicht nur- 
die gesamte Breite des l'eimiei-s, sondern zugleich auch das Verhältnis des 
Anwachsens vom untersten tragenden (Bäcker) zum oberstengelragerien feil 
(Madonna) des Fensters. 2x5 aber ergibt 6 und damit eine Beziehung zum 
Höhe-Breite -Verhältnis 1:656x5 aber als 1 8 ergibt die gesamte Fenster- 
höhe. Diese scheinbar unendlichearithmetischeBeziehungistkeinegeheira- 
nisvolleZahlenmystik, keine zufallige Spielerei, kein a priorischer Formalis- 
musy sondern das notwendige Ergebnis der Entmaterialisierung des Stoff- 
lichen auf dem Wege zur Formbildung xmd zur notwendigen Gestaltung. 
Sie ist ein konstituierendes Prinzip, das ein tmendliches und organisch^ 
Verhältnis der Teile zum Ganzen schafft. Wir kffnnen von einer arith- 
metischen Notwendigkeit der Flächeubesetzung sprechen. 

Daß wir es hier mit einem die Kunst überhaupt konstituierenden Prin- 
zip zu tun haben, zeigt ein Blick auf die Musik und die Poesie. Dieses 
vorwiegend zeitliche Momentdernotwendigen rhythmischoi Beziehung hat 
man in der bildenden Kmist nicht suchen wollen, weil man au dem Vor- 
urteil festhielt, sie sei ausschließlich eine Kunst des Raumes. Aber wir wer- 
den immer deutlicher sehen, daß beides — Zeit und Raum — unmöglich 
getrennt werden kann, soll überhaupt von einer Gestaltmig die Rede sein. 
Freilich bleibtunsdiehauptsächlichste Seitedieses Problems in der bildenden 
Kunst noch un^^elöst, solange es uns nicht zu zeigen gelingt, aus welchen Ele- 
menten die Grundquantitäten dieses rhythmischen Ablaulesgebildet werden. 

Um hier einen Schritt weiter zu kommen, müssen wir uns an die Fläche 
halten, d. h. an die Größenbeziehungen ihrer Höhe und Breite und an die 



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Versuch einer Grundlegung des Schöpferischen 37 

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ihr immanenten Punkte: die Mitte und den goldenen Schnitt, die ja schon . 
seit langem eine große Rolle in der Ästhetik spielen. Leider haben mich 

meine Berechnungen nochzu keinem befriedigendenResultatgefuhrt. Doch 
glaube ich, daß ein eingehendes Studium des Netzwerkes auf den Hand- 
zeichnungen der großen Meister d i c interessantesten Hesultateliefern würde. 

Was den rhythmischen Abiaul betrifft, so kann ich hier nur kurz auf 
das verweisen, was )ede l'oetik lehrl: die verschiedenen Vei.smaße, den 
offenen und geschlossenen Rhythmus usw. Die Frage nach Hebung und 
Seiikuna: fallt für den Maler mit der der Massen Verteilung zusammen und 
bedeuteL zugieicli eine Folge von besetzten und unbesetzten Flachenicilcn. 

Von der arithmetisch-rhythmischen zurgeometrisch-figürlichenEntniate- 
rialisieruDg dürfte sich durch bestimmte Formen der ersteren, etwa die 
Symmetrie, ein Übergang finden. Ich meine damit nicht das, was man bis- 
her unter einer zum Beispiel dreieckigen Komposition veistanden hat, das 
heiBt die Anrangierung und Einzwängung einerGegebenh^t in eine mathe* 
matiscfae Figur. Dieser Formalismus ist seinem Wesen nach Naturalismus. 
Ich meine Überhaupt nicht ein willkÜrlichesZusammensetzenimSinneein^ 
Komposition, sondem viehndir, daS der Stoff in dem 'Maße^ ak er sich 
entmaterialisiert, auch geometrisiert und zwar zu einer unendlichen Bezie- 
hung. Zunächst ist jede Figur in sich variabel, das heißt die verschiedene 
Formen eines Dreiecks bedeuten nicht dasselbe. Aber schon die einzelne 
Figur hat eine Tendenz, über ihr Einzelsein hinauszugehen. Zu einem auf- 
gerichteten Dreieck gehört das mit der Spitze nach unten gerichtete, das 
heißt die zcntricch-symmetrische Figur, und beider Durchdringung ergibt 
eine neue. Jede dieser mathematischen Figuren steht in einem von ihr 
differeiiten Format, so daß ein Ausgleicli gesdiaiien werden muß, der die 
innere Beweglichkeit der Figur um lueln steigert, als es sich nicht nur 
um eine Angleich ung und Überleitung, sondern um eine Durchdringung 
der sich bildenden Grundrichtungen handelt. Denn auch das Format ist 
ja nicht gegeben, sondern aus den Grundfundame^nien der Konzeption be- 
dingt. . Damit ist eigentlich jede Stabilität in Funktion verwandelt, und 
deren Unendlichkdt wird noch reidier und Yoller, sobald wir aus den Wer- 
ken der grdBen Künstler ei)cennen, daß sie sich nie mit einer Figur be- 
gnQgten,sonderadieentgegengeset2testensichdnanderdurchdringenlie0WL 

Und wie sich das zdtUche Moment des Rhythmus in der bildenden Kunst 
notwendig mit den beiden Grundrichtungen der Fliehe: Htthe und Breite^ 
als räumlichen Werten verbinden muBte^ so sind die Momen\e geometri- 



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kS Yertuch einer Grundlegung des Schöpfwitelieii 

•lHUtM»MMm«tMMMMHlfHimiHnHtkiniiMN4<«M«MII«<>IIMII«<<li<IIMI> •••■»•nMMM«M«MM»H«<ttIlt«lt«»M«tn<fininiMM«MH(«IMM 

scher Ordnung unzertrennlich mit solchen der Intensität^ das heißt also der 
Zeit verknüpft. Die größte Rolle spielt hier jn der Verbindung der Figu- 
ren und räumlichen Richtungen die Intensität ihr«r Betonung, so daß die 
einen die Hauptstimmen, die anderen die Nebenstimmen bilden. Alle 
orchestralen Momente der Musik ebenso wie die dpr einzelnen SLunmiüh- 
rung von fortissimo zum pinno, das Neben- und Ineinander der Stunmen 
stehen der bildenden Kunst in gleit her Weise zur Verfügung. Zu diesem 
Moment der Intensität gehört die große Fülle der Möglirlikeiteti in der 
Dichtigkeit der Flächenbesetzung, der Rhythmus von getüllLer und leerer 
Fläche, von offener und geschlossenei l iillung. Vor allem aber die Moniente 
der Steigerung uu Aufbau, die in der bildenden Kunst nicht hmlei denen 
desDramaszurückbleiben. Somultiplizieren dieseZeitmomentedieKombina- 
tionsmöglichlLdten u ndscfaaffeneinevÖlligeUnendlicfakeitderBeziehungen. 

Dieses Ineinander der F&umlichen und zeitlichen Gestaltungsmomente 
geht so weit, daB die einen die anderen TOllig auiUisen. Und sobald die 
beiden Momente zu voUstlindiger Deckung gekommen sind, sind sie so 
sehr TOn aller Starrheit mathematischer Kgur und rhythmischer Gebun- 
denheit «UM, so s^ir in sich lebendige, ja sich selbst zeugende FVmktifm 
geworden, daß wir eine neue Natur yof uns haben, die den Schein der 
alten, zu&UigoB, ungestalteten hat. Wie sollte es anders sein, da ja ein 
Stoff der Ausgangspunkt der Gestaltung war? 

Milden mathematischenFörmenderEntmaterialisierungbleiben wir noch 
auf der Fläche. Erst wenn der Körper und der Raum, d. h. wenn die dritte 
Dimension in den Zwang der Gestaltung einbezogen wird, kommen wir an 
den letzten und eigentlichsten Faktor der Formbildung der bildenden Kunst. 

Es kann hier nirht die Rede davon sein, sich in ph^ siologisrhe und meta- 
physische Theorien darüber zu verlieren, wie und wo \vir den Kaum wahr- 
nehmen. Welches auch die Hypothesen sein mögen, der Prozeß der Ver- 
läumlichung hat weder mit der funktionellen noch mit der qualitativen 
Seite irgend einen Zusammenhang, da die Grundlage derselben allem in der 
These besteht, daß der Raum die drei Dimensionen der Höhe, Breite und 
Hefe hat, und zwar eine jede in unendlicher Ausdehnungfar unsere Organe. 
Die Aufgabe bestimmt sich allein aus dem Wesen dmr abscdutrai Gestaltung: 
daß sie ein von aller Realität unabhängiges, in sich gegrflndetes Wesen 
schaffe. Da wir nun die Konkretiderun^ d. h. die Festhateung der Drei- 
dimensionalitätaUdasunumg^nglidisteAnadnicksgebietderlda 
haben, so fol'gt daraus, daB dieKürper- undRaumbildungderMalerei durch'» 



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Versuch einer Grundlegung des Schöpferüchen 

N»«tMHI»n«»Mtflm>IMIIM«»MfltMMniMMimi»MMtMMH»H«*tmttttltl*tftHtMt««MMH*nintin»M»«M«in tiii>li«t»«4tiii 



aus verschieden sein müsse von der der Natur. Diese Differenz wird näher 
bestimmt durch dieTatsache, daß wirinderNaturdiedreiDimensionon direkt 
verwirklicht sehen, daß Höhe, Breite und i ieie unnuttelbar vorhanden sind, 
während die Malerei, an die Zweidimensionahlat der Fläche gebunden, die 
dritte Dimensiun iiidii ekt hervorrufen muß. Die Fläche ist also schlechthin 
Hindernis, gleichsam das Ewige, an dein sich der Gestaltungswille des End- 
lichen bricht und da$ er in sich aufdehmen, mit sich versöhnen muß, um 
fliberhatqpt em GeataHang zu wierdeii. Hkr «diea den tUSbten Grund, 
weelialb wir die reine FlSche aUelmen müssen. Sie läßt uns vHUig im 
Nidbts, in der Anarchie^ im Nihilismus^ aus dem uns gerade der KflnsUer 
herau^Dlhren soQ. DasM^ gilt in Aabetiacltt des Ktfrpeis vom Schein. 

Die RaumbUdung der Malerei kann also nur durch einen Ausgleich der 
ZweidimendonalitätderFlgcheundderDreidimensionalilfttdesNalmiaum« 
erreicht werden. Man &Bte das so auf, als ob die naturhafle R&umlichkeit, 
auf der Fläche vorgetäuscht, die Lösung des Problemes wSre. Man glaubte 
das um so lieber, als die Perspektive genau formulierbaren Gesetzen und da- 
mit einer vdlUgea Konstruierbarkeit unterworfen war. Man verwechselte 
da — wie es so oft in der Geschichte der Kunst geschieht — die wissen- 
schaftliche Gesetzmäßigkeit mit der künstl (irischen, in diesem Fall die geo- 
metrische Gesetzmäßigkeit des physiologischen Raumes mit der malerischen 
desselljen. Aber „es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, wie sehr 
sich d a S) stem unserer Ra m ne i n pt i n düngen, der physiologische Raum, von 
dem geometrischen (euklidischen) unterscheidet. — Um Physiologischesund 
Geometrisches reinlich zu sondern, haben wir zu bedenken, daß unsere 
Raumempfindungen bestimmt sind durch die Abhängigkeit der Elemente, 
die wir ABC . . . (Körper) genannt haben, von Elementen unseres Leibes 
KLM . . daß aber die geoinetiisGben Begriffesich ergeh«! diirdiriu^ 
Verg^eidiung der Körper, durch die Beziehungen der ABC ... unteiein- 
ander.^ Neuerdings haben denn auch Physiolcgen darauf hingewiesen, daß 
zwischen den Forderungen der perspektirischeii GesetzmäBigkdt der Geo- 
metrie und der perspektivischen Wahmefanmng des Auges erheUicheDÜfe- 
renzen bestehen. Aber nicht dieser Umstand, sondern vielmehr, daß durch 
die Perspektive die Fläche nicht in die Gestaltung mit einbezogen, son- 
dern durch Illusion aufgehoben wird, und daß die Perspektive nur mit 
dem Verhältnis der Dinge unter sich und nicht zum Subjekt rechnet, 
das scheidet die naturillusionierende Raumkonstruktion aus der Gestal- 
tung aus. Entsprechendes gilt von der Anatomie des Körpers. 



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1° 



Verauck einer Grundlegung de« Scliöpferischen 



Diese AblehnnngdeiAA ispeiischaftsresultalebedeutet nicht die Ablehnung 
des Wissens, soiidfcjt ii gerade den Iiilellekt als Funktion. DasW isseii nt htel 
sich aui die Giünde. Und diese iverden von der Wissenschaft nicht vn eni- 
ger gesucht als von der Makrei^ ihre Resultate sind gleich mannigfaltig, 
aher die LOsung auf dem einen Gebiete hat keinerlei Bedeutung für das 
andere, weil jedec Ergebnis von den spezifischen Mitteln fo bedingt ist, daß 
es nur für ach gilt. Doch haben scheinbar beide Gebiete drei Arten, den 
Raum aufzufassen: als Empfindung wie Farbe, Ton, Duftf als a priorische 
Form des Bewußtseins, als synthetische Äuffassungskategoriej und drittens 
überhaupt nicht als etwas Seiendes, sondern als eine Aufgabe, ihn zu 
Schaffell. Für uns ist allein die Frage, wie diese sich vollendet. 

Sie besteht in einer Verendlichung und Zusammenfassung in Höhe und 
Breite. Hierdurch bestimmt sich der Ma ßst ab und damit die Wirkungsform 
des Einzelnen. Vor allem aber in der Umsetzung der Tiefendimension aiif 
die Fläche. Sic wird erreicht durrh einen empkmdenen und mit einheit- 
lichem und spezifischem Littel gew onnenen Ausgleich zwischen Raum und 
Ebene. Das will besagen, daß der Künstlei.aus der Flä( he orp;ani?rh eine 
dritte Dimension herausarbeitet und so die Dreidirnensionalitat des Gegen- 
standes — Kubus oder Raum — auf der Flüche }]ä]t. Diese Spannung 
zwischen den Dimensionen ist dur( haus nichts Technisches, sondern es han- 
delt sich in ihrem Ausgleich um den hauptsächlichsten, aus der Intensität 
der schöpferischen Stimmung stannnenden Sdn ut dei schöpferischen Tat. 
Indem ichden Ursprung aus der Intensität nachdrücklichst betone, trete ich 
wohl in Gegensatz zufiUldebrand, dem das große Verdienst gebührt, dieses 
Wesentliche in der Formbildung zuerst heraüsgearbdtet zu hab^. Wäh- 
rend Hildebrand schdnbar nur einen Ausgleich zwischen Raum und Fläche 
anerkennt, den der klassischen griechischen Plastik und der Renaissance, 
also gleichsam eine Form a priori als Ideal aufttellt, hat für mich die Form 
eine a posteriorische Stellung und es gibt eineMannigfaltigkeit von Formen. 
Das Gleiche wie vom Kubus gilt vom Raum. Durch diesen Ausgleidi mit 
der Fläche wird der Raum Funktion, und zwar in sich lebendige, sich * 
selbst bildende Funktion. Diese läßt sich nicht anders beschreiben als 
durch den Wechsel des Hervor und Zurück, Hinein und Heraus, Hinauf 
und Hinunter und durch die Kontinuität dieser rfiumlkfaen Relationno. 
Subjektiv übermittelt sie das Gefühl der Eigenerzeugung, als sei der 
Stoß der bisherigen Teile, das heißt deien innerer Elan und Beziehung 
zum Ganzen, der Urgrund ihres Seins. Der (irund hierfür liegt im sich 



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1 



Vcrsiic}) einer Grundlegung des Schöpfens c1k->i 4I 

•»t«ftta«ttit*«(ti*l**>t«M»ttiifffi*iiiit ■Miiiifiitiiii*iiii«ii4(tii4i<iiiri I« tii»ittitiii«fii«al •»•II l«lffl««lliti ••«•>! «t««ifttfi««>iiiliiifitf«ii«tiiitii««fiifan 

selbst set zenden Konflikt und der Forderung, daß der gesamte Ablauf aus 

ihm resultiere. 

Mit dieser Al t der Raunibildung scheint mir aber jenes andere Problem 
nicht erledigt 7.u Fpin, dasdiemathematisLhePerspektivkonstruktion vergeb- 
lich zu lösen sitii i>cniüht hat: ririch welchen Ge&etzen verkleinern sich die 
Ciegenstände im so geschafienen Kunstraum? Die Größenabnahme der Ge- 
genstände in derEntlernungist offenbar ein Grundprinzip derRauiribiidung 
überhaupt und der Maler, der auf die Gründe der Objektwerdung zurück- 
geht, wird es berücksichtigeD niQ$6en. Sdne Lösung 'wird zwar immer aus 
der Inteoshät der schöpferischen Stimmung fließen, aber es ist ja gerade 
Sinn und Aufgabe der Wissenschaft, hier Gesetzmäßigkeiten zu bilden. Wir • 
mtlssenauf den grandiosen Versuch Leonardos zurückgreifen^ um hier eine 
Lösung anzubieten. Er iand, „indem er den Raum der Bildfläche zwjsdien 
der Grundlinie und dem Horizont infünf gleiche Distanzen perspektivisch 
einteilt und als Einh^tsmaß jeder Distanz die Entfernung des Auges von 
der Bildiläcbe annimmt, daß die Verhältniszahlen in den fünf Abständen • 
^rnau mit den Zahlenverhältuissen stimmen, die die Hauptintervalle der 
Musik beherrschen ... Es ist vmusgesetzt, daß der Augenabstand von 
der Paricle, der Bildwand, vier Ellen beträgt. Die erste Figur im Bilde ist 
Twim?]^ Ellen weil vom Auge entfernt, also in der Distanz von 20 : 4 = 5, 
sprich lünf Maßeinheiten von Gradenj sie verliert daher *jr, ihrer natür- 
lichen Größe. Die zweite Figur, von gleiiher Größe wie die erste, ist 40 
Ellen, also 10 Grade vom Auge entfernt; sie verliert die Hallte Von der 
Größe der ersten Figur, die nur mehr ^/j von Manneshöhe besaß, d. h. sie 
verliert */io "^^^ behält Vio ihrer waliren Größe. Die dritte Figur verliert 
"/to ihrer Grölie^ sie hat nur mehr ^/^o ihrer wahren Höhej denn sie be- 
findet sich in einer Distanz von 8 Ellen = 20 Manneslängen, befindet sich 
im flo. Entfemungsgrad vom Auge . . . Hier ist dasVerh^tnis der Distan- 
zen so— 40 — 80 bei 4 EUen langem Abstand, und die Proportion der 
Größenbilder ist ^/»*— Vio — Vso • • • sio beruht auf dem Prinzip, das Leonardo 
die doppelte Proportioüialität nennt Diese Proportion läßt, wie Ludwig 
sagt, den für die Malerei so wirkungsvollen, weil in den Verhältniinen über- 
ausldcht und deutlich erkennbarenAkkordvonOktaTezuOktave erklingen.'' 

Der Raum in seiner völligen Gestaltung kann nur eine kontinuierliche 
Einheit sein. Die Frage nach der Möglichkeit mehrerer Zentren wird ihr 
untergeordnet Die Diskontinuität zerlegt denRaum inVorder-,Mittel< und 
Hintergrund und macht ihn zu einem zusammengesetzten. Dieser loimpo- 



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18 Vecradi einer Gtondleguiig dct SdiSpferitdieii 

l««»M«l>M«MHIIIM M IllllWlllllllllllll MMM IIII>|iMI» M »IIMIMt M I«»MttMllttM«MWt»Wtm«IM««M»t»l»tW«»>t«M»III M IIIIllllllllW^ ^ 

sitäre Raum bezeugt eine mangelhafte Gestaltung. ¥ln anderer Unter- 
schied in der R-aumbildung liegt darin, ob die Tiefe in ParaUelebenen 
zur Gnmdebeiie erreicht wird oder in der Oiagonalebene ; das erstere 
nennen wir eine struktive, das letztere eine destruktive Raumbildung. 
Dieser Gegensatz liegt an sich nußerhalb der Ranm^estaltiingj ist aber das 
fundamentalste Charakteristikum der Raumbildung und der Modellierung. 

Mit der Verräumlich ung aber ist der Pro/eß der Fonnblldung nicht er- 
schöpft. An sich mag der Weh der Objekte jede zeitlii he Bev-s egung, dem 
rein zeitlichen Ablauf der psychischen Inhalte jede Verräuinüchung viel- 
leicht w irkiich fehlen. Sobald der schöpferische Trieb sich beider bemäch- 
tigt, ist er gezwungen, Zeit und Raum /m verbinden oder besser, beide 
in ihren Funktionen sich durchdringen zu lassen. Auf jeder Gestaltungs- 
stufe herrscht Zeit- und Raumzusammengehörigkeit, gemeint aber kann 
nur jene one sein, auf der sie, von jeder Naturbeciehung befreit, in dch 
selbst irerläuit und ruht. Daher mflssen ym die naturhafte Zeit sowohl 
in ihrer Unendlichkeit^ tvie'in ihrer punkthaflen Fixierung und die wissen- 
schaftliche Zeit des Physiken ablehnen und anakg die kfinstleriscfaen 
Bildung des Raumes eine solche der Zeit fordern. 

Ein gleidies gilt iQr die kausale Verknüpfung, sowohl inbesugaufihre 
enge Zusammengehörigkeit mit Raum und Zeit, wie in bezug auf ihre Ge- 
staltung. Erst mit der Vereinigung dieser drei Teile zu einem neuen Ge- 
bilde ist die Welt der Form als eine eigene geboren. Sie hat ihren Kno- 
chenbau und ihren Blutlauf in sich und es fragt sich nun noch, wie sie ihr 
Wachstum vollendet. Denn wir sahen ja, daß der Organismus im Prinzip 
eine unendliche Zahl von Beziehungen bedeutet, daß aber die Forderung 
eines endlichen Werkes trotzdem nicht zu umgehen war. Den Ausgleich 
schafft die Kontinuität der Formbeziehungen, die in ihrem lückenlosen Zu- 
sammenhang die Unendlichkeit vortäuscht. Alle einzelnen Motive entspran- 
gen — so erkamitt n wir — aus dem sich selbst setzenden Konflikt und seine 
Vollendung zum Ürganismus bedeutete ein Herausarbeiten der ihm inne- 
wohnenden Möglichkeiten, üiese in einen stetigen Zusammeniiang zu brin- 
gen, so daß sie auf- und auseinander folgen, wie auf das Erheben des Armes 
das Ausstrecken und der StoB^ das all^ ist der Shm der Kontinuität der 
Motrve. Sie sichert dem Werke eine innere, ihrer Entstdiung nach indirekte 
Lebendigkeit, die aus der Beziehung aller zu einer KontinuitSt verwachsen- 
den Motive besteht^ in dem Organismus des Werkes, das den Schon eigener 
ZeugungskrafI erweckt. Eine zweite Art ist die direkte Lebendigkeit, die 



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YttMudi MB«r Gtundlegung dM SdM|£iriidi«B . 45 

darin besteht, daß das Material durch eine zusatmnenhängeiide und ifem 
nflancterte Lichtgebnng Tergeistigt ist Das Material als direkter Licht- 
träger ist lebendig geworden und hat etwas Vibrierendes bekommen, das 
den Schein der Eligeiibeweglichkeit des natürlichen Lichtes vortSuscht Es 
wird der Schein erweckt, als ob die Natur hier wirke, im ersten Fall ab«r, 
. als ob ein Gesetz der Natur sich erzeuge. Der schöpferische Trieb, der in 
seinem Willen zur absoluten Gestaltung auf das letzlere gerichtet ist, kann 
den völlig naturahstischen Schein in dem Grade erreichen, als er sich rea- 
lisiert Der Sinn dieser Realisierung ist ein durchaus innerer. Jeder Schaf- 
fende mag das Bewußtsein haben, daß seine Schöpfung etwas Zweischnei- 
diges ist. Daher vermauert er seine Wahrheiten mit allen materiellen Ge- 
gebenheiten seiner Kunst. Hat man die Angst, die Verantwortung des 
Schaffenden noch nicht gehört: „L'art ne s*adresse qu' a im nombre exces- 
sivement restreint d'individus" (C^zanne). Oder man lese Descartes' Einlei- 
tung zu seinen^Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie'^. Pous« 
sin hat um seine Wahrheiten Geschichten und Histncien so gut herumge- 
steUty daß man ihn fost drmhundert Jahre lang als Historieneizähler nimmt. 
Diese Vermauerung ist nicht Absicht, sondern letzte tmd konsequen- 
teste AusnutzungaUer imSchaffensakt gegebenenMOglidikeiten. Sieeihttht 
suj^bididenimnianentenDzangsur Wirkung. Indem dieGestaltung in den 
Sdiein der Natur au%eldst wird, wird eine Welt gescha£Een, die wegen 
ihrer Vertrautheit alle befriedigt. Alle Menschen kttnnen in ihr wie auf 
einer lichten, blumigen Wiese tummeln und nur wenige ahnen, daß sie 
eine gefällig Decke über Abgründen ist. Darin li^t der Sinn des Kan- 
tischen Prinzips der allgemeinen Mitteilbarkeit. 

Hier müssen wir nun das Verhältnis von Kunst und Natur genau be- 
stimmen. Nach unseren Ausführungen brauchen wir die Identität vonKunst- 
und Naturgegenstand nicht noch ausdröcklich abz\üehnen. Der Sinn unserer 
ganzen Dai-stelluiig war die Verfolgung des Prozesses, dei ans dem Mdterial 
der Natur Kunst schafft. Er stellte sich uns dar als ein Zurückgehen von dem 
nur Gegebenen auf die Funktionen des Bewußtseins und die Gesetze der 
ObjektwerriurijS;; als ein TotaliLätserlebnis der\^ ell^ als cme Entmatenali- 
hieruiig der Wirklichkeit zu. einer anschaulichen und organischen Welt der 
Kunst — kurz als ein Prozeß, der von dem nur Indi^uellen^ dem nur 
Gegebenen, in eine totale und gesoUte Well fidute. Wenn diese dch nun 
SU realisieren, d. h. zu individaafisiereDy dem^Sdieine und der ZufiUlig^t 
^des nur Realen zu nXhem beginnt, so kann auch der Gegenstand der Re- 



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44 



Venucli einer Grundlegung des Schöpferischen 

>HH>MimHm|*MMIIItHflMH>IMMMniHnMIMtMlinilllMtMII>IIIMniMmiN«(Hn<<llll>>>IUII>MIMt<nii>nilMIMIIIIIIMIIIIIIIIIII>M 



alisation nur mehr der der Gestaltung sein, nur aus dem bisherigen Ab^* 
lauf des Prozesses in Gestalt und Qualität geboren werden. Aber nach 
den Gesetzen der Objektwerdung dürfen wir schließen, daß dieser Ge- 
genstand konkret d. h. dreidimensional sein muß. Wir werden also da» 
Verhältnis in folgenden Thesen formulieren können: 

Da die Kunst ltiieolügl^cll auf ein Absolute s, das Bild, geht, so ist der 
Gegenstand und der Zusammenhang derselben den bildorganischen Ge- 
setzen unterwoifen, und wir haben nur solche Gegenstandsformen gelten 
zu lassen, die sich bildorganisch begründen. Nur diese sind gekonnt. 
Sonst handelt es sich um imitative oder expressive Fähigkeiten. 

Da ach die Kunst der (inneren oäet äußeren) Realität bedienen muß, 
da ohne diese der schöpferische Trieb überhaupt undenkbar ist, so wird 
sie ihre Erlebnisse organisch nur in ihrem Wissen über die Gegenstände 
ausdrücken kdnnen. Und wenn wir hier alles abstreifen, was Stoff ist, so 
bleibt das Dreidimensionale, Konkrete, Ding^afte übrig. Dieses durch 
Wissen geklärte Kubische kann ungewohnt, aber nicht unklar sein. 

Wenn es nun im Wesen der Malerei liegt, ihre Erlebnisse im Gegen* 
stand aufgehen zu lassen, so wird sie vielleicht in dem Maße Stärker sein, 
als siedieErlebnis&e in Eigenschaften, also Stoffliches des Gegenstandesauf- 
gehen lassen d. h. als sie Realität zur Erlösung der Erlebnisse vom Z wang 
der Gesetze setzen kann. In diesem Umkreis liegt das Problem der Psycho- 
logie als R rnli<^atlonsmittel, al«o als Mittel und nicht als Selbstzwork. 

Damit rrledigt sich das erkenntnistheoretischeProblcm von dcm\ : t halt 
Iiis des Seins zur Gültigkeit des Sollens und im speziellen das Verhältnis von 
Natur- und Kunstrealität. Gerade in jüng-ler /.eil hat man Sul)]ekt und 
Kunst identifiziert und in Dogmen, die nicht weniger platt sind als uieder 
Naciidiimungstheorie, in allen Spielarten behauptet, daß der Stoff gleich- 
gültig sei und ein Unterschied zwischen einer Madonna und einem Kohl- 
köpf nicht statthabe, ja daß Kunst jeder Gestalt entbehren und direkt in 
den Materialien sich ausdrücken klinne. Kaudinski hatte den Ehrgeiz, dieser 
andere d'AIembert zu sein. Diese Dogmatisierung des stofflichen Mangels 
weift notwendig auf einen Defekt des Subjektes^ da es erkenntnistheorettsch 
kein Subjekt geben kann ohne die Tendenz zum Objekt. Man Terwecfaselt 
die psychische Individualität, das psycho-physiscfae Subjekt mit dem Be- 
wußtsein überhaupt und sucht dufdi das Dogma nur zu yerdecken, daß 
dieVerbuidung unter den ichdpferischen Funktionen unterbrochen und ge^ 
hemmt ist, kurz daß ein künstlerisches Schaffen überhaupt nicht vorliegt.^ 



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Vanadi eiiMr Gnuiikcmig det SehBpfiwitelMB 45 

Für dieses aber ist die Beziehung zwischen KiuT^t und Gegenstand klar — 
sowohl in seiner Bedeutung als Ausgangs})uakt wie in der als Mittel dei- 
Realisierung. Es bleibt nur die Frage, unter welchen Bedingungen diese 

vor sich geht. 

Die ( h adeder Realisierung sind die Gestalt und das Sujet. Die Gestalt ist 
unumgänglich und jede Kunst scheint ihre eigene zu haben. Wie der Pla- 
stik der einzelne menschliche Körper beGonders zugehört, so der Malerei der 
räuxnHchB Zusammenhang zwischmi Körpern überhaupt Jede Gestalt hat 
durch ihren äußeren Umfange ihren inneren Gehalt und ihre qualitativen 
organischenoderanorganiscfaenEigenschafteneineEigenbedeutungjdievon 
dem Künstler nicbt nur nicht zu TemachlSssigen, sondern gerade als Rea- 
lisierungsmittel zu gebrauchen ist. Geht die Realisierung bis ins Sujet, so 
gilt es -vor allem, die adäquateste Sinnlichkeit des StofSss zu wählen. Die 
Bedingungen der Wahl können hier nicht erörtert werden. Aber über den 
Stoff sdbst muß einiges gesagt oder besser aus unseren Prämissen gefolgert 
werden. Von jeher hat man gewußt, daß nicht jedes Sujet Gegenstand der 
Kunst sein könne, aber außer der belanglosen Teilung in schön und häß- 
lich — die beide in gleicherweise nur Stoffe, Mittel der Gestaltung sind 
— hat es an jeder Abgrenzung gefehlt. Bedingung ist, daß in der ad- 
äquaten Sinnlichkeit ein antithetisches Moment eingeschlossen ist. Darum 
widerspricht ihr das nur Einmalige, schlechthin Seiende oder Werdende, 
der nur reale Gegenstand und das reine psychische Erlebiiisj das Fertige 
und das nur Allgemeine, das außerhalb jeder Gestaltungsmöglichkeit liegt; 
und das schlechthin Unendliche, das dem Willen zur Realisierung über- 
haupt widerspricht. Mit aiideien Worten jeder Panvitalisuius, Panpsychis- 
mus, Panästhetizismus, Pantheismus. Diese adäquate Sinnlichkeit aber be- 
darf des fruchtbarsten Motives, d. h. desjenigen, das zugleich das allge- 
meinste und besondecste^ das ewigste und indindudlste darstellt. Diese Mo- 
tive müssen dann kontinuierlich miteinander verbunden sein. In dieser 
Stetigkeit des Ablaufes der sinnlichen Erscheinung ist die KontinuitKt der 
Formen^ von der wir oben sprachen, in die Ebene der Realisierung über- 
tragen und schafft hier einen neuen und erhöhten Grad derNatfirlichkeit. 
Die innere Unendlichkeit der Form wird zu einer unendlichen Lebendig- 
keit der Gestalt und des Stoffes, die sich erhöht, da die Realisierung der 
absoluten Gestaltung auch dort, wo sie sich bis in den einzelnen Körper 
faineii^ erstreckt, nicht direkt ist, sondern indirekt. Die Kunst hat einen 
„quasi corpus" gefunden. 

a 



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ij^D Vernich einer GnHidle^|an^^ det Schöpferischen 

So haben wir den weiten und typischen Weg von der Natur über das 
beschreibende Wort und den abstrahierenden Begriff zur Form, von der 
Meinung über das Urteil zum Prinzip^ vom Emy aber die konstruierte 
Ordnung zum^ System gemacht, um zu dem Sdhluß zu kommen: daß 
Kunst in diesem vriß Natur ersdieinen könne. 

Nachdem wir so den Weg desschöpferiscfaen Triebes vollendet haben, wird 
es nur als eine logische Folgerung unserer Gedanken erscheinen, wenn 

wir ausdrücklich dieAUgemeingültigkeit des schöpferischen Resultates be- 
haupten. Sie kommt aus den völlig objektiven Piinzipi^ dieses Schaffens 
selbst, die wir erkannten in dem Zurückgehen vom psychischen Subjekt 
auf die Gmndtatsachen des Bewußtseins selbst und vom physischen Objekte 
auf die Gesetze seines Werdens,- in der Fordeiamg der Harmonie und To- 
talität aller Bewußtseinstatsachen, in der Forderung der Konkretheit und 
Totalität der Objekte; in dem Prinzip der völligen üurcfidringungund Auf- 
lösnne; des BewiiBtsein«; in die Gesetze und schließlich in den Schein der 
Objekt weit; vor allem aber in dem einheitlichen und gesetzmäßigen Verlauf 
des schöpferis( hen Triebe, in der Gesetzmäßigkeit seiner Funktion, die von 
der realen Welt zum „quasi corpus" der Kunst führte. Objektivere Prinzi- 
pien lassen sich auch zur Begründimg der wissenschaftlichen Welt nicht 
finden, grundsätzlich schon darum nicht, v^eil sie, sofern sie gültig sind, die 
SchaiFung der künstlerischen Welt zugleich mitbegrflnden müßten. Wir 
sahm femer, ^e in dieser neuen Welt eigene Gesetze und eigene Logik 
herrschen, die sie vollenden und ihrem absoluta Ziele nahe bringen. Der 
schl^eiische Trieb objdctiyiert sich so vollständig als möglich, wenn er 
eine Welt schafi^ die, mit eigenem Leben begabt, nach ihren eigenenPunk- 
tionen lebt. Aus dieser ObjektivitMtstammtdieAUg^neingültigkeitdttWer*- 
kes; denn wie sollte eine in sich lebendige und ihre eigenen Funktionen 
restlos erfüllende Welt zu negieren sein? wie und von wem? G^;en diese 
Welt ist jeder Skeptizismus machtlos, es sei denn derSkeptizismus gegen den 
sdiöpferischen Trieb selbst^ wir sahen, daß dieser konsequent nur im reli' 
^ösen Quietismus enden kann, also völlig außerhalb der schöpferischen 
Welt. Auch besagt es nichts gegen die Allgemeingülti«;keit der absoluten 
Gestaltung, daß sie vom schöpferischen Trieb nur selten erreicht wird. Hier 
können wir auf dieStufen der Gestaltung zurückverweisen. Und damit glau- 
ben wir dargetan zu hnben, daß Kunst nicht Geschmacksache, überhaupt 
nicht Sache des Geschmackes ist, sondern das Bilden einer realen, organi- . 



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IMMIMtr 



sehen und notwendigen Ganzheit als gestaltende Aktion einer Erlebnis- 
summe diu e il spezielle Mittel und Materialien. 

Aub dei Allgemeingültig keiL der absoluten Gestaltung folgt nun aber 
notwendig die Forderung, daß eine allgemeingültige Wertung des Kunst- 
werkes möglich seL Wenn anders wir recht haben^ muß der Satz Kants 
zu Unrecht bestehen: „Obgleich also Kritiker, wie Hume sagt, schdnbarer ■> 
vemfinitefai.kttnnen als Köche, so haben de doch mit diesen einerlei 
Schicksal Den Bestimmungsgrund ihres Urteils klbmen sie nicht yon der 
Kraft ihrer Beweisgründe^ sondern nur ^von der Refiexion des Subjekts 
Aber mum eigenen Zustand (der Lust und Unlust) mit Abweisung aller 
Vorschriften und Regeln erwarten." Und in der Tat lassen sich solche 
Beweisgründe in den Prinzipien der Gestaltung finden: der Grad der Ge* 
staltung und der Umfang der Erlebnisse^ als zwei Seiten desselben Triebes^ 
werden uns völlig objektive Maßstäbe sein. Es ist von vornherein selbst- 
verständlich, daß sie för uns nur im Werke selbst liegen und wir werden 
sagen können, daß jenes Werlc Ha? wertvollste ist, das den |^rößten Vm- 
iang und die größte Vertielung dei Krlf bnispe in die absoluteste Gestai- 
tung bringt. Mnn wird also zur Wertung eines Werkes, das sich als Kunst 
ausgibt, drei Fragen zu beantworten haben: die Stellung des Werkes zur 
absoluten Gestaltung d. i. die absolute Wertung; 

die Stellung innerhalb seiner eigenen Gestaltungsstuie d. i. die relative 
Wertung; 

die Stellung zur Kunst überhaupt d. i. die Schwellenwertung. Schon 
diese methodisdi ftür jede Beschäftigung mit der Kunst wichtig^ Wer^ 
tung ist heute am unsichersten. Haben es doch die namhaftesten Ästhe- 
tilser fertig gebracht, in der Photographie eine Kunst zu sehen. 

Psychologisch betrachtet, wird sich der Prozeß der wertenden Stellung^ 
nähme nun durchaus nicht mit der Wertung nach diesen objekti'ven Prin- 
zipien erschttpfen. Viehndir wird der bewußten Qualitätswertung eineun- 
bewußte Intensitäts Wertung vorangehen. Wir sagen gut oder schlecht, lange 
ehe uns die Gründe zuBewußtseingekommensind. Dies widerspricht durch- 
aus nicht; vielmehr korrespondiert es aufs glückliebste mit jenem Weg des 
schöpferischen Triebes zur Entmaterialisierung und zur reinen Intensität 
der schöpferischen Stimmung. Doch bedarf diose? Urteil der konkreten 
Begründung, und wir sahen, wie es diese allein finden kann. 

Weiter in die Welt des tatsächlichen Sein«; uns verbreitend, hal)en wir 
keinen Grund zu verschweigen, daß die reale Beziehimg zwischen dem 



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Kunstwerk und dem Betrachter zugleich eine ganz neue Wertuiigsskala, 
nämli« h die der Brauchbarkeit sc baift. Ich meine damit nicht nur die 
äußere Brauchbarkeit als Wandsi liiiiuck, nk Verkaufsübjekt usw.^ sondern 
auch die innerlichezur Auslösung einerStimmung^alsharmouischesGeiiaB- 
mittel, ja selbst zur Erziebung usw. Hier ist der WertungsnoaBstab nicht 
mehr imnumenty sondern relativ zur Welt des Seins, für die er gebraudit 
wird. Von dieser Brauchbarkeitsskala führt kein Weg hinüber zur abso- 
luten Wertung. Hier herrscht eine völlig transsubjektiTe AUgememgflltig- 
keity die ganz unabhängig ist yon einzelnen Urteilenden, dort eineTdllige 
subjektivistisclie WUlkür, die lUtchstens durdi ein Additionsverfahren zu 
ordnen oder durch ein externes Prinzip zu sichten ist, die aber selbst in 
ihren Methoden der Ordnung niemals den Boden der Willkür verlassen 
kttsnen^ wir können deshalb nur einen Maßstab allgemeingültiger Wer« 
tung denken, dagegen Hunderte von Möglii^eiten zur Uberwindung 
der Willkür auf dem Boden des Subjektivismus. Und da das Wertungsbe- 
dürfnis der Kunst gegenüber nie ganz zum Schweigen zu bringen war, 
so haben wir durch die moderne psychologische Ästhetik tatsächlich*eine 
solche Reihe von Vorschlägen zu hören bekommen. 

Um niciils weniger möglich, als (wie liier versucht) vom individuellen 
und subjektiven Akt her zu einer Wertskala zu kutntnen, ist der andere 
Weg, den Grad der Allgemeinheit des Urteils zum Maßstab zu nehmen. 
Wir sahen schon, daC das Allgemeine, das Wesen, der Begriff nicht der 
Sinn der absoluten Gestaltung ist, und dementsprechend ist auch das den 
allgemeinen Menschen fordernde Urteil nicht das allgemeingültige Wer- 
tungsurteil. Hierher gehören auch alle ron außen herangetragenen Prin« 
zipien der Biologie| des Pragmatismus, der Metaphysik und der Mystik. 
Überall handelt es sich noch um Brauchbarkeitswertungen, wenn diese 
auch aus der Weit des realen in die des transzendentalen Seins verrückt 
«nd. Für die Kunst als Kunst gibt es keinen Maßstab der Wertung 
außerhalb der Gestaltung selbst 

Wo aber ist das Subjekt, das dieses reine und in seiner Reinheit allge- 
meingültige Wertungsurteil fallen kann? bt es der Betrachter, der vor 
dem Bilde — alles um sich herum vergessend — nur sich selbst genießt? 
Ist es der, der den Inhalt sucht, die Anekdote, die Naturanalogie, ein 
Symbol für Unsichtbares? Ist es der Gourmand, r!er die Schönheit der 
Farbe wie einen alten Wein sclilürft, oder der Formaiist, der Beziehun- 
gen bewundert? Welchen von all diesen Betrachtern setzt der Künstler 



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Venuch einer Grundlegung de« Scliöpferischen „„„„„„„„„„„„„„jj^ 

~ rng wir sahen — notwendig in seinen ScbafifensaJa aelliBt? Erkenntnis- 
kritisch keinen von all diesen, sondern ein geschaffmes, gedachtes Sab- 
jekty das alle jene FBhigkehen in der Ebene der Betrachtung haty die 
beim Schaffen tätig waren: sich von aller Materialität befreien und To- 
taHtätcai nachempfinden zu können« Dieser Betrachter fragt — indem er 
die Werdung des Werkes nachwlebt — nach dem inneren Ziel desselben. 
Damit variiert der Kunstgenuß auf jeder Gestaltungsstufe und wird fCür 
jeden Betrachter auf der ihm adäquaten am stärksten sein. 

Aus der eventuellen Nichtexistenz eines solchen Betrachters er-w^ichst 
unserer Deduktion kein Vorwurf, da pie ja nichi Bestehendes konstatieren 
oder ordnen, sondern den Sinn desselben, soweit er notwendige in ihm 
hegt, ciufzeigen wollte. Und für die Kunst und den Künstler — denn 
wo gehören Beruf und der Berufene so zusammen wie hier? — wäre 
das nur eine Diskrepanz, ein Dualismus mehr, wie wir deren ja viele auf 
dem Wege des schöpferischen Triebes gefunden haben. Ist ja der Künst- 
ler, der das Üdium des Sozialen auf sich nimmt, als Mensch für jedes so- 
eiale Leben unbrauchbar, der völlig Fremde, dem die Welt ein Schau- 
spiel ist^ eine modellhafte Unwirklidikeit; endet doch er, der die Last 
des Absoluten wie keiner trägt, verfemt als ein Gottloser auf dem Sdiei» 
terhaufen oder am Kreuz^ er, der die Welt in ihrer Totalität bildet, -muß 
all die kleinen Dinge, an denen sein Herz hängt, aus seinen IBüiden 
rollen sehen; er ist der hartnäckigste Arbiter und Kdnig zugldch. Prie- 
st» und Märtyrer, der frinatischste Wahrhätssucher und Komödiant. 
Und dodi ist dieses groteske Bündel von Kontrasten, ist dieser schöpfe- 
rische Mensch der einzige, der unserer Existenz innerhalb des Endlichen 
ihren Sinn gibt, der einzige, der uns yon der Verzweiflung der Skepsis 
und vom Quietismus des Rehgiösen zugleich befreit und damit unsere 
wahrhaft menschliche Existenz Qberhaupt erst ermöglicht. 

„Sie wollen Euch glauben machen, die schönen Künste seien entstan- 
den aus dem Hang, den wir haben sollen, die Dinge rinj^ um uns zu 
vers( honen. Das ist nicht wahr! Denn in dem Sinne, in dem es wahr 
sein könnte, braucht wohl der Bürger und Handwerker die Worte, kein 
Philosoph. 

Die Kunst ist lange bildend, ehe sie schön ist, und doch so wahre, 
große Kunst, ja oft wahrer und größer, als das Schöne selbst. Denn in 
dem Menschen ist eine bildende Natur, die gleich sich tätig erweist, wenn 
seine Ejcistenz gesichert ist. 

Pkano 4 



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50 Vemadi einar Qnmßggmg 4» Se h gpiiBriwihwi 

Diese charaktemtische Kunst ist nun die einzig wahre. Wenn sie aus 
inniger^ einiger^ selbständiger Empfindung um sich wirkte unbekümmert^ 
ja unwissend alles Fremden, da mag sie nun aus rauher Wildheit oder 

aus gebildeter Empfindsamkeit geboren werden, sie ist ganz und leben- 
dig. Da seht ihr bei Nationen und einzelnen Menschen dann i^nzählige 
Grade. Je mehr die Seele sich erhebt zu dem Geiühl der Verhältnisse, 
die allein schön und von Ewigkeit sind, deren Hauptakkorde man bewei- 
sen, deren Geheimnisse man nur fühlen kann, in denen allein das Leben 
des göttlichen Genius sich herumwalzt; ]e mehr diese Schönheit in das 
Wesen eines Geistes eindringt, daß sie mit ihm entstanden zusein scheint, 
daß ihm nichts genug tut als sie, desto glücklicher ist er, desto tiefge- 
beugter stehen wir da und beten an den Gesalbten Gottes.^ (Goethe) 



■lUMUUllllUiMIMUtMNMl 



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DIE EROBERUNG DES NEUEN LEBENSGBFÜHLES 



„L'art ce n'est qjM Tötude de Ta nature; nous 
n'inTentons, nous ne cr^oiis riea/' (Rodin) 

„II faut garder ni de si pr^ ni de loin. Vous 

faussez egalement la Vision cje voiie neil, et si 
V()ll^^ niettez l'objel. hur vos yeux, et si vous le po- 
sez hors de votre portt^e. De ce que une chose 
est ^ph^m^re, ce n'est pas une raison pourqu'elle 
soit vanite. Tout est ^ph^m^re, iiiais l'eph^m^re 
est quelquefois divin.** (Ernest Renan) 



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DER IMPRESSIONISMUS 



yylmpressioniBmus ist nicht eine Richtung, 
sondern eine Wdtanschaumig.^ (Lifibermaim) 



Seitdem Kopernikus den Glauben an die zentrale Stellung der Erde 
enlkraltet und sie zum Teil eine» bedingten Bewegungssystems g^e- 
raacht hatte, hat die Naturvv'i'^sensrhaft nicht aufgehört, in dieser 
Richtung zu arbeiten. Es gelang ihr ui ihrer Entwicklungsgeschichte, 
auch dem Menschen seine zentrale Stellung zu nehmen, das anthropo- 
zentrische Lebensgefühl zu unterhöhleii und ihm das Bewußtsein zu ge- 
ben, daß er nur ein bedingtes Glied einer wohlgeordneten, in ihrer Go- 
setzmäßigkeit avSer seiner Einwirkung liegenden Kette sei. Gleichzeuig 
bat die Revolution und ihre Folgen den hierarchischen Bau sozialer Ord> 
nung zerstört und begonnen^ den Menschen als einen isoli«i»n dch selbst 
zu überlassen. Dieser degradierten und erweiterten Menschheit warf Kant 
mit seinen drei Kritiken die Verantwortung ftkr die gesamte Welt zu: 
die intdUektuell^ die moraUsche und die fisthetkche. Sie haben die ganze 
westeuropäische Welt mit napoleonisch-grandioser Tyrannei bezwungen. 
Aber sofort s^tzt gegen diese ideahstische Hochspannung des Daseins die 
Reaktion des Subjektivismus ein, und einer ein Jahrhundert währenden 
Arbeit von Metaphysik und Psychologie ist es gelungen^ nun auch die 
Einheit des Menschen zu zersetzen, aufzulösen in die alles bedingende 
Macht eines unpersönlichen Gesetzes, den Menschen nicht nur als phy- 
sisches, sondern auch als geistiges Wesen, wohl seziert und jeder eigenen 
schöpferischen WiUenpkraft beraubt, in das große Gefüge eines allma( h- 
tigen (icsetzes einzuordnen. Die Weltanschauung der letzten drei Jahr- 
zehnte des vorigen Jahrhunderts (die man die impressionistische genannt 
hat, und deren Ausdruck in der Malerei wir behandeln wollen), stellt 
gleichsam eine fast letzte Phase dieses Prozesses vor. Wir wollen ihn nicht 
in seinen Etappen verfolgen. Denn die Aulzeigung der historischen Ent- 
wicklung eines Gedankens oder einer Stilform kann konsequent nur eine 
unendlidhe Rmhe ergeben und ^muE' daher mtwendig im Metaphysi- 



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Der Impressionistniu 

sehen enden. Außerdem aber soll es 'die hauptsächlichste Au^be dieses 
praktischen Teil« des Buches sein, zu zeigen, wie sich aus dieser Welt- 
anschaiumg def; TmpresRionismus neue Keime zu einer anderen ailtnählich 
entwickeln, jenes (irundgesctz des Lebens bestätigend, daß Ende und An- 
fang eng verwoben meinander greifen. Wir werden uns daher dem Im- 
pressionismus gegenüber mit einer möglichst vollständigen Darstellung 
seines Wesens begnügen. Dieses allerdings glauben wir nicht anders er- 
leben zu können, als daß wir, von unseren theoretischen Deduktionen 
geleitet, nach den Formen seiner Entstehung fragen« Wir werden daher 
den Weg Terfolgen müssen, auf dem sich der impressionistische Meatch 
sdne Welt schuf und diese in der Malerei ausdrückte, d. b. wie er, auf 
sogenannte gegebene Tatsachen reagierend, ihre einheitliche Esdstens 
schuf und darstellte. Wir werden dabei wenige auf die Inhalte selbst als 
auf die Organe und ihre Funktionsart einzugehen haben und werden 
neben ihrer Typik d. h. ihrer Gflltigkmt für alle Erscheinungrfomien des 
Lebens, der Wssenschaft und der Kunst zugleich ihren engen Zusammen- 
hang mit dem Gestaltungsgrad feststellen. Dieses Verfolgen der Funktion 
des schöpferischen Triebes, das nicht eine Darstellung seines psychisch- 
zeitlichen Verlaufes bedeutet, wird uns auch unter der methodisch not- 
wendigen Statuierung der Darstellung eine Einheit sichern, die uns das 
wundervolle Verwobensein aller mentohlichen Funktionen im schöpferi- 
schen Akt wie in einem trüben Spiegel wird rihnen lassen. 

Das Organ, mit dem der Impressionist seine Welt schuf, war ein dop- 
peltes und gegensätzliches: ein analysierendes, atomisierendes, im Male- 
rialen und Konkreten verharrendes Sinnesorgan und eine auf das Ganze 
gehende 'und den ganzen Menschen in Anspruch nehmende Intuition. 
Als Maler von seinem Auge ausgehend, klammert sich der Künstler an 
das Objekt, imd voll Erstaunen beginnt sein Sinn gleichsam ei*t zu er- 
wachen, und um sich ^cliduend gewahrt er eine nhne Welt. Ja, die braunen 
Saucen der Akademie — das war der Tod. Aber der blaue Schatten im 
Schnee, der grüne Himmel am Abend, die brbigen Reflex^ das licht- 
spid am Kleid einer Frau —das war Lebenj Leb^ an das man sich an- 
saugen muBte, Leben Von ungeahnten Reichtümern. Man sah — und 
jeder Akt des Sehens wurde sdieinbar eine Welt in der Fülle seines In- 
haltes. Das war Wirklichkeit, das war Wahrheit Je mehr man ihn iso- 
lierte und auf die reine Wahrnehmung beschrfinkte, um so größer war 
die reine Erfahrung, die unmittelbare Gewißheit, die Realität desGegen- 



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Die Elroberunff des neuen Lebentgefühles 



Standes. Eine W eit hinter dem Gesehenen, ein Wesen hinter der Erschei- 
nung? Smriel Skeptizismus war blanke Metaphysik, Gehimspuastmi Ton 
Leuten, die durchaus unpraktisch und Inologisch wertlos 'waren, TonLeo* 
ten, die nicht sehen konnten. „La nature ... Je sais Tadmirer ^ prtent 
et je la trouve tellement parfoite que si le bonDieu m'appelait et mede- 
mandait ce qu'il doit y cornger, je r^pondrais que tout est hien et quil 
ne laut toucber ä rien." (Rodin) Und steigerten sich nicht die FBhig- 
keiten und Möglichkeiten zu schöpferischen Gestalten, je schärfer, nuan- 
cierter, eindrucksfähiger dieses neue Erkenntnisorgan wurde? „La sensi* 
hilitö de chacun est son g^nie." (Baudelaire) 

Was enthielt denn die reine Wahrnehmung? Nicht die Realität des 
Objektes. Schon der Umstand, daß in der Organmnsse dasGetast und das 
statische Gefülil fehlten — also die beiden Sinne, die i^as Konkrete eines 
Objektes hauptsächlich statuieren — zw tif:rt uns hier zu einer Prüfung. 
Die Realität war nicht das Ding, sondern der einzelne Bewußtseinsinhalt, 
die Empfindung, d. h. ein Schnittpunkt zwischen Geist und Materie. Dies 
Subjekt aber — das erkenntnistheoretisch immer notwendig zur Erfassung 
. des Objektes gehört — war nicht das Bewußtsein überhaupt, sondern das 
{^ychische Subjekt, nicht das steil ungnehmende mit der Fälligkeit zu 
apriorischem Wissen b^abte, sondern das betrachtende und damit au den 
Gegenstand seiner Betrachtung gebundene Subjekt ^ und dieses in deiner 
individuellsten Form. Damit war einerseits die ganze Welthildung aul' 
eine von aller bisherigen Erkenntnistheorie ganz Terschiedene Basis, auf 
die Ebene desPsycfaologismus projiziert. Objätt und Subjekt standen'dch 
nicht mehr als Welten gegenüber, die in dem Akt der Schöpfung in ihren 
letzten Wuneln zu vereinen und bis in ihre letzten Ausläufer -in der Er- 
scheinung zu versinnlichen waren, sondern sie waren von vornherein mit- 
einander eins und immanent. Darum mußte andererseits nichts Wirklich- 
keit besitzen, was nicht Bewußtsehisinhalt werden konnt^ weder das 
Ding an sich, noch das Bewußtsein überhaupt, ja konsequenterweise nicht 
einmal das, was über den einzelnen Wahrnehmungsakt hinausging. Mach 
hat diese Konsequenz gezogen. Das Ich, das die Mannigfaltigkeit der Vor- 
stellungen bindet, sie zu einer Einheit schafft, ist eine belanglose Fiktion. 
„Nicht das Ich ist das Primäre, sondern die Elemente bilden das Ich." 
Die reine Erfahrung, der E-VVert des Avenarius, war also eine Begren- 
zung auf das vom Ich Erlebte, eine Einschließung des Ich in sich selbst, 
in seine eigene Welt, in der ihm eine Erweiterung nur durch eine Spal- 



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«WWIMMWMWf»«WWMIlW«ntWll»IMMlWM«»»M»M«MIM»*MttWMI»llllWWMIII MM IM M IIIIIItM«IWMM»Mt>t»>t^ 

t ung möglich war. Die Reflexion desTch auf dasTrli ergab ein Mich etc., 
eine Reihe ad i:ititiitum, die die Situation des impi essiouistischen Ich als 
eines beob.u litr nden noch einmal scharf kennzeichnet. 

Das also war das Resultat des einen Organs des impressionistischen 
Künstlers: Uie völlige Zerstückelung der Welt in ihren festen Begriffen 
als Körper und Ich, die Individualisierung des einzelnen Sehaktes, der die 
einmalige und jedesmal liesondere psychisch-physische Gegebenheit ent- 
biet, die Anerkennung desselben als Wahrheit, so daß demGesehraiennur 
das Nichtgesehene, nicht das richtig oder falsch Gesehene gegenübenteHt. 
Aber scbondieses Orgpoi selbst weist über seine atomisierende Funktion hin- 
ausy indem es sich durch die andern Sinnesorgane yervoUständigt, sich mit 
ihnen zu ein«r neuenEinheit yerbindeL Fs waren TOraUemdiesogenanntein 
niederen Sinn^ die sich mit dem Auge zu einem großen Fest verbanden, das 
einen hineintrug in d ie t i eis ten Geheimnisse des Daseins. Maayermiscfatesiey 
spradi von audition color^e, und Baudelaire schriebdenbekannten Hymnus : 
Wie lange Echos fem zusammenklingen 
In dunkler Einheit durch die weite Luft, ^ 
So wollen stark und innig sich verschlingen 
Die tief verwandten: Farbe, Ton und Duft. 
Die Kinheit der Sinne wurde zu der Forderung, daß der ganze Mensch 
mit seinem Fühlen, Wollen und Denken an der Schaffvuig der Realität be- 
teiligt sein sollte, und Bergson schuf diesem iVIensclien ein einheitliches 
Organ; die Intuition. Sie bedeutet den Gegenpol zum analysierenden Auge 
(Intellekt). Denn sie trägt den Menschen gleichsam vor aller bewußten und 
notwendig vereinzelnden, absondernden Tätigkeit des Intellekts in das Ganze 
als Ganzes hinein und zwar an seine Quellen. Diese konträre Doppdiheity 
diesesSchwankenzwischendenPolwdeseinenruhend^undanaljsierenden 
Auges und der den ganzen Menschen in das Absolute hineinfahrenden In- 
tuition zeigt deutlidiy daß dieOrganmasse in ihrer Struktur ungegliedert 
und uneinheitlich war, weil sie die tiefisten Wurzeln des Sulqektes negterta. 

Welches aber war nun die Ganzheit, die die Intuition unter die vlfllig 
zerstOckelte imd in ihrer Zerstücklung statuierte Empfindung ausbreitete? 
Buie Einheit, die im Menschen keinen Platz gefunden hatte, mußte not- 
wendigerweise eine überempirische, eine metaphysische sein. Es war die 
Einheit des Gesetzes, die Einheit des Geschickes, die Einheit des Kosmos. 
Es war das All als Bewegung. Das Absolute, die Einheit war ein Strom, 
d^, in unaufhÖrUchem Rollen sich ergießend, nicht nur alle festen Begriffe, 



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Die Eroberung de« neuen Leben*! 



alle Substanz wegschwemmte, sondern jedes Ding der Realität von sich aus 
bestimmte, formte, bildete. Dieses Absolute war der ew ige Fluß, die große 
Bewegung von der Anidbe zum Menschen und zum Obermeiischen, too der 
Materie zum Geist^ war das Geschick, dem der Einzdne nicht nur unter- 
werfen, ndn, aus dem er gebildet war. ^^LliommeestleproduitdusoleiL'' 
(Geifroy). Dieser kontinuierliche Strom, diese absolut gewordene Zeit hat 
schöpferisdie Kraft und der Einzelne war ihr Produkt Wegen dieser Im- 
manenz konnte man rückwärts ^ jeder Einzelheit des Lebens die Ganzh^ 
seines Sinnes finden'^. (Simmel) Und so stellt sich das Verhältnis zwischen 
Mensch (und Gegenstand überhaupt) und diesem unpersönlichen Gesetz so 
hesTf daß alle geistig-schöpferischen Fähigkeiten nivelliert^ die Momente 
aber, die früher nur als dieselben beeinflussend galten, in dem Gesetz 
verabsolutiert werden. Hierin liegt der Sinn des Kampfes gegen den 
Willen, das Bewnßf^ein nnd die Transzendenz von Subjekt und Objekt, 
hier die Wui-zel von Flauberts Romanen, der Taineschen Kunstlehre, 
der Marhschen Philosophie wie der impressionistischen Malerei. Für diese 
bedeutet es nach einer radik ileii l>cit ciung von allem fonnalen Vorwissen 
um die Dinge, u^ch aller Ausschaltung fixierter "Vorstellungsbegriffe und 
traditioneller Gewohnheiten eine Auflösung des (iegenstandes sowohl in 
seiner geschlossenen i oirn wie m seiner EigenbeiieuluiJg m die Atmo- 
sphäre, die Auihebung derMaterialbegriife z. B. der Lokalfarbe, der Linie, 
der dreidimensionalen Form in dne Relation Kumlicht, dn Betonen der 
Ersdieinung und ein FortrOcken derselben in die Feme, die Beseitigung 
des Raumes als einer anschaulichen Kategorie. Farbe, Form, Raum, alles 
war nur Empfindung, d. h. eine in ihrer Einmaligkeit besondere Eischei- 
nungsfonn des Gesetzes; und die Wahrnehmung überliefert sie uns in 
ihrem ganzen Sinn und Wesen. 

Dieser Akt der reinen Wahrnehmung hatte nicht nur seine besonderen 
Funktions^eder, sondern auch seine besondere Art der Stellungnahme. 
Vor allem war er dadurch gekennzeichnet, daß er mehr ein reaktiver als 
ein aktiver war, mehr G^|;enbeweguog als Eigenbewegung. Und als Re- 
aktion bedeutete er eine passive Hingabe an die Objekte, ein feminin- 
hinschmelzendes Slch-befruchten-Ia.csen, ein Aufgehen im Objekt^ und 
zugleich ein schnelles, «sofortiges Reagieren nach der Befruchtung;, ein 
unmittelbares Folgenlassen des Tuns auf den Eindruck, ohne daß die Er- 
innerung an früheres, ein Kombinieren mit ähnlichem oder entgegenge- 
hetztem dazwischen trat. Aus diesem FesthaitenwoUen des vorCibereilen* 



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A 




Claude I^Ionet 



Venedig (Abb. 3) 

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Coli. Purrmann 



Auguste Renoir Landschaft (Abb. 4) 



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Phüt. F.. Drutt, Faris 



Augusto Ronoir 



Landschaft (Abb. 5) 



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Phot. K. Druet, Parit 



Calai» 



Auguste Rodin Die Bürger von Calais (Abb. 6) 



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' Der Impressionismus 57 

H«««>MMintni<ininmiiiitt>na>Mit>>nf>M««»M«>H«<>M«Hi<wHMnMmntNnM«iMii>iiif>><>«tttii«i>>H<<tii>i(i<«>»iiMi«itii«ittnin«tM<«<n<»n> 

den Momentes resultiert dann die eig^e Arbeitsmethode: ,,Monet föngt 
z. B. eine Landschaft beim Sonnenaufgang im Morgennebel an und fixiert 
auf der Leinwand die eigentümlichen Reflexe, die die aufgehende Sonne 
darauf wirft, und da er ausschließlich das malt, was er wirklich vor Augen 
hat, kann er natürlich nur eine bcgrrnzle Zeit an dem Bilde malen, er 
muß es beiseite tun, sowie die Sonne hoher steigt und die Morgennebel 
durchdringt, und er kann es erst beenden, wenn dieselbe Luftwirkung 
• wieder eintritt ... li.s hat sich herausgestellt, daß es viel leichter ist, 
verschiedene Vorwürfe unter flüchtigen Bedingungen zu malen, als immer 
dasselbe Thema zu wiederholen und es durch äußere Einflüsse zu vari- 
ieren. Im Fluge die Verfinderungen zu erfessen, sie lebendig auf dem 
Bilde wiederzugeben, scheint ^Prozeß von feinstem Zartgefühl zu sein, 
der eine ganz außergewöhnliche Auffassung, ganz besondere FShigkdten 
und gespannteste Aufmerksamkeit erheischt. Um sokhe Landschaften zu 
mtOeaf maß man vollkommen vom Gegenstand abstrahieren können. Man 
muß dahin komm^ von der unbeweg^ichNi Grundlage der darzustelleu- 
dm Szene das Atmosphärische loszulösen und zwar in raschester Folge^ 
denn es kann vorkommen, daß die verschiedenen Effekte, die man in ihrem 
flüchtigen Erscheinen erhaschen muß, ineinander greifen und leicht un- 
klar werden, wenn das Auge sie nicht im rechten Moment erfaßt . . .** 
Wir können jetzt mit ein paar Worten auf die inhaltliche Bestimmung 
der impressionistischen Empfindung, die wir als den Gegenstand der Ge- 
staltung erkannten, eingehen. Wie sehr wir auch ans Ciriinden der Dar- 
stellung gezwungen sein werden, die ausrlrückliclje }5s\ c iiisch-physische 
Einheit zu zeneiHen, werden wir doch keine anderen Momente des 
'Inhalts finden als diejenigen, die in der Spannung der schaffenden Or- 
gane und m dem gegenseitigen Verhältnis der physischen zur psychischen 
Seite begründet sind. Zunächst ist es charakteristisch, dalJ das gegenständ- 
liche Moment des Inhaltes, das rein Natinrhafte (physische oder psychi- 
sche) die moralische Seite bedeutoid überwiegt, ja töt^ Sine völlige Ni- 
v^liening — zugleich mit einer Erweiterung des Stoflkreises — auf ein 
Mittleres^ auf ein Unbedeutendes^ Belangloses —. das ist der Impressionis- 
mus. Nidit nur dem Stoffe nach^ daß man Kohlköpfe bevorzugt und alles 
zum Stillebai degradiert, sondern vor allem dem Gehalt nach. Ich vvüßte 
kein deutlicheres Symbol, als daß bei den Rddinschen Fartr&tbflsten die 
Modellierung gewöhnlich* unmittelbar über den Augen mit deren starker 
Betonung aufhört, während die Stirn mit gleichgültiger Glätte behandelt 



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58 



Die Eroberung des neuen Lebensgefühles 



ist. Zwischen der g;roßen Idee und der völligen Banalität des Realen wußte 
man eine Zwischenstufe zu finden. Tn der Welt der Objekte g ib m;ni 
statt der Gesetze ihres Wettleu<5 ihr rtlhniihliche'^ Tneinander-übcr[liplien. 
Himmel, Fade, W, isser zeriiossen in eni Element und Kodm „seinble 
d'avoir assisie au cycle des mi'tamorphoses". (Camille Lemonier) Die 
durch diesen Zusammenhang geschaffene Alleinheit der Welt ließ zwi- 
schen den BegrifTen neue Stufen, Übergänge erkennen, in diesen Zwi- 
schenlagen fand der Impressionist seinen neuen und ungewohnten Stoff, * 
der ihm viele Anfeindungen eingebracht hat, der aber nach dem päda- 
gogischen sekker Existenzfixierung jegliches Interesse einlififit. Statt 
des Konkreten, Dinghaften, gab man den Schein, die Oberfläche die Haut 
Auf ihr lag das Spiel, das Geflimmer des Lichtes. „Ce ne sont pas des 
^tres, mais des attitudelB d'ötres, des valeurs — c*est k dUre lar^tö.'' Alles, 
was Gerüst war und als solches AusdruckstrSger des Geistigen, war ▼er« 
pttnt^ man hielt sich an Accidentielles, an unbelebt Materiales; dadurch 
wird der Widerstand kleiner, die Möglichkeit der Willkür größer, die 
Tendenz zur Belebung umfangreicher. Man verschmähte auch den letz- 
ten Halt des Objektes, seine sinnlichen Qualitäten. Diese werden in ihrer 
physischen Natur aufgehoben, umgewandelt in physiologische; Wärme, 
Frost, Geruch, Wind-Fühlen. 

Die gleiche Ästheten Weisheit spricht notwendig aus dem psychisrhen 
Inhalt. Statt des starken Ausdrucks prickelnde Mischgefühle, ?t;3tt des In- 
tellektes das Geistreiche, das Bonmot, statt dps Willens den tMiier Sum- 
mung weich und zart sich hingebenden Zust liauer. So ist keinei der 
Impressionisten trotz der großen Erleidensfähigkeit, die vor allem Kodin 
auszeichnet, über das Traurige hinaus zum Tragischen gekommen. Uber- 
haupt fehlen alle jene Gelühle, die sich allein aus dem Dualismus von 
Subjekt und Objekt und der Forderung einer zu schaffenden Einheit her- 
leiten: das Pathos und das Erhabene. Es fehlt aber auch jene Mannig* 
faltigkeit von Beziehungen, die ftber das individuelle Ich in größere Zu- 
sammenhänge hinausweisenidasReligiöseunddasSoziale. Der Impressionist 
ist Pantheist Indem er der Erkenntnis des Gesetzes nachgeht, das das 
einzelne Dasdn gebildet hat, betet er jede seiner Erscheinungsformen an, 
aber er erlüst sie nicht. Mbb läßt sie in dem grausam-einsamen Zustand 
ihres Geschaffensöna und verhfUh ihn durch Artistentum. Sie sind nur 
einsam endliche Ablagerungen des Gesetzes, nicht selbstsichere und ewige 
Trager des Absoluten. Dort aber, wo Erlösung dargestellt ist, ist es die 



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MMMlIMB 



Der iMftpnttiioMitiiiiis 



l«M««IIMMN<*t(IMtltMMmittH«M«»l 



Sehnsucht nach ihi\ ni( hl sie seihst. Da g^relfen diese in sich geschlosse- 
nen (ies( liöple über die Welt hinaus, diiekl ins Absolute. Die Welt aber 
kannten sie nie, und darum hat das Soziale keinen Platz. Es ist nur das 
knechtende und bedingende Element; darum wollte man ein zweites füh- 
lendes Du nicht, und wo es einem zukam, da lachle man sich durch die 
Aufzeigung des Bedingtseins, der £ia«amkeit, durch die Untei^treichung 
dos uiärden Will«n% durch Ironie und Blague. Man zog sich — höch- 
fitms umgeben von der ,,Gruppe'' seiner Getreum (den i-a-nem) — in 
den ^Elfimbeinturm des Artisten'^ zurticky ohne zu fühlen, dafi ^iese bür- 
gerlich-aristokratische Ästhetendistanz einen auffidligea Kontrast zu der 
▼ttlligen Stupidität der Weltauffinsung bildete. In dem Haß des« Staates 
waren sich auch Nietzsche und Wagner einig: „Dort wo der Staat auf- 
hört, da beginnt der Mensch, der nicht übecflllsBig Ist: da beginnt das 
Lied des Notwendigen, die dnmalige und unersetzliche Weise. 

Dort wo der Staat aufhttrt — so seht doch hin, meine Brüder. Seht ihr 
ihn nicht, den Regenbogen« und die Brückenköpfe zum Übermenschen?^^ 

So war die impressionistische Daseinsempfindung eine unreflektierte, 
die ihre Existenz zog aus dem Zusammentreffen eines momentanen Zu- 
stande? des realen Daseins mit nincm nnreflektierten psychischen Zustands- 
gefühl. Dieser Grundlage (deren psychologisches Gesamtthema zu geben, 
ideale Forderung der W' issenschaft wäre) ist keinerlei schöplerische Kraft 
zuzuschreiben. Sie ist die Basis, aui der geschaffen wird^ sie wird im 
schöpferischen Akt verarbeitet. Der Künstler ist von ihr abhängig, soweit 
sie von ilim geschaffen ist. Darüber hinaus kann er mit ilii je nach Maü- 
gabe seiner Kräfte schalten. Zunächst gilt es, ihre Bestandteile zu ver- 
schmelzen und ihnen einen einheitlichen Gehalt und erscheinungsmäBi- 
gen Ausdruck zu schaffen. Der Weg ging histonscfa alltnfihlich vorwärts 
und durfte in seinen Hauptetappen jäer einzelnen Schöpfung selbst des 
reifen Meters in abgekOrzter Form zugrunde liegen. Zunädbst bestand 
noch keine Einheit zwischen dem psychischen Gehalt, der körperlichen 
Gegenstandsform und dem MateriaL Der geistige Ausdruck hat die stoff- 
liche Form noch nicht zu einer Einheit mit sich gezwungen, jbo da8 er 
ein materielles Eigenleben erhält, das sich vordrängt', wegdrängt von der 
Erscheinungsform im Material, während dieses eine eigenstoffliche Be- 
deutung erhält, weil es die formstoffiiche noch nicht ausdrückt. Das psy- 
chische Leben geht noch über ein Festes, einen Begriff. Der Weg 
führt durch die Atomisierung alles Substantiellen, ding- und begriffbaft 



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6o 



Die Erobenuig de» neuen Lehemgefühle« 



FaßbareDy duicfa kooGequente Analyse bei zunehmender EHiferenaerung 
der Organe zu einer T<Jlligen Einigung Ton innerem Ausdruck und Mittel 
in dem neuen Stoff dcar Atmosphäre^ Diese — als der unmittelbare ' Au^ 
drück des Gesetzes — hat die peydiisch-physischeEmpfindungseinheit in 
sich aufgesogen und bestimmt den Gegenstand von sich aus^'vvobei sie seine 
Eig^bedeutung auf jenes Minimum zu reduzieren vermag^ in dem der 
ihn bezeichnende Farbfleck nur mehr einSuggesttonsmittelistyibnui der 
Vorstellung henrorzurufen. Zunächst hat man diesem neuen Gegenstande 
gegenüber eine gewisse Ängstlichkeit. Eine feminine Nervosität klanunert 
sich an jede'^ Drtail, und jeder Teil wird dem andern als koordiniert und 
gleichherechtigi angesehen. Mit der Sicherheit ändert sich die proportio- 
nale Zusammensetzung der Elemente, die Din^e treten zii^imsten der 
Atiiiobphäre zurück, und man steigert absichtlich, um diese m einer über 
die Natur hinans/rehenden Weise zum Ausdruck zu bringen. Unter dem 
Einflüsse der Japan« r befreit mansichallmählii Ii übei lidupt von der ^eg;en- 
stän(ilic:hen Struktur, um an ein- und demj^elbeii Gegenstände die all- 
mähhchen V^änderungen der Atmosphäre um so deutlicher darstellen zu 
hdonen. Damit war man Herr seines Stoffes geworden, konnte mm die 
Teile dem Ganzen subordinieren, sie in das Ganze wnhffflcn, das sich 
immer mehr einer stoffhwen Vision n&herte. Der Gesang der Welten in 
▼erzückten Sinnen, das ist m später Monet oder Rodin. 

Daß der Weg in dte* Vision endete^ kann uns nicht wundem,' da wir 
sahen, daß der Impressionist dank seiner Negietung des Dualiimus von 
Sub)ekt und Objekt von dem letzteren nur seinen Schein erfaßte. Damit 
war die Einheit, die er erreichte^ dazu verdammt, eine stoffliche zu blei- 
ben, eine Stimmung oder ein materieller Zusammenhang, eine in sich 
unlebendige Einheit. Das Wesen des Geistes, das Antithetische hat sie in 
dem sich selbst setzenden Konflikt nicht zu finden gewußt und damit die 
innere Lebendigkeit und Eigenproduktivität nicht erreichen können. Diese 
Einheit ist von vornherein keine Organisation aus den Gesetzen des Gei- 
stes und der Materie, sondern eine materiale Vereinigung derselben und 
als solche dem Prozesse der Formbildung entgegeDgesPt/l, der imnier 
Entmaterialisierung und Überwindung der reinen Stollliclikeit bedeutet. 
Betrachten wir dann die einzelnen Elemente, die wir als an der Form- 
bildung beteiligt erkannten, in ihrer Erscheinungsform im Impressionis- 
mus, so sehen wir zunächst eine völlige Disproportionalität in ihren Be- 
ziehungen zueinander und den reinen Empfindungscharakter, in dem sie 



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Der Impressionismiu 



61 



BU^e&Bt werden. So hat die Zeit die Prioiitit vordem Raum gewonnen, 
dem unumgängliefagten Realisationsfolttor der inidenden KnmL. Aber 
welcher Art ist diese Zeit? Sie ist der ahsolute FhiB, wie wir ihn wahr- 
nehmen, wenn wir aus dem reinen Gescähehen hingeben, die absolute 
Zeit, die Zeit als AbkuE Aber dieser Veriaui wurde durdi die Vereinze- 
lung des Sehaktes (Emp£mdung^tes) fixiert, stillgestellt. Während das 
Kosmische vibriert, die Bewegung abläuft, ist der Moment fix, das Be- 
wegungsmotiv leblos und tot. So hat zum Beispiel Rodin in seinen „Bour- 
geois de Calais^ darstellen wollen, wie ein Ablauf von bestimmten Ge- 
gebenheiten (eine Belagerung bis zur Schlüsselübergabe an den Sieger) 
sich in einzelnen, in ihrer Individualität bestimmten Menschen spiegelt, 
oder: ein Ablauf von Erlebnissen eines bcstuTirntcn Individuums wird in 
einem Moment derselben zur Erscheinung gebrarlit, so daß die Gesamt- 
heit der individuellen Gegebenheiten in diesem Moment zum Aufdruck 
kommt. ist zu beachten, wie alles äußerlich Allgemeine aus der Kon- 
zeption gestrichen ist. Die Menschen erleben nicht die Belagerung, den 
Entschluß, das Ziel, sondern ihre Belagerung, ihren Entschluß, ihr 
ZdeL Man könnte sich denken, daß ein Künstler die sechs Menschen in 
einen emheitHchen Bewegun^^zug zusammengefaßt und Jeden einzelnem 
dadurch charakterisiert (und jdastisdi-rSunilich geordnet) hätte, daß er 
ihm dnen besondem, foitschrntenden Grad der BereitwiU^keit und des 
ZOgems gab. Für Rodin aber existiert nichts Allgemeines^ Überspannen- 
des, Gemmsamee, das man a priori in Stufen zerlegen kann. Jeder Mensch' 
Ist eine besondere Qualität, aber nicht dne verschiedene Quantität auf 
dem Wege zu einer h^roisch^ Tat. Der Zeitablauf und die individu^e 
Dififerenz sind absolut, einmalig und nicht zerlegbar. Was also dargestellt 
ist, ist die Kondensierung eines Ablaufes an einem Punktedesselben. Auch 
dieser Punkt ist nicht allgemein, begrifflich faßbar, sondern schwebend, 
individuell verschieden. Eine absolute Notwendigkeit für die Wahl dieses 
P\ml<te'= besteht ebensowenig wie für dieWnhlvon sechs Personen. Erstere 
ist relativ mit Beziehung auf den Künstler, letztere mit Bezug auf die Historie. 

Das ist der Fluch ieder nur als unmittelbare Empfindung ert ißten 
Wirklichkeit, daÜ sie zwischen den Polen metaphysischer Verab&olutie- 
rung und Negation, zwischen dem AU und dem Nichts hin und her pen- 
deln muß. Wie hier die absolute Zeit zum Punkt wird, so nähert sich 
die dreidimensionale Unendlichkeit des natur hallen Raumes seuier völli- 
gen Ausschaltung auf der Fläche. Der Raum war für die Impressionisten 



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02 IMe EndiOTinig de» neuen Lebensgefühlea 



gleichsam ein grenzenloees Gefllß^ durch das sich flutend der Verlauf des 
atmosphärischen Lebens ergoß. kam allein darauf an, die momentane 
Sonderheit der Atmosphäre in ihrer Gebundenheit an irgendeinen Raum- 
teil wiederzugeben. Die Au%abe, ihn als eine in sich beruhende Einheit 
zu schaffen, war dem Impressionisten — dank der Funktion, die er ihm 
zuwies, — überhaupt nicht zu Bewußtsein gekommen. Eine Gestaltung 
wird überhaupt nicht versucht. 

So konnte der Weg zur absohaien Gestaltung nirgends betreten wer- 
den, weil die Einheit der stoffhchen Kontinuität Kategorien eino;efühjrt 
hatte (oder besser in ihnen steckengeblieben war), die ihr völlig entgegen- 
gesetzt sind. Dem reinen Impressionisten lag nnrh nichts ferner als der 
Wille zur Notwendigkeit. „Die unbelaugene Überlegung lelirt, daß jedes 
praktische und intellektuelle Bedürfnis befriedigt ist, sobald unsere Ge- 
danken die sinnlichen Tatsachen vollständig nachzubilden vermögen. Der 
Wert der Gesetze reicht nur so weit als ihre Hilfe hierzu." (Mach) Oder 
subjektiver ausgedrückt: „Uns ist die Form persönlicher Einheit, zu der 
das Bewußtsein den ol^ktiven, geistigen Sinn der Dinge zusanunenführt, 
von unvergleichlichem WerL^ (Simmel) Die impressiomstische Kategorie 
war dieBeschmbung und die Ordnung, wodurch dann auch eine gewisse 
Einheit des Werkes erreicht wurde. 

An die Stelle der Formbildung, die die Funktion hatte, eine TotalitSt 
vertretend darzustellen, ist der Farbfieck getreten mit der Au%abe, filr 
die Sensation den materieUen Ausdruck zu finden, der de am unmittel- 
barsten, treffendsten und wohllautendsten wiedergab: die beschreibende 
Phrase statt der gestalteten Form. Dadurch gewannen nicht nur die Ma- 
teriahen, sondern vor allem das Metier und die Technik einen ungeheu- 
ren Wert, weil sie ja die unmittelbarsten und einzigen Ausdrucksmittel 
waren. Dabei sind sie in einer auffalhgen Weise auf ein Minimum be- 
schränkt. Das Licht hatte die Linie zersprühen lassen und die Farben 
auf die des Spektrums beschränkt. An eine Einheit de-^ Mittels, an sein 
dreidimensionales Knntimnim war nicht mehr zu denken. Soweit es form- 
los war, Fleck, Pigmeiii, Komma, strukturlos, vokalhafl — nur soweit 
sollte es das Urm Ittel überhaupt bedeuten. W as W agner fürdas Wort formu- 
liert hat, gilt rnutatis mutandis für die Malerei. Forscht der Dieliter nach 
der Natur des Wortes, dessen er sich bedient, „so erkennt er die^e zwin- 
gende Kraft in der Wurzel des Wortes. Versenkt er sich tiefer in den 
Oiganismus dieser Wurzel, so gewahrt er endlich die Quelle dieser Kraft 



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Der Impressionumus 



65 



in dem rein sinnlichen Körper dieser Wurzel, dessen ursprünglichster 
Stoff der tönende Laut ist . . . dieser .tOnende Laut, der bei voUster Kund- 
gebung der in ihm enthaltenen Fülle ganz tou selbst zum musikaUscfaen 
Ton wird.'' Der Auftrag und die Anordnung der Materie waren den 

feinsten Abwägungen unterworfen, und nicht selten mögen dem Künstle 
die einzelnen Farbflecke in ihrer Struktur und materialen Schönheit Aus- 
gangspunkt einer Konzeption geworden sein, die nur den Rausch dieser 
Materie als Selbstzweck zum Inhalt hatte. 

Nach welchen Gesichtspunkten aber wurde diese Materie geordnet? 
Dem Prinzipe nach ist jeder Sehakt gültig. „Monet trouve que tout ce 
qui existe est beau, que tout est ä peindre." (Duret) Und doch war es 
schon der Realität gegenüber nur ein kleiner Teil, der Gegenstand der 
Kunst wurde. Die Proporiion zwischen den Aktions- und Per/.eptions- 
organen hatte über jede dogmatische Formulierung hinweg Begrenzun- 
gen geschaffen. Immerhin bedeutet der Impressionismus dem Prinzipe 
nach eine Erweiterung des Stoffkreises. Wie der Glaubenssatz eines mo- 
dernen Naturwissenschaftlers nach Münsterbergs fein satirischer Formu- 
lierung lauten kdnnte: „Wenn alle in Raum und Zeit ablaufenden Atom- 
bewegungen und BewuDtseinsprcMEesse bekannt und erklärt wiren, so 
hätte die Wissenschaft keine Au%abe mehr vor äch% so der des Malers, 
daß alle malbaren Objekte erschöpft wMren^ wenn man alle Sdnmden des 
atmosphärischen Verlaufes auf allen Erdteilen in ihrer Gesamtheit abge- 
malt hätte. Daß man dieses herrlichste Lexikon, diesen Speicher von 
^enqudtes sur les variations de la lumi^ solaire" nicht wklich ausf&llen 
konnte, das war nur eine bedauernswerte Schwäche der moosdilichen 
Kräfte. 

Mußte durch die Grundlagen selbst imd durch die Überlegung, daß 
der Gegenstand der geeignetste Träger des Stoffes der Atmosphäre sein 
müsse, eine beschränkende Auswahl gegenüber der Unendlichkeit der 

Natur getroffen werden, so war doch aber in jedem einzelnen Sehakt 
)eder leil gültig, den man sah? Denn wollte man die reine Erfahrung 
in ihrer ganzen Realität nicht verfehlen, wie hätte man etwas von ihr 
weglassen sollen und was? Die Wissel iscbalt kann „nh eine Minimum- 
Aufgabe angesehen werden, welche darm besteht, möglichst vollständig 
die Tatsachen mit dem geringsten Gedankenaufwand darzustellen". (Mach) 
Es ist offenbar, daß dieses Ökonomie- Prinzip nichts anderes bedeuten kaim 
als eine nachträgliche Ordnung, als am regulativem Prinzip, das mit \en&a 



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6^ 



Die Eroberung des neuen Lebensgefuhles 



konstituiereiideii Prinzipien, die nit forderten, nichts gemeinsam hat^ daß 
ihm Übeifaaupt keinerld 8chaßiBiide^ gründende Kraft innewohnt. Daher 
bestimmt sich dann die Ökonomie in demVeihältnis der Teile aunGan^ 
zen alldn aus dem annlichen Geffihl der Lust und Unlust, ein objektives 
Moment fehlt völlig. Ordnungspriiizipien waren also auch für den Im- 
pressionismus innerhalb der Beschreibung nicht zu umgehen. Aber da es 
nicht die erkenntnistheoretisch allein galtigen, konstitutiven Prinzipien 
des schttpferiscfaen Triebes überhaupt und der Malerei im besonderen 
v^raren, so war der Zusammenhang, den sie herstellten, nicht bildorga- 
nisch-logisch, sondern stofflich, stimmiinn^shatt. Die Mannigfaltigkeit war 
nicht die Totalität oder Kontinuität der l ormbeziehungen, sondern die 
durch die unendliche Spaltungsmöglichkeit des Gegenstandes zustande 
gekommene Differenzierung. Hier lag der Reichtum des Impressionis- 
mus in der Art, wie er — die Elemente zu einer höchsten Intimität ver- 
bindend — jeden Punkt derselben aus der gleichen Emptindung heraus 
durchtränkt, vergeistigt und so das Leben au jedem Punkte wechseln 
läßt. Das Leben, das man anbetete, wiederholte sich nicht. Die l^nheit 
aber war nicht eine organisch-gegenstibidlidi^ sondern stofHich-zuständ- 
liche. Man hatte den Organismus des Naturkfirpets als FormtrSger ver^ 
neinty ihn in die Atmosphfire au%dftt* Ohne aus diesem Pro^ eine 
neue Kunstfonn gewinnen zu kISnnen, hatte man. ihn mit der Herstellung 
einer neuen Dingform abgeschlossen. Diese tolte das Geschick jedes an- 
deren Dinge% daß es keinen Bestand in sich selbst hat» daß es ddi iti den 
Raum hinein Toxliert. Freilidi kann man nur ungerechter Weise eine 
Art Einheit verkennen. Sie ist musikalisch-stimmungshaft, getragen von 
der völligen Harmonisierung des Lichtes durch die Harmonie der Farbmi^ 
Dies bestimmt sich durch die Angleichung der Farbcai aneinander, deren 
Hauptklang die kontinuierliche, förmlich auseinander erwachsende Reihe 
gelb-grün-blau war, in den der Kontrast des Roten mit der höchsten Pi- 
knnterie hineingesetzt wurde. Dann aber durch die Abschwächung der 
Farben nach Grau hin oder deren Ilai moni-^ierutig auf Violett, das sich 
als Verbindung zwi'^chen Blau und Kot logisch ergab. Dieses allein ist 
der Sinn des Violett^ es ist zunäclist etwas Geschaffenes und nur in diesem 
Sinne Gesehenes. Die Vereinheitlichung verschmäht bisweilen (vor allem 
bei Monet) auch den Rhythmus nicht, aber es ist der offene, raumlose 
Rhythmus, die casurluse Bewegung in Distanzen, ein Wohllaut mehr als 
ein Gebilde. Optisch aber ist die Einheit nur eine omamentale, ein Aus> 



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Dvr Imjpeirioiiiimtti 6^ 

schnitt, der das Bild als organische Einheit in demselben Sinne ersetzt 
wie der Farbfleck die Form. Der Unterschied besteht darin, daß der Aus- 
schnitt ein unabhängig von sdnen Teilen Fertiges ist^ nvliliiend das Bild 
die Gesamtheit seiner Teile zu seiner Erzeugung Twaiissetzt. Das streng 
logische Verhältnis, das hier herrscht, ist durch ein gefühlsinäßiges er- 
setzt, die bildorganische Einheit durch eine stimmungshafte. Der Aus- 
schnitt aber war immer so genommen, daß die Rande^renzen aufgehoben 
wurden, sei es durrh ein abruptes Hinemragen von Gegenstandslragrnen- 
ten in das ßiki innere, sei es durch eme solche Anordnung und Verschnei- 
dung der Gegenstände im Bilde, daß diese über den Rand lunaus auf 
ihre Vollendung hindrängten, um so stärker, als die Grundrichtungen 
der Senkrechten und der VVagrechten niLlit gebraucht wurden. So drängt 
das Kunstwerk in die Natur zurück, weil es in sich selbst nicht soweit 
Tolkndet war, daQ es in sich Bestand hatte. 

Hier ist nian den Grenzen der impressionistischen Kunst am nächsten. 
Nicht daß ne die Dinge, aus denen die Empfindung resultierte, als solche 
wieder hinsetzte, um die Empfindung zu erwecken, ohne sie zu steigern 
oder in ein Allgemeines zu transponieren — nicht das ist der Vorwurf, 
den wir ihr machen, sondern dal3 sie mit diesen ReaUsmus nicht zur 
Gestaltung kam, Naturalismus blieh. Wie sehr auch die impressionisti- 
sche Daseinsempfindung historisch neu imd in ihrer Konsequenz eigen- 
artig gewesen sein mag, die Kunst. selbst ließ sie völlig im Leeren, sie 
reicht nicht an diese heran. Jede f einwand eines Impressionisten ist eine 
Skizze. Man hat diesen Vorwurf durch einen sehr billigen Vergleich mit 
Meissonier abzuweisen gesucht, woraus natürlich die Überlegenheit d^ 
andeutenden Verfahrens resultierte. Ich meine aber nicht dieses, sondern 
daß die Werke als Gestaltung Skizzen sind, Fragmente erster Ansal/e zur 
Gestaltung, zufällige Stufen auf dem Wege vom Nichts, vom Chaos zur 
absoluten Gestaltung. Nichts spricht deutlicher für den ganz fragmenta- 
rischen Gestaltungscharakter als die völlige LJnsehbar keit eines impressio- 
nistischen Bildes. Um ein zusammenfassendes Beispiel zu geben, nehme 
man Rodins „La main de Dieu*', ein Werk, das zugleich den impressio- 
nistischen Schöpfungsprozeß in seiner völligen Ungeltetheit der Zusam- 
menhänge von Material,' Schaffendem und Geschaffenem symbolisiert 
und diese Immanenz hinausführt vom Werk in die Luft, in der es steht, 
so daß em einheitlicher Strom Natur und Natur, Stein und Luit verbin- 
det. Aber das Werk selbst, das die Manifestation dieses Stromes ist, kann 



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66 Die Eroberung des neuen Lebensgefuhl^ 

«••••««••««tmCMMMM »MttMMtMMtmMUtHMMIItMtfiniltlMMMIItMVMmiiniUiaillttmMimtMfffaMimilll II iiiiiiitii«llt«aiM»«ilt»«M 



nicht unsehbarer sein. Unsere Abbildung gibt die geschlossenste Ansicht. 
Aber nicht zu reden von den Gliedern, die auch hier noch in laiunliches 
Dunkel versinken, vermißt man bei der Größe des D<iiinicns vor ullem 
die IJand. Indem man sie sucht, trifft man die sonderharston Ansic hien. 
Je vollbtandjgei die Hand wird, um so abrupter hangen die KuipergUed- 
maßen in der Luft herum, von ihr zerschnitten und sich gegenseitig zer- 
schneiiiend. Und wenn wir sie in ihrer feinen und lebendigen Modellie- 
rung groß und wuchtig über der dunklen Höhlung thronen sehen, hängt 
zwischen Daumen und Zeigefinger ein Bein hinein. Weiter drehend wird 
die Ansicht «nnlos* Lanks krampfen sich Finger und FingerteUe in den 
Stein, rechts oaumeln Glieder und Gliedfragmente unbezeichenbarer Art 
wie angeflogen am Stein herum. Rodin nannte diese Qual des Gedrdit« 
Werdens ^e mouTement dans l'air^. Sie erledigt sich nicht durch eine 
größere Subordination der einzdnen Ansichten unter eine Hauptansicht, 
da sie das Ergebnis einer vöUjg mangelhaften Rc umnostaUung ist. Die 
▼erscliiedenen Pläne sinid nicht organisiert und gegliedert, ihre Kontinuität 
ist allein ehie solche des Stoffes und der Harmonisierung, Vonchleifung 
durch das Licht; der Raum zwischen der vorderen und der hinteren 
Ebene ist gleichsam ein Hohlraum, der keinen Widerstand entgegensetzt 
und darum in jeder beliebigen, nur nicht in der zwingenden Weise aus- 
gefüllt werden kann. Das Problem der künstlerischen Kaumbüduog ist 
überhaupt noch nicht begonnen. 

Es hat sich gezeigt, daß das, was die Eigenart der unpressionisLiSLhen 
Daseinscmpfindung ausmachte, ein völlig unzureichender Stoff für die 
ab.suluLe Gestaltung war. Die Individualisierung des Erlebnisses — die 
(wie wir sahen) nicht eine solche des nur Realen, sondern die eines als 
absolut angesehoien Gesetzes war — - süs G^enstand der Kun^ rehiigi e 
den Trieb zwar Ton allem falschen Vorwissen um die Dinge aus Erinne- 
rung, gab ihm seine sinnliche Grundlage zurück, degradierte ihn aber 
zugleich als solchen auf seine niedrigste, deskriptive Stufe. Der Moment 
und der Rausch des Malbaren konnten die schöpferische Funktion in 
ihrer Tendenz zur absoluten Gestaltung nicht befriedigen, und es ist nicht 
zu verwundern, daß faustisdie Gedanken sie zu erf&Uen suchten. 



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VAN GOGH 



* „. . • vite, vite et pteseö comme le xnoiBBOiieur 

qui se tait sous le aoleil ardent, se concentre 
pour en abattre.*' (Van Gogh) 



Man hat — vor allem in Deutschland — in dem Holländer van 
Gogh den Träger solchen faustischen Allheitsgestaltens gesehen. 
Man beging dabei die in unserer Zeit freilich leichte Verwechs- 
lung zwischen Individualität und Persönlichkeit. Man sah eine Kraft, die 
,sich (unbeinedigt von der sachlichen Sinnlichkeit des impressionistischen 
Scheins) in die Dinge hineingrub mit der ganzen Glut seines Herzens 
und sie aus diesem Feuer neu entstehen ließ, geläutert von ihrer Mate- 
ridüiat., durchtränkt mit dem ßluLe menschlichen Lebens, mit des Men- 
schen Willen leidend und sich aufrichtend. Man sah, wie diese Kraft alles 
mit derselben Oebe durchdrang: den Baum^ dra Straudi; den Hxmniel, 
die Erdej die Ruhe und das Fließen^ den Duft und die Leere. IMe ganze 
Welt scluoa erlebt ab ein sidi in enrigem Wacfasen befindender KosmoSy 
als ein bewußt mit menschlicher Em^ndung wachsender Kosmos. Und 
dann waren Briefe da, die von einem konsequenten und erbittert*«!^- 
richtigen Ringen sprachen und - von Symbolen . . . 

Der Vitalismus van Goghs — das Streben, das unpersönliche Bewe- 
gung und Schöpfungsgesetz des Impressionismus als eine lebendige, aus 
sich wirkende Kraft au&ufassen — ist die große Erweiterung des Lebens- 
gefühleSy die wir ihm danken. Indem das Gesetz Lehen wurde, hob es 
nicht nur die Kluft zwischen seiner Aktivität und der Passivität der Ge- 
genstände auf, sondern es überwand zn «bleich den Kontrast zwischen dem 
Gesetz als Bewegung und der Puuklhaltigkeit jeder Fixierung desselben. 
Lebendige Kraft, Bewegung, das Leben selbst wurde jetzt Funktion, die 
auch in jedem Ausschnitt noch, Bewegung, noch Ablauf und Werden war. 
Die Funktion selbst, das Werden und Wachsen wurde dargestellt. Die 
Zeit vollendet hier ihre Bedeutung als der metaphysische Urgrund der 
Weit, das näana. §et hat durch van Gogh seinen optischen Ausdruck ge- 



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Die Eroberung des neuen Lebensgefuhles 

HlltMfttlllMllflilllMIMIIIMIIMIMaillllllHIMUMMMMlUHinmMM 



luiiden in der Landschaft — das Fallen im ^avin''; das Fliehen des Fel- 
des, der Straße; das Wachsen der CypreeBe^ das Strahlen der Sonne, das 
Flimmern der GrH?er, das Winden der Äste, schließlich das Strahlen des 
Lichtes auf dem Felde, am Himmel, -im Raum^ — wie im Menschen, 
den er als einen sozial tetl^ren (die 'J'äli^keit als Tun) be^^reift oder als 
ein aus dem Milieu herauswachsen dos Geschöpf. Dieser Bewegungsz.ug 
van Goghs, al& unmittelbare Niederschnft psychischer Funktion, entbehrt 
iedes retardierenden Gegensatzes. Er hat die offene Form des Haltlosen 
und Unbegrenzten. Seine Straßen flielien oline Unterbrechung, eine Grenz- 
mauer wirkt unempfiinden, und die Lichtbewegung geht über sie hin- 
weg. Seine Sonnen kreisen in immer weiteren Kreisen und öffiien sich 
▼ersprühend cter Weite des Himmels. Es war die höchste Bewegung, die . 
im Materialen errdLdibar war, die Bewegung als metaphysisch^^materiale 
Funktion. . 

Van Gogh gibt die letzte Konsequenz seiner Eigenart, wenn er die 
fortschreitende Bewegung des lichtes als raumbildend d^tellt, wenn 
Zi B. das Vorschreiten der Abenddunkdheit nch so mit der Raumerstrek- 
kung in die Tiefe deckt, daß sie eins werden. So wird die Beschreibung 
des Naturraumes als eines bewegten der Inhalt seiner Raumgebung, sie 
bleibt also naturalistisch, und seine Mittel — Perspektive und Hochriik- 
kung des Horizontes — schwanken zwischen den beiden Polen des natur- 
illusioniptischen Raumes imd der reinen Fläche; beide aber sind, um das 
Maximum an Bewegung herzugeben, bei van Gogh einer destruktiven 
Snbjektsoptik unterworfen, d. h. der ihm eifrenartigen Fähigkeit, jedes 
optisclie Erlebnis aus seinen struktiven Bedingungen fort in die einmalige, 
dem Künstler persönlich eigenste, oft bizari^te Stellung abzulenken. Er 
verläßt die parallele Raumschichtung in die l iefe oder schafft neben ihr 
eine seilliche, die Flächen im spitzen Winkel durchschneidende. Dieses 
Zerschneiden der faktisch organisierenden Fläche durch eine ideelle Schräg- 
fläche hebt die Organisationskraffc der ersten auf. Diese Aufhebung be- 
tont van Gogh so stark als möglich, indem er den direkten Kontrast be- 
nutzt, und die Raumflucht schräg zur &ktischen, rechtwinklig zur ide- 
ellen Fläche in die Tiefe laufen läßt; oder einen wirksamen indirekten, 
vrarschränktoi Kontrast anwendet, indem ^ die der Fläche immanentem 
Richtungen und Punkte durch die stärksten Farben scharf betont. Da 
der Raum nun nach allen Seiten durchschnitten ist, eröffioen sieb der An- 
ordnung der Massen ganz neue Möglichkeiten asymmetrischer Vertei- 



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Van Gogh 69^ 

•HIMH«ntUH«flHMIHMItI»HUMMIMItlllMIIHHMIII*IM(H<MU«M4(U«Wii(WU>miM«IHMIHIiniiltHIIII I IUI III 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 IlllUmHI 

lung sowohl auf der Fläche wie im Raum: die Aufhäufung der Massen 
bis zum Rande auf der einen Seite, ein tiefes Senken auf der anderen; 
das Ausgleichen einer in die Tiefe fliehenden flachen Straße mit einer 
kompakten, schräg in den Raum hiin iiigescli()l)eiien hohen Hrinsermasse. 
Oder der Kontrast einer großen /Aisii tumenliätigenden Masse, die die Or- 
ganisierung durch die Bildfläche negiert, zu einer Zusammenstellung 
kleiner Teile, die im Hintergi und das Wagrechte der Fläche betonen. 
Das Wesen dieser ganz perböniicheu, destruktiven Optik scheint darui zu 
bestehen y daß mau einer Masse die zur räumlichen und flächenhaften 
Harmome iiötig;e Gegt^unass» verweigert oder besser paradox «ntwortet, 
h. mit einer völlig ungleichartigen und scheinbar ungleichwertlgen 
Gegeomasse. Diese Art zu sehen und m gestalten efstredLt sich natOr' 
lidh bis auf die Farbgebung und Ldnlenftthrung. 

Sq gibt van Gogh eine materiale Raumdynamik statt einer Rauage- 
staltung. Die Konsequenz seines Vitalismus gewinnt eine besonders m* 
teressante Materie an dem Verhältnis von Uisadie und Wir kung. Hatte 
der Impressionismus durch die Verabsolutierung eines das Resultat Hiit- 
bedingenden Elementes das Spiel von Ursache und Wirkung in dem 
neuen Gegenstande ausgeschaltet, so mußte für van Gogh der Strom 
selbst, der von der Ursache zur Wirkung lief, Gegenstand der Darstellung 
werden. Daher die Notwendigkeit, die Gestirne selbst in den Kreis seiner 
Stoffe einzubeziehen. Sonne, Mond und Sterne werden nicht nur leben- 
dige Wesen, sondern lebendige Kräfte, die sich stets erweiternd durch 
den Raum ergießen und auf diesem We^e Erde und Meer, Wiese und 
Garten erzeugen. Das Unmögiichste soll gewagt werden. Und dem, der 
die Sontie auf die Erde ziehen wollte, mußte auch das Tote lebendig wer- 
den. Seine ßehatidlutig des Ornamentes zeugt dafür. 

Der Vitalismus, der sich hier in der Auflösung jedes optisch.dinghaf- 
ten, tmdititmell-lbrmuliertai Seinsbegrifies in ein nur IhdlTidueUes, in 
die Funktion des Werdens als die letzte Individuation der realen Welt 
auswirkt, ist durchaus nicht das, was wir das Zurückgehen auf die Funk- 
tionen des Bewußtseins und die Gründe der Objektwerdung genannt 
haben. Er ist etwas Fertiges, wenn auch als Kraft FertigeSi während nch 
die wahre Dynamik des sdiOpiferischen Triebes etst bildet und zwar aus 
' dem Dualismus von Subjekt und Objekt und ihrer engen Verknüpfung 
an jedem Punkte, so daß das Subjekt selbst diese Form im Antithetischen 
trügt und sie dem Objekt in der Form des sich selbst setzenden Konfliktes 



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70 Die Eroberung det neuen Lebensgefühles 

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aufzwingt. Van Goghs Vitalismus aber negiert diese Dualität in ihrem 
Grunde, indem er das ObirkT streicht, und verneint damit zugleich den 
antithetischen (.haraktei im Bewußtsein. Der einheitliche Strom des Sub- 
jekts, den er nun noch IükK t, kann nur mehr das rein vegeldtive Wer- 
den sein, das schlechthin existiert. und metaphysisch, mystisch oder rein 
empfindungsmäßig wahrgenommen, substituiert werden kann und darum 
nur der Beschreibung, nicht mehr der Gestahung zugänglich ist. Dieser 
Mangel äußert sich bei van Gogh in demselben Augenblick, wo er zui 
Darstellung schreitet Sofort muß er vereinzeln und sich an diesen ein- 
zelnen Mommt binden. Wahrend Gestaltung allem diesen Süm hat; das 
ganze Chaos als TotalitSt in die Form zu konkretisieren und damit die 
Verworrenheit des Daseins au&uheben, muß van Gogh — nach seinen 
.eigenen Worten — sich damit begnügen, „ein Atom aus dem Chaos zu 
malen . . . denn gerade darum ist es ja ein Chaos, wol es in kein Glaa 
von unserem Kaliber hineingeht''. Damit bleibt der größere Teil der 
Welt im Ungestalteten, aus dem ihn keine Addition von „gemalten Ato- 
men" befreien kann, weil jedes Atom in seiner restlosen Vereinzelung 
zufällig, willkürlich, kurz Chaos geblieben ist. Van Gogh war sich auch 
hierüber klar. Er meinte, das läge an sein^ Mangel an niantasie, die 
ihm nicht erlaubte, aus dem Gedächtnis zu arbeiten. Es lag an der Be- 
grenzung seiner Begabung überhaupt, die statt der Form nur Surrogate 
finden konnte: das Symbol imd die Ausdruckssteigerung. 

"Vitalismus und Tendenz zur symbolischen Interpretation der Welt als 
koireiolive Glieder verbinden van Go^h mit Ruysdael. Ein Vergleich 
zeigt die große Beschränkung van Gogh>. Ist beider Kunsttrieb eine Klage 
um /t i störte gotische Dome, so hat Ruysdael aus ihr einen Bau errichtet, 
der über allen Wechsel natürlichen Seins erhaben ist durch die räum- 
liche Organisation und festgefügte Abgeschlossenheit seiner Auseinander- 
setzung mit dem Absoluten. Van Goghs Klage aber ist ein lauter Schrei, 
der in Modulationen au&chreckend in der unendlichen Mannigfaltigkeit 
, realen Seins verhallt Der Gegensatz, der Gegenstand, das Absolute Ueibt 
außerhalb seiner Konzeption und Gestaltung. Darum bedeutet sdne Sym- 
bolik entweder ^e BeschrÜnkung durdi den Intellekt und damit eine 
unz u l ä ngliche Verendlichung oder eine Sentimentalität^ die in der trie* 
fenden BanalitSt ihres literarischen Angelegenseins oder der rein persBto- 
lieh«! Stimmung in nichts hinter (dem doch vttUig indiskutablen?) Blick- 
Hn zurücksteht 



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Das andere Surrogat ist die Ausdrudnstexgerang. Daß sie ein Surrogat 
ist, zeigt schon die Besdireibung, die van Gogh Tim seiner Art tu arbeir 
ten gibt. „Denke dir, ich male einen befreundeten Kfinsder, einen Kflnst- 
1er, der große Träume trSumt, der arbeitet, wie die Nachtigall singt, weil 
es )ust seine Natur ist. Dieser Mann ?oll blond sein. Alle Liebe, die ich 
ffir ihn empfinde, möchte ich in das Bild hineinmalen. Zuerst male ich 
ihn also so wie er ist, so getreu wie möglich, doch das ist nur der Anfang. 
Damit ist das Bild noch nicht fertig. Nun fange ich an, \'vnllkürlich zu kolo- 
rieren. Ich übertreibe da? Blond der Haare, ich nehme Orange, Chrom, 
mattes Zitronengelb. Hinter den Kopf, statt der banalen Zimmerwand — 
male ich die TJnendlichkeit. Ich mache einen einfachen Hintergrund aus 
dem reiclisten Blau, so stark es die Palette heri^ibt. So wirkt durch di^e 
einfache Zusammenstellung der blonde, beleuchtete kopi auf dem blauen 
reichen Hintergründe gelieiinnisvoll wie ein Stern im dunklen Äther.** 

Daß ein solches Veriahien nicht geeignet ist, eine Form iii unserem 
Sinne zu schaffen, an der alles frei ist von der Willkür des Subjekts und der 
Beziehung zum naturbaften Sein^ daß es nur eine Beschreibung des (wiU- 
kttrlichen) psychischmi Inhahes mit (wiUkQrlichen) Mitteln sein konnte^ 
das dürfte aus diesen Worten klar werden. An die Stelle der Form tritt 
die bewußte Deformation: die Formel Diese ist ganz bestimmt von dem 
BedOrfiiis, die schlagendste^ ausdrQcklicfaste Beschräbung des ErlebniBses bu 
geben. Sie war getragen Ton der Aktivität seines Temperamentes, dem 
Pathos seines Selbstbewußtseins. Diese ließen ihn für den optischen Ein- 
druck eine persttnliche Formel gewinnen, gegen die der impressionistische 
Farbfleck schwach, temperamentlos, allgemein und flau erscheint. Die op- 
tische Formel yanGoghs geht stärker auf das Springende, Wesentliche der 
Erscheinung, indem sie alles Hindernde streicht imd so den Eindruck in 
klarer Expression herausschreibt. Es steckt hinter dieser perwnlichen Reini- 
gung ein karikaturales Element, das seine Basis im Sozialen findet. Das Er- 
lebnis war innner ein echter van Gogh^ eine gewisse Ähnlichkeit bietet 
Multatuli, dem der gleiche Groll aus Liebe, das gleiche Ethos aus Mit- 
empfinden zu seiner Tat und zu seinern Ausdruck verhalt Aber daß sein 
Gehalt immer sehr tiefsinnig war, wer wird das behaupten wollen? 

Das ganze Schwergewicht des van Goghschen Strebens war somit auf die 
Mittel verlegt, dieder Beschreibung dienten^ der ganze Weg seiner Entwick- 
limg ist mit der Erring uug seiner Ausdrucksmittd umschrieben : ihre Er- 
weiterung in der Farbe um Schwarz undjV^mßydie Steigerung ihrer Kraft 



vft Die Eroberung dvs neuen Lebensgefnhles 

•tMWIlflUllliNINWIllllltlltmtll lf*t«Mtf<«f •«■»■# Mlllllllt III* lMilllMiiiiiifiiiiMiiMlllt«ll»MBH«««HUMiatMI«IHIt|^«ailll 

durch das Ausschalten der Reflexe und der Lichtdifferenzierung^der Valeurs 
überhaupt, ihre Behandlung durch plastisches Kneten, durch reliefartige 
Erhöhung von der weißen Leinwand bis zum Farbberg, der aus der Tube 
gedrürVj wurde — da« Vereinigen von Farbe und Linie - und vor allem 
die Zeiclinung selbst. Eine frühe und späte /oichrmno^ untei scheidet sieb 
nicht so sehr durch die Eniplindung selbst als durch die Aufdi ucksmittel, 
die sie restloser wiedergeben. Auf der früberen ahnt man van Gogh nur 
unter der Allgemeiniieit des Striches und der Flecken, auf der späteren 
aber ist es nur van Gogh; 1 uiiu, Größe, Dicke, Dichtigkeit, Beziehung 
zueuiander — alles ist mitbedacht in der Bildung dieser durch und durch 
persönlichen Handschrift, die nur den einmi Sinn kennt, das jedesmalige 
Objekt ausdrCkdEltch zu bezeichnen. 

Was sie leitet, ist allein das Temperament des Subjekts, jene Art explo- 
siTen Temperamentes, die dodi nur ganz bedingt bezeugt, daß eine „große 
IntensitSt der Leidenschaften, Motive oder Gedanken Torliegt J&i ist 
die Abwesenheit von Bedenken, von Konsequenzen, von Überlegungen, 
die atißerordentlidbie Verein&chung des Jeweiligen geistigaa Horizontes, 
was dem explosiven Individuum solche motorische Energie und Leichtig- 
keit verleiht" Van Gogh bot dner gottlosen Zeit das ergreifende Schau- 
spiel eines verzweifelten Suchens nach dem Absoluten. £r wühlte immer 
mehr gesteigerte Temperamentserregungen zur Ergreifung der Welt auf 
in der Erwartung, am Boden des ganz individualisierten Individuums das 
Absolute zu entdecken. Doch nach dem Identitntssalze fand der Subjek- 
tivist nur sich selbst und klammerte sich an außen liegende Symbole. Er 
steigoi le fortsrhi eiteiui sejue f arln^en imd linearen Ausdrucksmittel und 
blieb clocii au der einmaligeii, piivsioiogischen Sensation hängen. Diese 
Kluft 7eie;t, daß van Go^h mehr Temperament als Chai.ikier, mehr Er- 
regung als Inhalt war, so daß seine Kunst arm blieb und verdammt, um 
das Absolute zu kreisen, statt aus der Verbindung mit ihm eine Welt zu 
bauen. Das Temperament ist das einzige, was sich steigert, was die Dinge 
immer beLebter madit, immer mehr in erregte ornamentale Form auf- 
löst, sich schließUcb überschlagt und in dieser höchsten Erregung des 
Wahnsinns Werke schafit, die den anderen vollgültig zur Seite stehen. 
Die ganze Kunst van Gogbs beruht auf diesem sich immer steigernde 
und logisch im Wahnsinn endenden Temperament, kglsdi, weil auf dem 
direkten Wege durch die Erregung niemals das gesuchte Absolute, son- 
dern nm* der Zwttfel, das Nichts zu finden ist. Alles, was van Gogh selbst 



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Van Gog^ 75 

>lt»>*IIIMWI*II W II»l>lll*WI* W I M WM<|Mll>iWMIt»llllltllltlilliillllllllllltlllllilltlMlilliltllttlW M IlillittlMlltllliW^ I III II Hl lim 

als wQnscheiiswert erdenken konnte, war nicht eine Vertiefung der Ge- 
staltung, sodem eine Steigerung des Stoffkreises. ,,Eus8Ö-je eu les forces 
pour oontinuer, j'aurais fait des saints et de saintes femmes d'apr^ nature 
qui auraient paru d'un autre äge; c'auraient ^t^ des bourgeois d'a present, 
ayant pourtant des rapports avec des chretiens fort primitifs. — Les ^mo- 
tions qne cela rauce sont cependant trop fortes. J'y resterais. Mais plus 
tard, plus tard, je ne dis pas que je rie viendrai pas ä la cbaT ge. — 11 ne 
faut pas songer a tont cela, 11 faut faire, fiit-ce des etudes de choux et de 
salade pour se calmer et apr^ avoir ^te calme, alors . . . ce dont on sera 
capable." 

Was van (iogh erreichte, war Erhöhte und höchblc Suggestionskraft, 
nicht bildlidite Notwendigkeit ¥& liaiidelt sich auch optisch nicht um 
ein großes und einheitlidies Sehen, die ßildteüe stehen nicht in orga- 
nischem Zusammenhang. Die Lebendigkeit van Goghs ist ein polsffer 
Gegensatz zum Leben des Organismus. Er hat auch hier das Manko ge- 
iQhlt und geglaubt, es durch die groteske Idee der Arbeitsteilung, der 
Arbeitsgemeinscbait Ton Künstlern beheben zu kennen. Die Einsicht, 
daß das Absolute der Gestaltung nicht durch Addition von Individuen 
zu erreichen ist (vveil diese in dem Maße, als sie Individuen sind, sich 
einander fremd und in sich willkürlich sind), diese Einsicht (als Gauguin 
sie ihm verschaffte) hat ihm den Verstand gekostet Verworrenheit ist 
die letzte Basis seiner Kunst 

Je suis Saint Esprit 
Je suis Saint d'Esprit 

So bedeutet das Werk van Goghs eine wertvolle Erweiterung des 
Lebensgefühles gegenüber dem Impressionismus. Ab^ die ErfOllung des 
Gesetzes mit warmblutender Totalität, die hohe Steigerung in der Aus-' 
druckskraft seiner neuen Erlebnisse, sie ändern nichts daran, daß er die 
Funktion des schöpferischen Triebes nicht über den Impresstomsmus hin- 
aus seiner absoluten Form angenähert hat. 



•Mn«iHMn<HiMi>Mniia»i»M»i 

tUMMMWIUllIHMMUllllimUUI 



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M*»llltllllllMI««aMltlllllll«illliaM»MMIII<IMWMm««tM«*»M««*l>»tlM«l^l*«»M*HMItll*»MMMt»tl«»ttl«*MtlMtOI»t9llt«lf*M*^^ i itKIII»« 

AUF DEM WEGE ZlüR ABSOLUTEN GESTALTUNG 

^Wir müssen in dem, was sein soll, den Grund 
dessen suchen, was ist'* (Lotze) 

,,6i]de, Künstler, rede nicht." (Goethe) 

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M«Ml*i*MMM«fti«W*IUU«MIIMHt«MfMMIItH«IMillllMIMICIIIIMttll«»tlt*tnillM»Rt«rtttltltltlttt»t««aMIM««Mn«M« 



DER NEO-IMPRESSlOlSiSMüS 



demander a la poesie du sentimentalisme, 
ce »'«st pas 9a. Des mots rayozmantgy des mott 
de lumiSre, des mots de lumi^re . . . avec un 
rhythme et une musique, YoUä ce que c'est la 
po^e. ^a ne prouve rien, 9a ne vacoDte rien . . 

(Th^phüe Gauüer) 



Zu allen Zeiten findet man in der Kunstgeschichte die von kleinen 
Geistern begangene und von den Theoretikern sanktionierte Ver- 
wechslung zwischen naturwissenschaftlicher und künstlerischer Ge- 
setzmäßigkeit. Sie richtet sich auf das jeweilige Mittel, an dem man sich 
ausdrückt, kcomte also in der Moderne nur auf das Material selbst gdien. 
Es war impressionistisches Dogma, daß man in den sieben Farben des 
Spektrums das Licht in allen seinen möglichen Stufen enthalten fände, 
und daß man mit ihnen direkt das natürliche Licht in seiner ganzen 
Helligkeit malen könnte, wenn man sie nur rein auftrüge und die Eini- 
gUDg dem Auge des Beschauei-s überließe. Doch als Künstler ganz der 
Sinnlichkeit ihres Auges und ihres Ausdruckswillens hingegeben, haben 
sie zuweilen die Farben gemischt und durch Valeurs harmonisiert. Eine 
jüngere und rationalere Generation wollte nicht nui tiiekonsequenteDurch- 
führung des Satzes der Identität der Spektralfarben und der Lichtstufen, 
sondern legte sich zugleich die Frage vor, ob es nicht deaFarbbeziehungen 
immanente Gesetze gäbe, die die Lichtgebung einer notwendigen Gesetz- . 
mäfiigkeit unterwerfen würde. Man sachte Prinzipien, die der Lichtana- 
lyse des einmaligen Wahmehmungsaktes die Willkfir persönlicher Liter- 
pretation nehmen und eine unumstöBliche Ordnung statuieren sollten. 

Der Neo-Impressionist mißtraut bereits der Allmacfat der Elemente^ die 
der Konzeption des Impressionismus zugrunde lagen : der Natur und der 
instinktmäßigen und später routinierten Analyse der Mitt^ Er fordert 
irgend einSicheres innerhalb der allgemeinenBewegung der impressionisti- 
schen Kunst Öder anders ausgedrückt: Er unterscheidet bereits- zwischen 



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Phot. E. Drutt, Pari» Sammlung UöU 



Georges Seurat 



Le Chahut (Abb. 11) 

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Der Neo-Impressioniamut 



Bild und Sldzze. In dieser steht sein Naturempfinden auf der Basis des 
Impressionismus. Er notiert einen momentanen Eindruck, der in einer 
kleinen Skizze den lidit-Farbkontiast einfacher, konzentriertery klarer 
geben kann. Aus diesen Skizzen macht der Neo-Impresdonist ein Bild 
(oder was er so nennt), indem er diese Hauptfarbmassen nach den der 
Materie immanenten Gesetzen verbindet. Man konzipiert aus dem Ob- 
jekt und vollendet nach einer Theorie über die Farbe. 

„Nach der neo-impressionistischen Auffassung vermischt sich die Farbe 
des Sonnenh'-chts, das je nach der Tageszeit und den örtlichen Umständen 
gelb, oj ange oder rot i^^t, mit der Lokalfarbe und gibt dieser, wo sie von 
der hellsten Beleuchtung getroffen wird, glutrote und goldene Nebentöne. 
Der Schatten ist dagegen als getreues Komplement des Lichtes je nach der 
Härte des Lichtes violett, blau oder blaugrün, die nichtheleiirbteten Tön© 
in der Lokalfat be werden daher durch diese kalten l örie beeiiiilußt." Von 
dieser Beobac htung des Koniplementarverhältnisses von Licht und Schatten 
ausgehend, formuliert nun Signac, wie man sich alle Vorteile der Leucht- 
kraft, der Farbgebung und der Harmonie sichern kann und zwar: i ) „durch 
die Anwendung ausechlieBlicfa reiner Farben (aller Farben des Prismas und 
aller ihrer Grade) und durch die Ausnutzung des in der Netzhaut sich toU- 
ziehenden Mischungsprozesses dieser Farben, a) durch das Getrennthalten 
der yerschiedenen Elemente, also derLokalfarbe,Beleuchtungsfarbe,Reflez- 
und Kontrastwirkung, 5) durch die Abwfigung und Ausgleichung dieser 
Elemente untereinander (nach den Gesetzen der Kontrastwirkung, der Ab- 
stufung und der Strahlung), 4) durch die Ver"w-endung von einzelnen Pin- 
selstrichen, deren Größe in einem richtigen Verhältnis zur GrdBe des Bildes 
selbst steht, so daß sie beim erforderlichen Abstand mit den angrenzenden 
Pinselstriihen im Auge eine Mischung eingehen". 

Dieser „methodisiertelmpreFsionismus" richtet seinen Verstand zugleich 
mit der Ordnung der Materie auf die Ordnnn^j des Ganzen. Zugleich mit 
der Zerlegung der Farbe k|im ibm der Richuingswert der Linie zum Be- 
\vul3tsoin und von Seurat, dem geistigen Haupt imd bedeutendsten Künstler 
der Gruppe, stammt der Satz: „. . . diese Sehnsucht nach Harmonie würde 
von der Linie, vom Li( ht und von der Farbe geschaffen. Diese können 
wir in ruhige, heitere oder traurige Harmonien fassen. Die Heiterkeit des 
Lichtes gibt der Glanz der Sonnenstrahlen, die Heiterkeit der Farbe die 
warmen Farben, die der Linie ihr Himmelstürmen. Die Ruhe des Lichtes 
verleihen das Abwiegen von Licht und Schatten, die der Farbe die kalten 



m mm iMi 



Auf dam Waf» nw dbaolutta Garttttmif 

■i«iiiiiiiniiiiHmHttiitffnfMt«i»niNtiillWllMHmM*inaitititiiinitiiftfMiim>Mimi*ni 



und die warmen Farben, die Linie erhält ihre Ruhe durch ihr Streben nach 

dem Horizonte. Endlich stammt die Traurigkeit des Lichtes von den 
Schatten, die der Farbe von der Herrschaft der kalten Farben, die der Linie 
von dem Herabsinken in die Tiefe her. Aus diesen Elementen muß unsere 
Komposition, in Harmonie mit unserer Vision, geschaffen werden." Aber 
die Elemente bleiben auseinander, gewinnen nicht die Einheit der Form, 
da ihr Sinn und Bedeutung noi h irntner darin liegt, eine psychi'.f lie Rea- 
lität an der LichtreaUlat zu beschreiben. Mag sich der impressionistische 
Farbfleck in eine feste und zum Ganzen relative Gestalt fixiert haben, mag^ 
ihre Auleiiiaiiderfolge theoretischen Prinzipien gehorchen, von der Ma- 
terialbezeichnung kommt er nicht fort. Und ohne die Formgestaltung wird 
alle Ordnung unorganisch^ mtellektaell oder gesdunScklerisch. Das Schaf- 
fen TonBiaiehungen ist nicht Gestaltung^ das sinnliche Abwägen der Mas- 
sen nur dn Surrogat derselben. All das ist äußerlich, Anekdote. Darum 
haben die Kontraste noch keine Zeugungskraft, um ein Neues, Ganzes zu 
erbauen, sie stehen unvermittelt gegeneinander, endlose Parallel wieder» 
holung ist ihr Reichtum, und Kurven mfissen sie verschleifen. Die Farb- 
harmonisierung ist voll von linearen Abruptioneu oder Langweiligkeiten 
un^dlicher Wiederholungen. Einer vollkommenen Konfusion aber steht 
man gegenüber, sobald man auf die Raumgestaltung achtet Wo dieselbe 
nicht durch die rein dekorative Fläche umgangen ist, ist der naturillusio- 
nistische Raum nicht verlassen, imd die Diskrepanz wird erst deutlich, 
wo stärkere Kraft die Raumperspektive hart gegen die Fläche stellt wie 
Seurat im Chahut. 

Die Substituierung einer wissenschaitUcheu Theorie konnte die Kluft 
zwischen dem neuen rdt ionalen Willen zur Ordnung und dem Eesthalten 
an der raomentanenu n J lud ividuaUsiertenSensation nicht überbrücken. Man 
materialisierte das Licht ebenso wie dieFunkiiouen der Gestaltung. Aber 
trotzdem bedeutet der Neo-Impressionismus einen ersten Schritt — wenn 
auch einen Fehlschritt -> von dem reinenNatunilismus der Gestaltung fort 
Er betonte in seinem Schaffoi stärker die Bedeutung des Subjekts^ wenn 
auch nur nach seiner rationalen, rechnenden, sich seihst bewußten Seite 
hin, und in seinem Werk den Zusammenhang mit der Wand. 



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GiZANNE 



„C^zaniie semble etre un eleve de Cesar Franck. 
II joue du grand orgue constamment ce que me 
faisait dire qyCü. ötait polyphone/' (Gauguin) 

„Jevais en developpement logiquedecequenous 
voyvui et ressenLous par l'etude sur nature." 

(C^zanne) 



Während Signac seine klemis und fadenschemige Konzeption mit 
der Bordüre eines wisRenschafdichen Gesetzes geschmackvoll 
▼erhr&nte, trug in heroischer Einsamkeit ein Riese die weiten- 
schwere Last der Erkenntnis der absoluten Gestaltung. Sie kreiste über 
allen seinen Vorstellungen mit der dämonischen Magie &talistischer Ge- 
stirne und zwang den schon ^erzigjährigen Träumer zu jener unerhör- 
ten Anspannung seines Willens, die Gegenpole der Welt in eins zu bin- 
den in einer unendlichen und unabsehbar mühseligen Arbeit. 

Jede Immanenz von Ich, Welt und Gott, jede prästabilierte Harmonie 
und Ordnnng war entschwunden vordem entnervenden Skeptizismus; einer 
völligeii Diskrepanz und Dualität des Daseins. Aber aus der Verzweiüung 
w uchs ihm, der einmal ganz tief die Einheit der Welt gefühlt haben mußte, 
die Kraft zum schöpferischen Tun. Sein Wille bejahte diesen Dualismus, 
steiUe iim mit Energie und Kraft iieraus, vereinzelte Mensch von Mensch 
im Sein und im Handeln zu einer rastlosen Einsamkeit und trieb einen jeden 
für sich mit ringkämpferischer Seelenenergie gegen die undurchdringliche 
Wand des Absoluten. Der Wille wollte diese Einsamkeit, der Wille wollte 
t^Ueses Drängen und vor allem: der Wille wollte die absolute Gestaltung. 
Je mehr er sich ron dem Bewul^tsein hiervon erfüllte^ um so mehr bedrohte 
er die Unmittelbarkeit der schtf pferiscfaen Stimmung. Der Wille, der eme 
Anspannung ist, findet letzthin noch immer im Passiven seine Erlösung, 
und C^zanne stellte das Ruhende als kotitinui^f lieh und zusammenhängcaid 
dar, aber mit dem Schauer des Todes, des Nichts, das Aktive^ dagegen 



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6o 



Auf dem Wege «ur abMluttn GMtaltung 

iMmtaniiin«»iiiiM»i>iiiiiii»iii(nMnttMtiin»nMii<<>ii«iii»fntm«fttniiHffiitii 



i^prunghafty zerrissen, diskontinuierlich. Und es sind typisch C^zannesche 
Konflikte, daß das aktive licht in die ruhende Dunkelheit hinein aufge- 
saugt wird, oder daß aus der in vornehmer Abgeschiedenheit ruhenden Welt 
ein wütender Wille hervorbricht, um eine Einheit zu erzwingen. So ge- 
winnt der Wille selbst materiellen Inhalt, anstatt reine Funktion /u werden. 

Es ist die bezeichnendste Eigorr^^rhaft dieses Willens, daß er in sich du- 
alistisch ist, getra^^en wird von <letn (rrschick, in Kontraste zerspahen zu 
sein. SeineschöpieribLiie Fähigkeit woiitezweiElementezueinander bringen, 
die in der Entwicklung auseinander lagen: ein modernes Destruktive?, das 
die Ausbalancierung konträrster Massen liebt, Uiagonale Raumzei^ciiuei- 
dung und sich zerstückelnde Linien, enges, dichtes Leben in dem G^talte- 
ten — Momente, die man Ober Romantik und Barock m ihrem gotischen 
Ursprung zurückführen könnte. Sie haben diespeidfisch moderne Notedes 
Gestaltens fiber die intim beobachtete Nafor und des schfipf erischen Denkens 
direkt in der Materie. Dann &.n Klassisch^ Struktivesi das die Harmonie . 
der Massen und die FUcfaentektonik des Raumes liebt^ die Wollust der 
Kurve und den üch ohne Überschneidung ausbreitenden Kontur. Das Go- 
tische findet seine Erlösung vom Individuellen im Übersinnlichen, optisch: 
senkrecht,das Klassische im Al]gemdnen des Endlichen, optisch: wagrecht 
Diese beiden kontieren Funktionen menschlichen Erlebens versuchte 
zanne in eine neue Einheit zu fassen. Aber dieses dritte Reich ist keine 
literarische Synthese. C^zanne steigert z. B. das Moment des Schmerzes 
weder zum Prometheus noch zur Maria, sondern fand einen Rhythmus 
von Formen, Farben und Linien, die ciiicii r?efrpnstand konstituierten und 
in diesem Gegenstand die Materialität der Kontraste aufhoben, d. b. er 
schickte seine Vision durch die Realität, durch die Optik. 

Diese Spannung von Kontrasten, die sich bis in jede einzelne Empfindung 
hinein verfolgen läßt, kennzeichnet die Cezannesche Optik. Wir können 
sagen, daß &ne Empfindung bei Cezanne ebensowen ig ohne ihren Kontrast 
auftritt, wie ohne die Totalität im Umkreis der Sinnesorgane. Daß ein 
Racchanale mit kalten Farben gegeben, das Licht überhaupt oTt kalt emp- 
funden vrird, kOnntenoch als einMußerUcher,8tatiscberKontraster6cheinen. 
Aber schön die typische Farbgebung Cäzannes, in der Blau mit Ocker, Grün 
dagegen nur ideell mit dem Rot im Ocker und Violett beantwortet wird, 
zeigt uns, daß hier ein durchaus dynamischer Vorgang vorliegt. Besonders 
deutlich w Ird dieser dynamisch-motorische Charakter ander Gewichtsetnp* 
findung. Sie ist nicht statisch, d. h. derart, daß gleiche Massenverteilung 



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auf beiden Seiten stattfindet, sondern ungleiche Massen werden zum Atu- 

gleich gebracht C^^anne tut alles, um die eine Hälfte schwerer zu machen. 
Die Besetzung der Fläche überhaupt ist größer^ der Stoff schwerer, das Licht 
dunkler, die Farben kälter. Die Mittel, mit denen er dann doch ein Gleich- 
p^ewicht erhält, sind die grönerc Raumweite auf der leichteren Seite, diedia- 
gonal-symmetrisrheGe\A iehtsbeziehungjdie moii irische Aktivität der Linie, 
die aus der inneren Spannung ein lebendiges iv-raft cspiel macht. Doch ver- 
sucht C^zanne immer, die reine Dynamik der Emplmdung, ihr Schweben 
zu konzentrieren, indem er die individuelle Nuance, die ihm die Sensibilität 
seines Organs vermittelt hat, einem bestehenden Begriff annähert oder sie 
zu einer ganz deutlichen, neuen Allgemeinform kondensiert. Es wiederholt 
sich zum Beispiel, daß wa: mit Violett einen irOlir^en Geschmack (Übei^ 
gangsstadium Tom Unreifen zum ReiSsn), mit einem für ihn sehr beaeich- 
nenden Ockerton ein Morbides (Übergang zwischen Reife und Fäulnis) 
ausdrückt Vor allem aber richtet ach die Kontrastempfindung auf den 
Raum selbst, so daß jeder Raumtendenz eine Gegenrichtung entspricht, und 
damit eine innere Lebendigkeit der Optik hergestellt wird, die als solche 
bereits verrät,, daß das Sehen Cezannes ein von dem impressionistischen 
Wahrnehmungsakt völlig verschiedener Vorgang ist Die Analyse des Im- 
pressionismus war Auge plus Sensibilität aller Sinnesorgane, die Cezannes 
ist Einheit von Auge und Intellekt. Beide sollen sich nach seinem Willen 
unterstützen, und so kam in die Optik selbst bereits ein organisierendes 
Element hinein. Die Gefahr freilich \\nr nahe, daß sich der Intellekt zu 
Sehbegriffen materialisierte und damit den schöpferischen Pro2eß verend- 
lichte. Die Forderung Cezannes, daß die eigene und neueOpiik des Malers 
von einer Logik getragen und begleitet sein müssef trug die Gefahr jeder 
Logik in sich, die sich außerhalb des schöpferischen Prozesses stellt und 
sich verselbständigt. Für den schöpferischen Akt gibt es weder einen rich- 
tigen Begriff noch ein gültiges Urteil außerhalb seiner eigenen Prinzipien. 
Soweit sich aber die Logik Cdzannes in den GestaltungswiUen als reine Funk- 
tion einfügt, bedeutet sie d^ ungeheuren Schritt, daß das anal) tische Mo- 
ment von einer Totalität getragen und bestimmt ist*. „Lire la iftture c'est 
la voir sous le volle de Tintei^pr^ation par taches oolor^ se succ^dant 
Selon une loi d'harmonie.'' 

Durch dieses Bestimmtsein charakterisiert sich C&annes Arbeitsweise: 
,^'abord une soumission complke au modele j avec soin r^tablissement de 
la mise en place, la recherche des galbes^ les relations des pioportions; 

Hemo S 



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8 2 Auf dem Wege rar dNolnten Gestaltung 

H<MII<IIMllMMII>IIIMHI«UIHII>tllllMUMMII(IUM<nMIIIIIMia>IIHtMMm(MNnMmtn>IINIIIIIa«»iUH«««>in>limtinMI>IIHIH<UMM>MUtl>H 



pui«:, a tres meditatives s^ances, l'exaltation des sensations colorantes, i'el^- 
vation de la forme vers une conception d^corative; delacouleLirversleplus 
cbantant uiapason. Ainsi plus l'artisie Lravailie, plus son ouvrage s eloigiio 
de Tobjectif, plus il se distance de l'opacite du modMe lui servant de point 
de d^part, plus il entre dans la peinture sans autre but qu'elle-m^me ; 
plus il aksLrait son tableau, plus il simplifie avec ampieui- apres i avüu 
enfantö ötioit, conforme, h^sitant. 

Peu ä peit roBUTre a grandi, est panremui au r&ultat d'une oonoeplioii 
pure. Dans cette marche atteutiye et patiente toute partie est metkle de 
front, acoompagne les aotres» et l'on peut dire que cfaaque jour une yisUm 
plus exasper^ yient se superposer k oelile de la veOle, jusqu'ä ce que l'ar- 
tiste lass^ sente fcmdre ses ailes k Tapproche du «oleil, c*est<4i-dire aban- 
donne au point le plus haut, oCi il a pu T^l^ver, son travail; en sorte que 
s'fl aYait pris autant de tolles qu'U a pass^ de s^ances, il r^ulterait de son 
analyseune somme de visions ascendantes, gradueUemoit Vivantes, chantan- 
tes, abstraites, harmonieuses, dont la plus sumature serait la plus d^fint- 
tiTe$ mais en ne prenant qu'une seule tolle pour cette lente et ftrrente 
Elaboration, Paul CEzanne nous d^montre que l'analyse n'est pas son but, 
qviVlle n'est que son moyen, qu'il se sert d'elle comme de pi^estal et qu'il 
ne tient qu'ä la synthese destructive et concluante." 

Es ist der Weg, der von der Zerlegung einer konstatierten Tatsache in 
ihre Bestandteile fortfuhrt zu der Erkenntnis der Ui-sachen, die das Eeben 
der Objekte gebildet haben, es ist der Weg von der Materialität des Er- 
lebnisses (am Objekt und Subjekt) zu der Energetik des Konfliktes, es ist 
der Weg aliei zur absoluten Gestaltimg drängenden Kunst. Dieser Weg 
vom Sujet zum Motiv«bestimmt sich bei Cdzanne durch seine Tendenz auf 
das Wesentliche» Seine Kunst strich den Absolutismus des Individualitäts« 
und DiiFerenz]erungsproze88e& Cdzanne suchte in der Natur über das Ein- 
malige und Geistrachelnde hinaus das Ewige im Allgemeinen und darum 
oft im Banalen. War das Sujet zum Bdepiel ein StraBendurcbblick, so bor 
tonte er: der Straßendurcfablicfc — das Fliehen der Strafie, das Spitze des 
ideellen Zusammentreffens, das Stehen der Laubmassen und die Kundung 
ihrer Wölbung, und hieraus gewinnt er die künstlerischen Formdemente. 
C^zanne holt gleichsam aus dem Natursujet die immanent gegebenen allge- 
meinsten Möglichkeiten heraus und baut aus ihn^ die neue Kunstganzheit 
aul Da sie nicht auf dem Wege der Absonderung, der Abstraktion, son- 
dern der Verdichtung gewonnen waren, durch das Zurttckgehen auf die 



C^ianne 



1-3 



Gründe der Obiektwerdung selbst,so verharrte Cözanne nur in mangelhaften 
Werken in diesem Allgemeineiiy das an sich nicht weniger weit yoii der 
wirklichen und zu fordernden Realität entfernt ist als das Einmalige. Er 
gewann den Grund der Dinge, und die Gesetze ihrer Wendung durchschau- 
end, baut er aus ihnen die neue Welt der Kunst. Das Sujet wurde ihm 
Motiv, das heißt plastisch-energetische Form, eine neue Welt, die sich nach 
eigenen Gesetzen roUendete. Aber sein Vorgehen barg Gefahren. Nidit 
nur dieses Steckenbleiben im AUgmeinen, das den sdiöpferischen Proseß 
verendlicht^ sondern eine Spannung zwischen diesem und der Natur. La- 
dern Cezanne^ mit ihrer Wiedergabe b^innend, sich im Schaff<m Ytm ihr 
entfernte, kam es nicht selten, daß der aus der Beschreibung gewonnene 
Abschhiß, die aus Her Natur oder der Vision durch Silhouettierung abzu- 
ziehende Ganzlioit j olt in Widerspruch trat zu der kunstorganischcn Einheit, 
und daß die letztere von der orsteren durch das Festhalten eines dekora- 
tiven, von vornhereinaussinnhchenGeschmacksgründeaiertigen Momentes 
verhindert wurde. Eis beruht dies auf dem Ct^zanneschen Verhältnis von 
Subjekt und Objekt. Die Ganzheit, die jenes aus der Vei-schweißung der 
polaren Kontraste gebar, war nicht mit der konkreten Reaütät selbst ge- 
zeugt, und wenn es dann von dieser ausgehend zu jener zurückwollte, so 
ergab sich eine Spannung, die er selbst mit Wortm ausgedruckt hat^ die 
die Prinzipien der schöpferischen Gestaltung bedrohen würden, wären sie 
nicht einem Manko der persönlichen Begabung des Künstlers zuzuschrei- 
ben, das darin bestand, daß der Wille, der die beiden einte, nch nicht 
von ihnen befreiend, reine Funktion wurde, sondern materiellen Inhalt 
gewann: „L'^tude modifie notre vision k tel point que Thumble et colossal 
Pissaro se trouve justifiö de ses theories anarchistes." 

Das aber ist seine wahre Größe, daß er auf diesem Studium der Natur 
bestand. Je mehr durch die Spannung der Kontraste seine Vision im 
Leeren blieb, desto stärker beharrte er auf der Realisierung, darauf, dem 
in wesenloser Reinheit schwebenden Ideal einen Körper zu schaffen. ,,Le 
plus fort sera celui qui aura vu le plus k fond et qui röalisera plemcuient 
comme les grands Venitiens." Realisieren aber kann nur heißen, seine 
Sensation den Prinzipien der ab.>uluten Gestaltung überhaupt und der 
speziellen Kunst im besonderen unterwerfen: Subjekt und Objekt in dem 
sich selbst setzenden Konflikt zu einen und diej5en zu einem Organismub 
zu vollendeiij die Vision an der koiikreLheii der Gegenstände und ihren 
ifiumlichen Werten verdinglichen und darüber hinaus an diesem Dinge 

6» 



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8^ Auf dem Wege xur absoluten Gestaltung 

niAtenalineren. Kurz: den Geist in den Staub treiben^ um aus ihm einen 
festeii KOrper zu machoiy in dem eine an dem unendlichoi Leben teil- 
babende Seele wohnt C^äome wußte, daß es ohne diese Verkttrperlkfaiing 
keine Kunst gibt, und daß sie nie auf dem Wege direkter Besdueibung 
zu erreichen ist. ^cb wollte die Natur koperen, es geHang mir nicht. Ich 
war mit mir zufrieden, als ich entdeckte, daß die Sonne zum Beispiel 
(oder besonnte Gegenstände) sieb nicht wiedergeben ließ, sondern daß 
man sie durch anderes, als was ich sah, umschreiben mußte — durch die 
Farbe.** Was der Künstler hier an seinen Materialien ausdrückt, gilt für 
das ganze Gebiet des Seelischen. Es ist das Wesen der Kunst, daß sie das 
Erlebnis nicht direkt und unmittelbar weitergeben kann, sondern nur in 
einem Körper und darum indirekt Es macht den besonderen, modernen 
Reiz aus und bezeirbnet zugleich die Grenze der C^zanneschen Kunst, 
daß man den Weg dieser Realisation auf dem W erke ablesen kann. 

Man hatalsoC^zanneganzzuUnrechteinenMystiker genannt. Erwares — 
wiejeder Künstler — am Ausgangspunktseines Lebens. Denn hätte erdieEin- 
heit der Welt nicht einmal mystisch empiuiiden, wie hättesich ihm der Trieb 
bilden sollen, die zerüallene in einer Schöpf ung zu einen? Für ihn als den 
Künstler war sie ein unendlich verworrener, lange aus dem Schöße Gottes 
ent&llener Dualismus* Das Urwesen der Mystik hat Meister Eckehart in 
seiner Predigt von der Äimut am Geiste dargelegt. Es heißt dort: „Also 
sagen wir: der Mensch solle so arm stehen, «laß er eme Statte, darin Gott 
wirken mdge, weder sei noch in sich habe! Solange der Mensch in sich 
Raum behält, so lange behftlt er Unteischiedenheit. Darum eben bitte ich 
Gott, daß er mich Gottes quitt mache! Denn das unseiende Sein ist jen- 
seits von Gott, jenseits von aller Unterschiedenheit: da war nur ich selber, 
da wollte ich mich selber und schaute mich selber als den, der diesen Men." 
sehen gemacht hat! So bin ich denn die Ursache meiner selbst, nach mei- 
nem ewigen und nach meinem zeitlichen Wesen. Nur hierum bin ich 
geboren. — In meiner Geburt wurden auch alle Dinge geboren: ich war 
zugleich meine eigene und aller Dinge Ursache. Und wollte ich: weder 
ich wäre noch alle Dnia^c. VVäre aber ich nicht, so wäre auch Gott nicht!** 
In diesen Worten liegt der verme->f ne und tragische Sinn aller M^sük. 
Vermessen, weil sie die ganze Realität und den transzendenten Gott jeder 
Religion hineinzieht in die in völliger Abgeschiedenheit lebende Seele j und 
tragisch, weil sie konsequenterweise von d iesen Erlebnissen nicht reden kann, 
ohne sich selbst zu verleugnen. Denn das Wort, der Begriff ist schon die 



Cexanne 85 

<iiiii<i<i»itiiiii>iit>>i>>tt>t»iit>iii>tt(ni<iti<tti«tiiia«i)i«atiaaiiuttHtiHnHiimiimiMnMUMitH»MUMutiiuMtMniii(t>iaMi<iaiiiiiMfii<iMiii 



Tat des schöpferischen Menschen. Da dessen Wesen aber darii* besteht, 
daß er eine Realität setzt, durch die organische Gestahung dieser Rea- 
lität das Absolute zu erreichen strebt, so kann mnn unmöglich den schöp- 
ferischen Menschen durch den mystischen delmiei t n. Der Satz wird er- 
laubt sein, daß der Künstler nur auf Kosten semer schöpierischen Kraft 
Mystiker, der Mystiker nur auf Kosten der Reinheit seiner mystischen 
Erldhrung schöpferischer Mensch sein kann. 

Cäzanne aber wollte mit der ganzen Energie seines bewußten Willens 
schöpferische Mensch sein. Seine ganze künstlerische Entwicklimg läßt 
dch als eine Gewinnung und VarvoUkommnung der Realisationsmittel be- 
grdfen. Li sönm frühen Werkoihemmt ein pathetisches Ausdrucksbedttrf- 
nis, das sich in starken Kontrasten und sprunghafter FBchenbesetzung 
beMedigty die klare Entwicklung der Form und die Eindeutigkeit des räum- 
lichen Ablaufes. Elmwte romantischer Kuns^ vor allem aus Daumieri 
waren das psychisch-stoffliche Surrogat der Willensanspannung, die sich 
später in der Gestaltung selbst äußert, in der plötzlichen Schärfe, mit der 
eine Richtung unterbrochen wird, in dem Hineinhauen einer Konträr- 
form in ein in sich ruhendes FnnnensemMe, vor allem aber in der Auf- 
dringlichkeit der Formbeziehungen und in der Zentrierung des optischen 
Prn7e<^«es im pin7f>lnen Sehakt wie in der Gesamtvorstellunfir. Diesen we- 
seilt] ic hen Fortschritt verdankt Cezanne den Impressionisten. Deren Be- 
tonung des Arbeitens direkt vor der Natur gab ilnn einen neuen Ge^en- 
^ stand der Realisierung, und Cözauue hat nie aufgehört, die Wichtigkeit 
dieses Schrittes zu betonen. — Wie die gesamte Entwicklung, so stellt 
sich auch die jedes ciuzelnen Werkes als reine Vervoilküinmnuiig der 
Realisierung dar. Auf dem Wege von einer früheren zu einer späteren 
Fassung föUt alles, was noch naturalistische Ausdeutung war, zugunsten 
einer logischen Organisierung der Gestaltung. 

AufwelchemWege undinwelchenFormenwirddiesevonGdzanneerreicht? 

Er begann mit der Bildung seines Mittels. Wie das Wort der Wissen- 
schaft nichts gemein hat nut dem Wort des täglichen Umgangs, so ist das 
Material der Farhe und der Linie nicht das Mittel des Künstlers. G^zanne 
begriff, daß das Material überhaupt nicht die Natur bezeichnen k&me, son- 
dern daß es in ein einheitlidies Mittel zu bilden sei, das seinerseits die 
Sensation umschrieb. In diesem Prozeß vom Material zum Mittel war der 
ganze G^taltungsvorgang keimhaft enthalten. Das Licht war nun nicht 
mehr Sejibstzweck der Darstellung, sondern hatte sich mit der Farbmaterie 



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66 



Auf dem Weg» »ir abielirtMi G^taltung 



zu einen, und zwischen Farbe und Linie bestand kein Wesensunterschied 
in der Bedeutung als konstituierendes Element, da beide der Form zu die- 
nen haben. „Le dessin et la couleur ne sont point distincts; au für et k 
mesure que Ton peint on dessinej plus la couleur s'harmonise, plus le des- 
sin fie pr^cise. Quand la couleur est 4 sa richesse, la forme est 4 sa pl^- 
tude.*^ Das einh^tUdieMittdC^izatiiitt war swarstai^kiiadidBrSeäeder 
Farbe hin betont^ Farbe wurde mit Farbe beantwortet, und das Wort Valeur 
soll nie von ihm gebraucht worden sein, aber es war weit daTon entfenity 
reine Farbe, d. h. nur Farbe zu sm. Mit diesem so gebildeten Mittel schuf 
C^zanne. Er dachte in ihuL Wo frühere Künstler die Kompodtionsfilhrun- 
gen gegenständlich machten, das Mathematische realisierten, da bringt Cd- 
zanne Brechungen, Änderungen, Betonungen des Mittels selbst Das war 
nur dadurch miSgltch, daß er mit einer sehr reichen Palette arbeitete. Hier 
ihre Zusammensetzung und die Erklärung, die Bemard ihr beifügt: 

, , , VermiUon 

Jaune brillant 

— de Naple 
Lesjaunes — de chrome 
ücre jaune 

Terre deSienne naturelle 



Les rouges 



Ocre rouge 

Terrr de Sienne brülde 
Laque de garance 

— carmindeiine 

— brülde 



Les verts 



Vei t Veronesc 
— erneraude 
Terre verte 



Les bleus 



Bleu de cobalt 

— d'outremer 

— de Prasse 
Noir de pdche 

„La composition colorde est ici rdpartie selon le cerde cbromatique et de 
la fagon la plus dtendue; de teile Sorte que, dublancd'argent qui en forme 
le summet, jusqu'k la bas^ qui en est le noir, eile passe par une parfaite 
gradation des bleus aux verts et des laques aux jaunes. Une teile palette 
a l'avantage de ne point pousser k trop de mdlanges et de donner beaucoup 
de relief h ce que Ton peint, car eile permet les dcarts du foncd et du 
clair, c'est-ä-dire les contrastes vignmeux.** 

Cdzanne bändigt das Leben solchen Farbumfanges, indem er es einerseits 
auf eine lache dominante hin bezieht, konzentriert, andererseits zu einer 
schwebenden Farbfläche einigt. Diese ist das Produkt einer logischen Ab- 
wicklung aller im Grund- und Konzeptionsakkord immanenten Möglich- 
keiten zu einer in der Imagination pcastabilierten Harmonie, das heißt die 



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C^uume * 87 

Folge einer Gestaltung. Ihre Klarheit kommt aus der logischen Notwendig- 
keit^mit der dieaus persflnlichster Optik gewonnenenKunstelementedurch- 
gefdhrt^verden; ihre Ruhe aus dem in der Imagination prSstabiliertenZiel. 

Das g^chaffeneMittelistformdienendymitbeduigt durch dieModellierung 
und Raumgebung, durch das organische Herausarheiten desKubischen aus 
der Fläche. I^eModeUierung konzentriert sich für Cezanne nach den For- 
men von j^phferc, cdne et cylindre". Doch bildete sich ihm bei seinem Mit- 
tel, aus dem der reine Valeur ausgeschaltet war, der Begriff des modeler 
zu dem des moduler. Die nebeneinandergesetzte Farbabstufung sollte kubi- 
s( he Werte direkt org^eben. SokannteCezanne eigenllich zwei Arten der Mo- 
dellierung, iJiie ( ine zerlegt den Gegenstand in getrennt und selbständig 
aufeinanderfolgende Ebenen, deren Tiefeniolge durch tarbdifferenzierung 
erreicht wird. Sie organisiert die Kunstform als eine Folge logisch ver- 
bundener Seinskontraste. Die «iudere aber ist nai.li alter Art illusionistisch 
und dient scheinbar einer größeren Realisierung. Das spezifisch moderne 
Problem; Wie können naturorganische Gegenstandseinheit und kunstorga- 
nische Gestaltungseinh^t zum Decken gebracht werden? hatCözanne mit 
der ganzen Kraft seines Willens zu Utsen gestrebt, aber ach letzthin doch 
mit einer Ausgleicfasform naturatmosphSrischer Art begnügen müssen. 
Daher die hüufige Wiederkehr großer Laubmassen, em&rbiger Kleider und 
AnzQge (modemer Anzeige, mit^enen noch niemand etwas hatte anfangen 
kdnnen),spiege]nderWasser,gestreckter Felder usw. An ihnen fandC^zanne 
ein gefügiges Material, die Gegenstandsform der Bildobjekte zu bestimmen. 
Da sie nicht mehr aus dem natürlichen Sein herüber genommen wurden, 
mußten sie geschaffen werden, und zwar nach den Prinzipien der Ge- 
•etaltung selbst: durch die Grundstimmen der Konzeption, durch die Art 
der Modellierung und Raumbildung, durch die besondere Stellung im 
Ablauf des neuen (^rgnnismus, durch den Funktionswert für das Ganze. 
Kehrt eine Form, et^v.i die Kurve, wieder, so bestimmt sie sich in ihrer"" 
Gestaltsvariation aus dem I uukuoDswert des Raumteiles, an dem sie steht. 

Die Doppelheit und Diskrepanz der Modellierung, die ihrerseits auf der 
zu starken Bewußtheit und damit Materialität des Willens beruht, ist viel- 
leicht der Gi uiid, weshalb Cezanne in seiner Realisierung nicht über das 
Konkrete hinauskam, weder nach der materiellen noch nach der psychi- 
schen Seite hin. Es war sein sehnlichster Wunsch, den Grad des Sdieins 
zu erreichen, den der Kxtschmaler fiouguerau hatt& Denn mit der rHH- • 
Ilgen Materialinerung hätte sich die Lebendigkeit seiner Optik erhöbt 



88 Auf dem-Wege zur absoluten Gestaltung 

^•■•••^•■•••••■•••»••»•■■•■■••■••••■•••••«»•••"•••■•••••••••••••••■■■''■••■■••"•••H*UHnMtN«ltMttlaMI<IIIIIHIIINIHH»ntM««MM HMIIHIM 



Wenn ihm diesesZiel auch versagt blieb^ein ganzesStreben ging darauf|die 
blutvolleWärme derSensation, dasT elien der PsycheundderDingedurchdie 
absoliiteGestaltung nicht totzusch Ingen, indem er von ihm abstrahierte,son- 
deixi es inihrzubewahren Fsgabfürihii keineGestnltungohnedieses Leben. 

Noch deuthcherals in der ModeUierung wird die i^uaUtät und Diskrepanz, 
an der der schöpferische Wille Cözannes strandet, an der Raumbildung. Sie 
erklärt sich restlos aus seiner Art zu modellieren „seien sph^re, cöne et 
cylindre''. Diese Formen sind unendlich und eiiauben bei ihrer Paralleli- 
tät zum Himmelsgewölbe keine Verbindung mit diesem. Aber erst die Ver- 
bindung und damit Verendlichimg dieser beiden Kugeln ergibt den neuen 
Kmistr^mn. Bei Granne aber, für den der Teil der ,^phläre, cöne et cy- 
lindre^ soweit gdit wie die dreidimensionale Gegenst&idlichkeityfoUea die 
beiden Momente auseinander und geben dadurch dem Naturraum Einlaß in 
die konstorg^ische Einheit. Seine Versuche, sie zu einen, haben mannig- 
fadie Erscheinungsformen. Zunächst die bekannte und oft wiederholte 
Dreiteilung der Fläche in wagerechter Richtung, die bei einem landschaft- 
lichen Sujet einen vorderen, stark kubisch modellierten Plan hat, hinter 
dem sich dann das Meer als weite blaue Fläche groß aufrichtet, verbindend 
mit dem Himmelj die bei einem Stilleben oft einen vorderen imd einen 
hinteren senkrechten, der Fläche parallele^ Pinn betonen, zwischen denen 
der Tisch in schrägem Ansteigen die Verbmdung schaHt. Wollte Cezanne 
die kubische Kraft dieser Schrägrichtung bis zur letzten Raumspannung aus- 
nutzen, so mußte er den Gegenstand senkrecht zu ihr stellen, wodurch 
dann die berüchtigten Perspektiven entstanden. Ein anderes Signum ist die 
starke Aufsicht auf die Dinge nri Kaum, so daß sich Cdzanne gleichsam eine 
neue Raumschicht (zum Beispiel an den Dächern) zur Verstärkung und Ver- • 
mittlung seiner Raumtmdwcen schuf. Gerade diese Art der Raumgebung 
läßt am deutlidisten die Schwierigkeit erkennen,' die für Gdzanne in der 
Begrenzung des Raumes in seiner Breiten- (und Htthen-) Richtung bestand. 
Abrupt und hart beginnen und schließen die Bilder, und je stärker er nach 
der Kugel modelliert, um so mehr ist er genötigt die Teile zwischen Kugel- 
ftödie und Bildrand mit alt hergebraditen Kulissen zu füllen. Diese b^den 
Randsenkrechten, die dann in ein deutliches optisches Verhältnis zu den 
Wagrechten der Flächenaufteilung treten, zeigen am deutlichsten die RoUe^ 
diedieFlächemit ihren Grundrichtimgqa in der C^anneschenRaumgestid- 
tung spielt. Sie ist noch etwas dem neuen Organismus Fremdes, Außen- 
stehendes geblieben, und es bedarf der ganzen Willensanstrengung, sie in 



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Paul Cezanne Eataque (Abb. 14) 



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Phot. E. Druel, Pari* 



I 

Paul C^zanne Stilleben (Al»b. 15) 



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C^zanne 89 

die Raumgebung hineiozuziehen. So erklaren sich aüe Sujets, die diese 
Vermaaenui§r der Feme diirch eine dichte Fläche (Ton Laubmassen und 
Ästegewirr) zeigen; so mirde der Raum enger genommen und der Figur 
angenähert. Das Probien erschien gleichsam um einen Schritt zurück- 
geschraubt — Zu einer ganz anderen Form der Raumgebung kam C^zanne 
unter Benutzung der Diagonalen, als des destruktiven Siemen tes; zunächst 
wieder eine Dreiteilung der Art, daß sich zwei von den senkrechten Rän- 
dern her diafToriBl ins Bild hineingeschobene Flächen nach Art einer geÖfF- 
nelen Zange begegnen und durch eine dritte, vorn unteren Rand her an- 
steigende Ebene geschlossen werden, auf die dann in senkrechter Richtung 
der Gegenstand gesetzt wird. So entsteht eine völlige Spannung des Rau- 
mes, die bewirkt, daß nichts aus der Bildfläche heraus in einen Naturraum 
fällt. Weniger radikal hat Cezannc die Struktur der Fläche ausgeschaltet, 
wenn er eine diagonale Raumrichtung am Rand — und die Ebene haltend— 
b^innen läBt, um aUmählich in den Raum fortschreitend, densdben nadi 
seiner Tiefe zu erobern. Hier wird dann das Direkte der Raumtendenz 
durch die lichtgebung zum Stehen gebracht, die, in der G^;endiagonale 
geführt, einen fruchtlaren Konflikt entwickelt. Doch ist C^zanne gerade 
bei diesen Büdem in der Htthenschließung des.Raumes zu Schwierigkeiten 
gekommen. Es fMllt anj^ daß die Grundform klassischer Einheit, die Ellipse, 
entweder nicht gefunden, oder umgangen ist. Aber bei allen Ungelöstheitm 
ist das die große Lehre, die uns Cezanne gibt, daß der Künstler zur Rea- 
hsation seines Erlebnisses eine derselben adäquate Raumbildung zu er- 
streben hat. Er hat zuerst wieder die Dilferenz zwischen naturillusio- 
nistifichem Raum und Kunstraum erkannt. Freilich hat er letzteren nicht 
in restloser Reinheit gefunden. Statt einer organischen Bildraumeinheit, 
-die er immer gesucht hat, gab er nur einen diskontinuierUcheu und kom- 
positären Raum. 

An diesem Punkte, wo wir noch über die Vollendung zu berichten haben, 
über das Verhältnis der Teile zum Ganzen, müßte das Geiühl entstehen, 
als ob nichts Fremdes mehr in unsere Darstellung hineinkommen könnte, 
als oh das noch zu Sagende mit eherner Konsequenz aus dem Gesagten 
folgen mtlflse. Denn da der gesamte Raum das Ergebnis aller soner Teile 
ist, und jede l^azelform bedingt ist Ton dem Ganzen, wo and^ fioBten die 
Kräfte^ die sie verbinden, liegen als in diesen Formen selbst? Das eben ist 
das Zeichen dner Kumt, die den Weg der absoluten Gestaltung beschritten 
hat, daB der Willkür des SchlSpfers an einem bestimmten Punkte seines 



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90 



Auf dem Wege nir abMlntan Gcrtiiltung 



Schaffens jede Möglichkeit genommen wird, daß er mit freier Überlegung 
nur die in der Konzeption sdihst liegenden Möglichkeiten nach ihrer grö&» 
ten Logik und ihrer vollkommensten Erscheinungsform zu vollenden hat* 
Es handelt sich dabei nicht um eine Mannigfaltigkeit vonTeilen, um eine 
Buntheit und Fülle, sondern allein um jenen inneren Variationsreichtum, der 
sich mit der Sparsamkeit derMitlel «leigert. Es handelt sich nicht mehrum 
eine möglichst große Häutuu^ von Ilealität bezeichnenden Ein/.elheiten, 
nicht mehr um eine Freude an üer remen Mannigfaltigkeit des l)a<;eins, son- 
dern um das mehr oder minder bestimmte Andeuten und Herausarbeitender 
unter das Gesetz subsumierten Einzelfälle, um die Erschließung des gan- 
zen Umfanges seiner Gültigkeit. Der Verlauf charakt et isiert sich bei C^zanne 
durch die Zentrierung sowohl der Farbgebung wie der Modelherung, der 
Betonung und Sammlung bildfunktional wichtiger Punkte, wie der ganzen 
Komposition. Dabei ist es typisch iür C^zanne, in welcher nahen und doch 
lösen Form diese Funktionspunkte der Gestaltung um die der FIfiche imma« 
nenten Punkte herum oszillieren und schweben. Deutlicher wird dieses 
Verhältnis von Fixierung und Freihat in der BeziehungTonmathematiscfaer 
Grundfigur und Rhythmus. Wir sahen, daß beirollkommenster Gestaltung 
d ie beiden sich durch ihre Durchdringung aufheben und d a d urch denSdiein 
der Natur erwecken. Bei Cezanne stehen sie in lebhafter Spannung. Der 
Wille zur Bindung näch der mathematisch-statuarischen Richtung wird 
alteriert durch den anderen, der als ein freier Rhythmus jene Bindung 
verhindert. So ist der Ablauf der Gestaltungsstimmen ein eigenes und son- 
flcrl^ares '/witlerding zwischen rein räumlicher Stntuarik und rein rhyth- 
mischer Dynamik, ohne daß jene einzige llaumemheit, die immer mir 
slatuarisrh-dynamisch sein kann, völlig erreicht wird. Daher erklart es sich, 
daß C(^zanne den Verlauf selbst mehr als eine Themenvariation begreift, 
denn als einen einheitlichen, sich steigernden Aufbau — ein Kompromiß, 
der um so unleidlicher ist, als Cezanne zutiefst ein drainaLibt hei (Jjarakter 
war. Denn ihm entwickelte sich der in jedem Konflikt liegende Kontrast 
zu einem Kampf voa Klüften, von Willoisstrebungen, die mit harten Schil- 
den und wuchtig-mittelalterlichen Panzern gegeneinander kamen und aus 
dem Kampfe selbst eine neue Welt auftfirmten, ein Königreich, so kolossal, 
so groß und tief, daß wir nur immer von neuem staunen, immer Yon 
neuem Entdeckungen machen. Einmal finden wir den grollenden Heros, 
einmal den lyrisch zarten Triumer, den olympstürmenden Riesen, den vom 
Adlerbiß des Absoluten zu Tode gequälten Prometheus. Die Welt «nes 



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t 



C^tanne Q 1 

tragiscben Menschen. Denn an seiner schöpferischen Kraft nagte eine 
ihm selbst innewohnende, seinem Charakter zutiefst angehörende Gegen« 
kraft, eine Impotenz oder eine Oherpotenz, jedenfalls ein Momoit, 
das er mit der ganzen Anstrengung seines Willens fibertduhen mufite. 
j^Je me suis jur^ de mourir en peignant/' 

So "war sein Leben ein endloser Kampf darum: „faire de rimpressio> 
♦ nisme quelque chose de solide et de durable comme l'art des Mus^es", 
das heißt ein Werk zu schaffen, das ganz gestaltet, das ein Bild ist. Und 
doch hat man gerade gegen ihn immer wieder von neuem behauptet, er 
hätte niemals eins gemacht. Aber er war der erste, der es überhaupt 
wolhe, wälirenci sogar Renoirs Wille rmr darauf gerichtet wdr, ein Mo- 
ment der kosmischen Allheit beschreibend wiederzugeben. W armes Son- 
nengelb liegt auf dem schmalen Streifen des Hintergnmdcs und wird, 
durch das Bidu des Wassers hindurchgehend, kühler, bi auniich im grünen 
Gras und endet kalt, weißlichgelb im Vordergrunde rechts. Elin Wind 
streicht das Gras in der Gegenrichtung dieses Lkhtzuges. Zerrissene 
ken am HimmeL Wiese, Wässer und .Himmel sind möglichst ineinander 
übergeführt, die KontinuierÜchkeit des stofflichen Zusammenhanges her- 
gestellt durch Farbflecken, die eine lichtstufe bedeuten. Alle linearen 
Gliederungen der liifassen Terschnvinden dagegen. Wollte man trotzdem 
die kubische Fülle der GrasbOschel iür gestaltete Fotm nehmen, so würde 
ein Ausschreiten des Raumes das Gegenteil beweisen. Die Feme ver- 
liert sich in die Unendlichkeit des Raumes, und der völlig yerschwim- 
mende Horizont hat keinen Form- und Motivzusammenhang mehr mit 
dem Raum. Das passive Erleiden der Atmosphäre bildet ihn. Ganz an- 
ders C^zanne. Trotz der Abnahme der Farbintensität sind die Dinge der 
Ferne in ihrer Gestalt den gleichen Bildungsgesetzen imterworfen wie 
die der Nähe, die sie vollenden. Licht, Farbe und Linie sind zu einem 
Mittel geeint, das nicht mehr seinen Sinn darin findet. Realität zu be- 
schieibon, sondern allein den Konflikt zu einem Gdozeii aus/ubauon und 
sich von diesem bestimmen zu lassen. Darin liegt die Bedeutung C^- 
zannes gegenüber Renoir und den Impressionisten, daü er seinen Gestal- 
tungswillen soweit von der Materialität des Erlebnisses befreien konnte, 
daß er ihm einen rein energetischen Konflikt schuf, der sich nach eigenen 
Gesetzen zu einem Organismus vollendete. ,,L'exemple de G^zanne nous 
enseifiinait k transporter les donn^ de la Sensation en ä^ments d'oBuyre 
d*art^ (Maurice Denis). Diese Steigerung der Gestaltung, die da* Kunst 



Auf dem Weg» cur alnolnten Geitaltung 



erst das gibt, was ihr am eigentümlichsten ist: die Prinzipien der absolu' 
ten Gestaltung, sie ist nicht allein die Tat des Willens, wie man glauben 
machen wollte. Wille, solange er materiale Verwirklichung bedeutet, ist 
Willkür. Er wird erst reine Funktion und damit Basis einer notwendigen 
und schöpferischen Äußerung, wenn er ein Zurückgehen auf die Funk- 
tionen des BewiiBtseins überhaupt und auf die Gründe dcf Objektwer- 
dung bedeutet, die Tendenz der durcVirrehenden Verknüpf ung hi ider und 
ihre Vollomiung in den Grundprinzipien der Kunst selber, in den Prin- 
zipien ihrer Realisierung. Diese Prinzipieu kunsiituieren immer nur eine 
Form, nie eine Formel, immer nur einen Organismus, niemals ein Schema. 
Und hier liegt die Difierenz — es ist die einschneidendste, die denkbar 
ist — zwischen Cezanne und Hodler. Hodler ist immer in der Materia- 
lität seines Erlebnisses befangen, also Naturalist, aber er kann ihm nicht 
einmal die dieser Stufe reine Erscheinungsform schaffen, die wir bei Re- 
noir aufe höchste bewundern. Er limitiert seinen schttpferischen Trieb 
nicht auf dem Wege der Formbildung, sondern durch die Konstruktion 
eines Schemas. Wenn ich das Erwachen des Tages an -variierten und auf* 
emanderfolgenden Stufen des Erwachens des Menschen darstelle, so habe 
ich den Inhalt durchaus b^rifflich fixiert, ihm alle innere Weite und 
damit jedes Interesse genommra. Und wenn ich diese Etappen in emß 
fÜnffigurige Anordnung bringe, deren Hälften sich korrespondieren, so 
ist das eine Vereinzelung der Teile und eine äußere Ordnung, die nichts 
von der inneren Vitalität de? Organismus hat. Es ist das ein Schema, das 
sich über den schon schematisierten Gedanken legt und de^^sen Endlich- 
keit optisch komplett macht. ,,T.a Sensation exige que les moyens soient 
constamment iransformes, rci rer s^ pour Texpriraer dans son intensite. II 
ne faut donc pas tenter de faire entrer la Sensation dans un moyen pr^^- 
tabli, rriBis mettre son g^nie inventif d expressions aux Services de la Sen- 
sation'' (Beiiididj. Gegenüber dem Leben des Organismus ist das Schema 
der Tod. Und diese harte Unlebendigkeit eignet sowohl der Zeichnung 
irie der Farbe Hodten^ Daß es sich bei ihm lediglich um eine Illustra- 
tion soner Gedanken hand^ die Milch weniger eine Idee, ein Sein 
als ein Werden, eine roluntarisdsche Kologie zum Inhalt haben — wQrde 
man eher erkannt haben, hätten diese Werke nicht die Kraft zur 
Mcmumentalit&t. Es bleibt ihr Vorzug, daß de dch im Beschauer 
gleichsam den Raum selbst konstruieren, in den sie hineingehdreci. 
Das zmgt ihre Kraft und ihre Endlichkeit zugleich, ändert aber 



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Cezanne 



nichts daraiiy daß de unietne Äußerungen des schöpferischen Tri^ies 
darstdUeSL 

ersänne alleitt hat den reinen Weg zur absoluten Gestaltung gewolll^ 
und sein Werk allein bedeutet dne — wenn auch nicht restlose — Er- 
iÜUung. Nur allzudeutlich wird unsere Darstellung die innere Diskre* 
panz und die Zwitterliaitigkeit des C^anneschen Bildes herausgearbeitet 
haben. Aber nicht gegenüber falschen GdtterUi sondern allein gegen- 
über dem reinen Ziel der absoluten Gestaltung, das seinem Willen immer 
vorgeschwebt hat, werden wir zugeben, daß er kein voUkonunenes Bild 
gemacht hat 



tM»fmMM«imMM*MnWtniMMtlBlll»llflllMI«M«*MWSMa»Mmi4llll|IIIU>l«linilllltllMflMIIIIM»IMII»lll ■«■••«IM«*lll>>lllllffllllll»nt«H«iSM« 

■■aaitMtfcMiiMiMiMati>iMMMiiMiiMtttitiiiiMitMiisi«asiMiiMtiiMiiMiiMiiiiiitiMttilsSiliilNSSSSSSiltlllltiinilwi»littrtifniftt 



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DIE NACHFOLGER C^ZANNES 



„Gauguin ne m'a pas rompris. Jamals je n'ai 
vüulu et ]e n'accepterai jamais le maaque de 
modele ou de graduatioQ} c'est un non-sens/^ 

(C^zannej 



nil«IM>tlltMIIIIIUtlinHUIiaiM«aill>ai>t<<H<llll<tMt«ll<<M(lall«l>l<t>»ll»MtMI«<«l<n»l«lll«tHIMM«MIMnilMtaiHMUnMH«MINHmMH«MMMIU« 
••■••U«tma«tM>IUlttHIIIMH>MlH<ll>UIIUUlUIUIiaU>Ull>raillU<H«IUIUU4IIWIIUMH<llUUIMaltHnMHHltUttUMlNMNiMMHNI<NUMMIMIl 



* 



II lllllllllllllllllllll III! MIIMIII III Iii IIIMIIMIIIIIIMIIIMII II II MI III II III I IIIIIIIIIIII IIIIIIIIIIII IIIIII II IMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIlllllllllllMiiitlM^ 

DER EXPRESSIONISMUS. GAUGUIN. MATISSB 



> 



Seit dem Tage, da des einsamen Meisters von Aix Bilder von jungen 
Künstlern gesiiclit wurden, als Stützen, um sie über den ihnen völlig 
inadäquaten und seicht gewordenen Impressionismus hinauszuführen, 
hat sich das Werk Paul Cezannes beeinflussend in den Weg der Entw icklung 
geschoben,Bekleniuiuugender Verzweiflung und Ekstasen der Perspektiven 
verursachend. Wie ein breiter Berg stand es da, und es hat lange gedauert, 
bis einer den Mut fand, die Hochtour des Geistes zu seinem Gipfel auch 
nur anzutretm Und wer von den Heutigen kann sagen, daB er ihn er- 
reicht hat? Die ersten. aber mußten sich damit begnügen, an seinem Fuße 
entlang gebend, einige seiner Weisheiten ahzubrOckehi ünd mit ihnen eine 
Fahrt aus den stagnierenden Gewissem des Impressionismus fort zu be- 
ginnen, um nach einer anderen Seite einen Ausweg zu suchen. Die harmo- 
nische Einheit von Ich, Welt und Gott, die in dem C^zanneschen Bilde 
geschaffen war, wurde zerrissen zugunsten einer völlig neuen, aber bedenk- 
lichen Grundlegung, die um ein gutes Stück diesseits seiner reinen Weisheit 
liegt. Man nahm das, was unrein war an seinen Leistungen, das Negative 
seines schöpferischen Triebes, und es verabsolutierend, setzte man an die 
Stelle des Naturalismus der Gestaltung jene andere, zweite (aber nicht un- 
bedingt höhere) Stufe des Idealismus der Gestaltung. „Vom Standpunkt 
der Subjektivität haben wir den ( r e* lau ken: Die Natur, durch ein Tempera- 
ment gesehen, ersetzt durch die Theorie des Äquivalents oder des Symbols. 
Wir stellten das Gesetz auf, daß die Empfindungen oder Seelenzustände, 
die durch einen bestimmten Vorgang hervorgerufen wurden, dem Künstler 
Zeichen oder plastische Äquivalente vermitteln, durch die er imstande ist, 
diese Empfindungen und SeeleozustSnde zu reproduderen, ohne daß es 
notwendig sei, eine Kopie des eigentliche Schauspiels zu geben $ daß mit 
)edeiyi Stadium unserer Empfindungen eine objektive Harmonie korre- 
spondieren müsse, die es. ermöglicht, sie zu fihersetzen. Die Ktmst ist nun 
nicht mehr eine Sensation, die wir mit den Augen in uns aufnehmen .... 
nein, sie ist die Schöpfung unseres Geistes, zu der die Natur nur die zur- 
fällige Gelegenheit gegeben hat. Statt mit dem Auge zu arbeiten, erfassen 
wir mit dem geheimnisvollen Zentrum des ,Gedankens', wie Gauguin 
sagte * . . und die Kunst wurde die subjektive Umwandlung der Natur. 



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Henri Matisse Caf6 Maure (Abb. 18) 



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Fkol. K. Drvtt, Paris Sammluny ÜUiekoukin 

Henri Matisse Nature morte (Abb. 19) 



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Phot. E. Itruet, Paris Samtnlung Miehel Stein 



Henri Matisse Kopf (Abb. 20) 



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Der Expressionismus ihSmi 

Vom olijektiTen Standpunkt aus wurde diedekonitrre, Ssthetisdieaiidra- 
tioneUeKoaiporitioii(aufwelchedieLnpra8donkteBiiichte 
ihrer VorUebe fDr dicLimproTisatioii entgegenstellte) die Begleitstimme, der 
ttotwendigeMMerung8tonfilrdiel1ieoriederÄquira]ente.Wiediesezugunr 
8ten des Ausdruckes alle selbst karikaturellen Übersetzungen, alle Übertrei- 
bungen des CharakterszuließySOTerpflichtetedieo^ektiTeUniwandlungden 
KQnstler, alles in Schönheit zu transponieren. Kurzum: die ausdrucksvolle 
Synthese, dasSymbol «qm' Sensation mußte durch eine eindringliche Um- 
schreibung wiedergegeben werden und zugleich ein den Augen wohlge- 
fölliges Kunstwerk sein.^ 

Die Betonung des Subjekts! Das sollte die Lehre Cezannes sein: die Ak- 
zentuierung des schöplerischen Ich, das durch seine geistigen Funktionen von 
der Majestät des Objekts befreite. Man war dieser Knechtschaft überdrüssig, 
unbefriedigt von de r \ e r e i n ze 1 m i g d es R c iz es, von der Egaiisie r u n g eines pan- 
theistischen Ästhetizismus. Man wollte seine Empfindungen sammeln, zu 
einemWesentlichen konzentrieren, das zugleich die Kraft hatte, von der stoff- 
lichen Matei iaiiiai dls solcher zu befreien, und das Erlebnis nicht mehi direkt, 
realistisch zu geben, sondern indirekt, symboüsch. „Eis gibt zwei Arten, die 
DingB auszuifracken, die eine ist, sie brutal zu zeigen, die andere^ sie mit 
Kunst herrorzurufen. Indem man sich von der budistSblichen Darstellung 
der Bew egung entfernt, gelangt man zu mehr Schönheit und Grftße.^ Äqui« 
yal^it und Synthese würden die beiden Grundbegriffe der neuen Kunst. 

In einer doppelten Welse konnte man, den Rdz sulnlimnd, zu emem 
Wesentlichen vorzuschreiten yersuchen; indem man entweder die Empfin- 
dung kondensierte, kontrahierte, vertiefte oder sie vereinfachte, reinigte und 
so auf die Wurzel zurückging. Aber beide Verfahren sind anerseits in sich 
endlos und setzen andererseits das Prinzip, nach dem verfahren wird, still- 
schweigend voraus, wenn anders nicht alles der völhgen Willkür des Sub- 
jekts, den zufäHigen Assoziationen der (sehr vorsichtig zu behandelnden) 
Phantasie überlassen werden soll. So erfordert die Subjektslage selbst — es 
ist das psychische Subjekt in seinen geistigen Funktionen des Kombinierens, 
Auswählens usw. — die SubstitiiierLiiig einorMvstik oder Metaphysik. Aber 
wie wir die M v?i ik geiegenüicii schon abgelelint haben, so können wir auch 
in der Metapii) sik kein das schöpferische Tun konstituierendem Prinzip an- 
erkennen, vielmehr zieht sie ihr ganzes Dasein überhaupt aus Quellen, die 
den sciiöpferischen Trieb negieren. Die metaphysische Hypothese verdankt 
ihre Existenz der Anerkennung der kausalen Zusammenhangslosigkeit des 

PiCBMO 7 



Dw Nachfolger GteuMt 



Sei]» und der Augflilliing dieser Lficken duxch eine irgendwie ferdfe Knift 
Die Au%abe des ichdpferischen Tuns aber ist es gerade, den kausalen Zu- 
sammenhang dieser Wdt zu schaffen, und zwar aua den Funktionen des 
Bewußtseins überhaupt und den Gründen der Objekt werdung, nicht aber 
mit Hilfe einer außerrealen Kraft, sondern durch die Kräfte der Erfahrung 
selbst. So n^eren sich Metaphysik und schöpferisches Tun ebenso wie 
Mystik und Kunst, und keine Tiefe und kein Glanz kann uns bestechen, in 
ihren Annahmen mehr als ein leeres Spiel subjektiver Willkür zu sehen, 
das keinerlei Notwendigkeit und Allgcmeingültigkeitbei sich führt. Als Kor- 
relat zu einer \^ illkürlichen Stule de> Subjekls karm keine metaphysische 
Hypothese über die Willkür hinausf ühren. Darum ist der Begriff der Syn- 
these, mag man ihn noch so sehr von allen mißverständlichen Ausdeutun- 
gen beireien, die ihn mitKinderzeichnuiigen identitiziert haben, w eit davon 
entfernt, die Totalität des schöpferischen Triebes darzustellen, das, was 
Kant das reine Er&hruugsurteil genannt liat. Sie ist immer nur eine im 
letzten Grande willkQrliche und dämm unverbindliche Beziehung, die das 
IndiTidueUe Subjekt Tomunrnty wie weit es sich «uoh ins Allgemeine stei- 
gern zu kttnnen ^ubt. (Diese Korrelation zwischen Vemn&chung und 
Steigerung, Abstraktion und Mimik ist durchaus typisch.) Da das Resultat- 
immer in die leere Grube des Metaphysischen fällt, ist es nicht die notwen- 
dige, unantastbare, alles in sich enthaltende, gültige Form C^zannes, sondern 
ein im besten Falle optisches, im schhmmen Falle literarisches ÄquiTalent. 

Aus der Betonimg der geistigen Funktionen des Subjekts bestimmt sich 
sein Inhalt. Vom Impressionismus herkommend, d. i. nicht von dem 
Objekt, sondern von der Empfindungseinheit, nicht mehr auf das Wesent- 
liche der Sache gehend, sondern auf das Wesentliche des Reizes, bestimmt" 
sich der Inhalt durch eine fast völlige Ausschaltung der Objektrealität über- 
haupt. Das psychische Erleben wird unmittelbarer Inhalt der Kim&t. Wir 
haben ihn als ungenügend ablehnen mü ssen. Denn charakterisiert dia ch den 
rein zeitlichen Verlaui, kann er nirgends zu einem sich selbst setzenden 
Konflikt iühren, diesem unumgänglichsten Faktor der absoluten Gestaltung. 
Dann aber ist es der Sinn jedes psychischen Inhaltes, daß er im Prinzip 
nur einem Subjekt erfahrbar ist, also eine Mitteilbarkeit unmöglich macht, 
solange er in ^ch beham. Eine Kuxist, die sich zu diesem egozentrischen 
Subjäctivismus verdammt, verurteilt sich damit zu einer vOUigen Armut, 
weil nicht der Inhalt gilt, sondern nur die geistige Funktion, und diese 
ohne das Hindernis am real-physischen Objekt nie zu ihrer vollen Entfal- 



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Der ExpreMioniimiu QQ 

tung kommen kann. Freilich die reine MannigiiEdtigkeit des bihalts ist 
nicht geringer geworden. Dem Gefilhie nach ein Gemisch aus Lyrik, und 
Pathos^ inhaldidi-stofflicb eine Skala von den niedrigsten Instinkten zu my- 
fitisch-somn a m I i uler G eistig k e i t ^ vergrößert dies e M annigfaltigkeit die Will» 
kOr. Aus der Mystik, d. h. der auBerkausalen Beziehung des Menschen 
zum Absoluten, ist Telepathie geworden, d. h. das Problem außerkausaler 
Beziehungen zwischen wähl verwandten Menschen. Aus der alles gebären- 
den Macht des Sexus ist eine banale Fünfgroschendirnen- nnd Kabarett-Sinn- 
lichkeit geworden, die rnit der neuen Mystik die völlig abstruse Sonder- 
existenz in der Empfindung des Malers teilt. Der neuen 1 endenz zum We- 
sentlichen halten zwei Merkmaie an, die sie jeder ähnlichen Tendenz Frü- 
herer Zeiten entgegengesetzt sein lassen: die völlige Individualisierung, 
Absonderung des Erlebnisses und die völlige Häßlichkeit der stofflichen 
Gestalt. Wenn man solche Banalitäten zum höchsten Ausdruck forciert, 
diesen minimalen Gehalt zu Tode hetzt, so ist das Zeichen eines zweifel- 
haften geistigen Geschmackes. 

Es ist offimbar, daß wir im Verhfiltnis znmimpresdonismus emen Tttllig 
andersgeartetenPersÖnlichkeitstypus vor unshaben. DieSpanneeinerGene- 
ration, die die höd^ Geschlechter trennt, hat eine sdieinbar typische Ver- 
änderung herYorgeruÜBn. Denn wenn nicht alles täuscht, ist die Differenz 
dieselbe wie die zwischen den Ktlnstlem der letzten Generation des Quattro- 
cento und der ersten des Cinquecento, die uns WölfiFlin in so unnachahm* 
lieber Klarheit geschildert hat. Mit denselben formalen Ausdrücken könnte 
die Entwicklung der Moderne bezeichnet werden : die stärkere und erschöp- 
fendelnanspruchnahmedes Mittels, die größere Klärung der Flächen-Raum- 
beziehun<j;en, die stärkereScbließnn^ der Bildform, die andere, stäi kere Inle- 
grierung des Teiles ins Ganze, die Klärung und Vei eintcu hung der optischen 
Vorstellungen überhaupt. Nur muß man sieh huien. diese Wesen sditierenz 
in eine Differenz der V\ et tungsgrade, in einen Eni wu klungslortschritt zu 
verwandeln. Wie groß die Anstrengung und die Leistung eines Matisse auch 
gewesen sein mag, ehe er zu seiner Eihfachheit kam, ich stehe nicht an, 
Renoir den größeren Künstler zu nennen, ebenso wie Mantegna, Signorelli 
oder Botticelli dem RafFael oder Andrea del Sarto aberlegen sind. Es han- 
delt sich um zwei verschiedene Gestaltungsarten, die beide gleichwat von 
der absoluten Gestaltung entfernt hieben und unter sich keinen anderen 
Werlungsvergleich zulassen als den der Peisönlichkeitsstürke. Wenn jene 
von Leonardo erreicht wurde, so ist das Verhfiltnis RaSiaels und Sartos histo- 

7* 



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lOO 

HMMMHIMMI 



iiKh-eutirviclcluDgBmäßig zu ihm ebenso wie das des Gauguin oder Matisse 
zu C^zanne, d. h. der Kdnstler der absoluten GestaltuDg steht historisch zwi- 
schen der naturalistisch-deskriptiTen und idealistisch'^bstrahiefenden Ge» 
staitung^tufe, nicht selten von der einen herkommend, die andere vorberei- 
tend. Diese — offenbar typische — > Fonn der historischen Beziehung der drei 
Gestahungsstufen zeigt auch die deutsche Literatur in der Stellung Goethes 
zwischen den Künstlern derSturm- und Drangperiode und denRomantikern, - 

Da der Prozeß der Gestaltung und die Art seiner Erscheinungsformen 
immer nur den Kräften entsprach, die die schöpferisch eTätigkeit von Anfang 
an enthielt, so wird sowohl das einzelne Element wie das Ganze der neuen 
Kunst gleich weit vom impressionistischen Farbfleck und der völlig ollenen, 
fragmentarischen Bildskizze wie von der Form und der organischen Bild- 
haltt mg (>ezdnne8entfernt sein. Dem Impressionismus gegen über bedeutetes 
(wenigstens theoretisch) einen tüchtigen Schritt zum Ziel, daß eine Ganzheit 
als solche als Regulativ des ja völlig subjektivge wordenen F.rlebnisses gesetzt 
wurde. Denn niemals war die Kunst subjektivistische Willkür schlechthin 
gewesen, sondern eine Spannung zwischen dem künstlerischen Subjekt und 
einrai irgendwie objektivenHindemiSydassich der kfinstlerisdie Willeschuf. 
Das neue Ideal hieß das Bild. Man wollte wieder ein von allen fremden, 
fiufieren Beziehungen firmes, in sich selbstfindiges Gebilde schaffen. Nicht 
mehr die Natur war das hindernde Regulativ, das dem Künstler die Gesetze 
des Schaffens diktierte^ scmdem das Bild. Aber das, was man Bild nannte, 
war nicht der aus konstitutiven Prinzipien entstandene Organismus der ab- 
soluten Gestaltung, sondern ein regulativer Faktor, eine dekorativeOrdnung, 
d. h. subjektiv und ornamental-harmonisch, nicht objektiv, mit und aus der 
Sache geboren. „Die Komposition ist die Kunst, in dekorativer Weise die ver- 
schiedenen Elemente zu ordnen, über dieder Maler verfügt, um seineGefühle 
auszudrücken. Tn einem Bilde muß jeder Teil sichtbar sein und die Rolle 
spielen, die ihm zukommt, sie sei hauptsächlich oder nebensächlich. Alles, 
was kernen Nutzen für das Gemälde hat, ist eben dadurch schädlich. Ein 
Werk umschließt eine Gesarnibarmonie; jedes überflüssige Detail würdcfim 
Geiste des Beschauers den Platz einnehmen, den ein anderes, ein wesentliches 
Detail einneiimen sollte" (Malisse). Das Verhältnis des Teiles zum Ganzen 
ist nicht mehr wie im Impressionismus ein Aufgesaugtsein des Flecks in eine 
Totalität, sondern eine optische Relation der Flächen. Doch ist diese Relation 
keine organiscfa6,sich selbst zeugende,€ondem eine innerlichbeziehungslose. 
Die optische Ordnung äußert sich in der sicheren nickfikhrung. Das Auge 



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Der ExprBMnmiimiit 



lOl 



vom Einzelnen zum Ganzen leitend^ limitiert sie sich an der Flächengrttfie. 
Die Fonn der Fläche in ihrer Gestalt und Grüße sch^t gmdezu konsti- 
tuierender Faktor der Gestaltung geworden zu sein, Grundmoment der Kon- 
zeption. ,,Die Komposition, die auf Ausdruck hinzielen soll, modifiziert sich 
je nach der Fläch^ die zu füllen ist^ (Matisse). Da ein sich seihst setzender 
Konflikt nicht gewonnen werden konnte^die Gegensätze völlig auseinander 
bleiben, das Prinzip der Wiederholung an die Stelle des'Prlnzips der Durch- 
dringung tritt|SO war d io organische Limitierung der Vision unTTTöglich,sie 
wurde daher an deräuUeren Gestalt des Formates gewonnen. Bedinr^t jeder 
Wechsel im Kosmischen eine neue Konzeption ^es Impressionisten, selbst 
wenn er dasselbe Sujet hatte, so erfordert jede neue Flächengröße eine neue 
Konzeption des Expressionisten, als hätte er ein ganz neues Sujet darzustellen. 
„Ich kann nicht dieselbe Zeichnung auf einem anderen Bilde wiederholen, 
dessen Proportionen anders sind, das etwa rechteckig statt quadratisch ist. 
Aber ich werde mich auch nicht nur begnügen, sie zu vergrtlßern, wenn 
ich sie auf ein Blatt Ton Shnlicber Form, aber zehnfacher GrO0e fibmrage. 
Die Zeichnung muB eine Ausbreitungskraft haben, die die Dmge ihrer 
Umgehung belebt Der Künstler, der Kompositton von ehaer Fläche 
auf eme grdßere Übertragen will, muß sie neu konzipieren, um ihre Aus« 
drucinkraft zu wahren, muß sie in ihrer Erscheinung ändern und darf 
sie nicht einfach schematisch übertragen" (Matisse). 

Eine solche Konzeption bedeutet keine kausale Verknüpfung, überall 
ist in ihr Raum für die Willkür des Subjektes. Und wie sehr das Einzelne 
nach seiner Stellung im Ganzen durch die Intention des Künstlers bestimmt 
sein mag, dieses Ganze bleibt ebenso abhängig vom Subjekt wie die im- 
pressionistischeGestaltim^sskizzevom Objekt. Und wiedasGanzeunvei bind- 
lich ist, so ist es auch die Beziehungder Teile zum Ganzen und der Teil selbst. 

Auch der Teil ist nur ein Surrogat iür die Form und heißt: die reine 
Farbe. Das bedeutet zunächst, daß die Farbe direkt der Ausdrucksträger 
der inneren Erregung wird; nicht die reine Farbe, wie man sehr schnell 
banalisiert hat, sondern die in Lichtstufen so fein differenzierte Farbe, daß 
der Schein einer einheitlichen Farbfläche entsteht. Indem man das MateriaU 
zum' Ausdruck botmtzte, mußt«» man es steige. „Man wird durch das 
Wort erschüttert Die Worte sind ihm nicht ausschließlich Mittel zu einem 
außer ihnen liegenden Zweck, sondern dichterisches Erlebnis roll dgener 
Tiefe und Leuchtkraft. Und da in dem Dichter eine fiebernde Gier lebendig 
ist, alles Gegenständliche bis zur . Hefe auszutrinken, so wählt er immer das 



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}0d 



Die NachiiilcRGtfiaiiiiM 



Stärkste Wort^das den Gegenstand auf seiner höchsten Höhe, in seinar inten- 
sivsten LebensgLut bezeichnet, und verfällt auf diese Weise in dnen Manie- 
rismus des Extremen, der mit formaler Manier nichts zu tun hat, sondern 
einzig und aUein aus dem überhitzten Wunsch^daseineschlagend zeichnende 
Wort zu finden, hervorgeht" Völlig Analoges gilt von der Farbe. Jede 
Stilisierung nach Grau vermeidend, und rein in der Farbe subtile DifYeren- 
zierungen versuchend, steigert man sie zur höchsten Intensität ihrer Aus- 
druckskraft und verstärkt diese dnrch die Abwägung ihrer Massen. Das 
quantitative Moment tritt sehr bedeutsam in die Farben rechxiung ein. Je 
stärker sich die Größe des Flecks betont, um so eher h'wiet sich zu einer Unter- 
streichung und Hervorhebung die Linie an. Es ist durchaus bedeutsam 
und die ganze Tendenz dieser Kunst charakterisierend, daß die 2Leichnung 
nicht ein primäres, lineares^ sondern ein sekundäres, malerisches Mittel ist. 

Ob man sich in der Wahl d&r Farbe ganz dem Instinkt fiberließ und 
dem Bedfirfnis, seine noch dunkle Empfindung möglichst intensiv auscu* 
drücken, oder ob man, daeErlebnis Torschnell inteUektualisierendy eine Far- 
b^isymbolik statuiertei die mindeste Voraussetzung fOr die Vostdbbarkdlt 
und damit Verwendbarkeit der Farbe als unmittelbaren AusdruckstrSger 
blmbt doch die — wie es scheint — bezweifelbare Annahme, daß die Far* 
ben tatsächlich bei allen Menschen die gleichen psychischen Ausdrucks- 
werte auslösen oder vmaoffStem auslösen sollten. Zeigten mir Experiment^ 
die ich an Kindern vornahm, ein völliges Vorherrschen von zufälhgen Asso- 
ziationen, so differieren die Meinungen selbst bei Menschen, die ad hoc ab- 
strahiert haben, (reib bedeutet z. B. für Leonardo Frde: für Gpethe: heitere, 
muntere, reizende Eigenschaft; für Kant: Freundlirhkeilj für Kandinsky: 
nähertsichdcmMensclion; beunruhigend,frech,aufdru]o;lich;irdischeFarbe5 
tolle Kraftverschwendung ohne Vertiefung (Herbst^; für van (iogh: laclart^ 
. divine; für Gauguin: cette couleur (jaune clair ^-uggcre la nuit (!), sans 
toutefois l'expliquer; im Volksmunde gibt es auffälliger- und bi'-her noch 
immer unerklärterweise nur die Neidfarbe Gelb. Aber selbst wenn man 
geneigt ist, dieseDifferenzendurdi Annahme persönlicher Aesoziationennnd 
je nach der lichtstufe verschiedener Ausdmckswerte zu erklären^ so Udbt 
doch die völlige Übereinstimmung mehr ein Wunsch als eine Tatsache^ und 
selbst wenn diese durch die Forderung gesichert virSre^ daO der psychische 
Stimmungswert der gleiche sein mfl»e wegen der Beziehungen zum licht 
und der Zusammensetzung jeder Farbe aus Licht und Dunkelheit^ würde 
das Arbeiten direkt in der reinen Farbe kein lünrmchendes Mittel sein^ d« 



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Der ExpreMionismus IO5 

• ■(MIII<l*l<<MU>Ullllttlilltltltrtlftiaill«llll«llltllillll«IIIIIIM<lll>IMMnNIM*M<tH<MH«inMIIIMI<nil«HIMHMmMI«>H<MMItan<tM«MMIiMMt 

sie durch willkürliche Abstraktion und nicht durch die Bildung einer 
formcUenendra Einheit entstanden ist. Das Korrelat ist die reine Fläche^ 
und wir stehen mit diesen Abstraktionen mitten im Klassizismus, der in 
Ingres und David triumphierend seine Auferstehung gefeiert hat. Was 
diesen neuen Klassizismus von dem ähercji vinterscheidet, ist der Umstand, 
daß dort die Linie als das den Körper bildende Rlement zum direkten 
Mittel abstrahiert wurde, während im neuen Klassizismus diese Rolle der 
Farbe als dem die innere Scnsatitm ausdrückenden Element zugefallen ist. 
Während die Generdiion Davids und Ingres' in der Historie, in Fragmenten 
alter Kunst und im Realismus stecken blieb, ist das Grab der heutigen das de- 
korathre Panneau, das Plakat, eine reetloseLeere. Daß dem filteren Klasd- 
zismiis eine weit aberlegene Geistigkeit zugehört,, stellt man im Vergli- 
chen der Porti^ts mit einer beschämenden SelbstTerständlicfakeit fest 

So ist das Primap des Expressionismus ein durchaus bedenkliches, ein 
rings Ton tiefen .Abgründen bedrohter Grat, 'der doch selbst nicht der 
Weg zur absoluten Gestaltung ist. Daraus "erklän es sich, daß bei einer 
Reihe von Künstlern, die sehr begabt anfingen, ein paar Jahre und ein 
wenig Anerkmiung genügt^ haben, um sie dem Kitsch des Salon eben- 
bürtig zu machen. Die hfichst gefahrliche Situation dieses Prinzips kon- 
zentriert sich geradezu in dem Begriff der Deformation. Man verstand 
darunter die Umbildung des naturhaften Gegenstandes zu Ausdrucks- 
zwecken. Ich bin weit davon entfernt zu rrlauhen, daß Natur- und Kirnst- 
gegenständ sich decken, ja auch nur ahnljc h sein müssen. Jede Umwand- 
lung aber kann nur durch die Notwendigkeiten der absoluten Geslaiiung 
bedingt sein und nicht willkürlich aus subjektiven Gründen und Aus- 
dnickfibedürfnissen vorgenommen werden. Tm ersten Falle wird eine he- 
deutende Kiult vom Kunstler selbst imuiei als eine 1 ragik eaipiundeu 
werden, da es ja in dem Wesen der Gestaltung selbst liegt, wiedw wie 
Natur zu sdieineti; im letzten Falle aber ist sie Impotenz, nicht in dem ^ 
Sinne, daß man dief richtige Form nicht zeichnen konnte, aber in dem 
Sinne^ daß man nicht organisch gestalten kann. Ober dieses Manko der 
Veranlagung und der Menschlichkeit hilft keine Schule hinweg. Und 
welchen Sinn sollte es haben, die MaterialitSt der Schönheit durch die 
d^ Ha^chk^t zu ersetzen? Die Brillen, durch die man die Welt sidht^ 
sind verschieden, aber es ist offenbar kein Grund zu der Annahme Vor- 
handen, daß die eme mehr Kunst sieht als die andere. 

lM«»ltl«ll«<^IW»lWIIWM» M IWil W IIWItlWIIMIIlt MWW WIMMIWWW»»»W M IlllllWIWWl«liMIIWWI»l»l«M^ 



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GAUGUIN 



Unter den Künstlern, die — beinahe trotz dieser Prinzipien — be- 
deutende Werke schufen, war Gauguin der erste, der die ganze 
Schar der neuen Dogmen aufstellte und verteidigte^ und da dies 
nicht nur m seinen Bildern, sondern auch in Worten mit selbstbewußter 
Rhetorik geschah, so war sein verderblicher Einfluß besonders in Deutsch- 
land sehr groß. 

Gauguin war im Grunde m. Realist^ und das romantiflche Badfirfiois, 
die Wdt seiner Sehnsucht tot »ch m sehen, tiieb ihn nach Tahiti Er 
hatte als nOchtenier Intellekt weder die ekstatische Eüraft van Gog^ die 
aus seelischen Feuern heraus Wirklichkmtea geWi noch die grif8ere 
Kraft des scfafipferischen Menschen, seine Innenwelt gleich an weldier 
Realität zu konkretisieren. Stets von dem Verlangen gepeitscht, das zu 
scheinen, was er zu sein wähnte, stets Außenwelt und Innenwelt in Kon- 
^ion bringend, glaubte er, fem von dm Tielteiligen, verworrenen und 
moralisch verkommenen Kultur Westeuropas in Tahiti der Kuns^ .der 
absoluten Gestaltung um einen Schritt näher zu sein. Dumpf in den 
Tönen seiner Phantasie, zugleich von einer süßpn Grazie, die so leicht 
die ganze — von der deutschen so verschiedene — französische Senti- 
mentalität ausmacht, wollte er dort das Heimatland seines Lebens i:nd 
seiner Kunst gefunden haben. Denn all^ war einfach, ruhig, geläutert 
von Nebensächlichem, Zufälligem, Unreinem. Er selbst definiert sein 
Einfaches einmal in einem Briefe an Strindberg, in dem er die europäi- 
schen Sprachen mit den maorischen vergleicht. Dort hätten Vor- und 
Nachsilben den ursprünglichen Stamm verdeckt und vernichtet, aber 
i^ans les langues de l'Oäanie k ^Mments essentiels, oonservds dans leur 
rudesse, JsolÄ ou sond^ sans nul sooci du poli, tout est nu, ^datant et 
primordial'*. Aber diese auf statische Ruhe hinzielende Einiadiheit war 
weit davon entfernt, die Einfechheit und Ruhe der absoluten Gestaltung 
wa sein; ^ ist ihr Gegenteil^ denn sie schaltet das zu Bildende: den Raum, 
den Kubus, das Leben a priori aus. Sie setzt: Nidits^Ewigbsity oder 
optisch ausgedrückt: ich finde die gesuchte Fläche, indem ich d en R a um 
negiere, d. h. jedes kubische Gebilde wird zu einer Fläche zusammenge- 
strichen, die als Qualität die Natuifarbe steigert^ als Quantität die Sil- 



Gauguin 



105 



honette des Gegenstandes dekorativ ordnet Damit wird alles hekea ent^ 
fernt Die Mittk sind stumpf und klanglos. Die Zusammensetzung dieser 
Flächen geschieht nicht logisch nach der der Konzeption notwendig im- 
manenten Abwicklung, sondern nach den Gesichtspunkten einer äußeren 
Harmonie und des gewünschten dekorativen Effektes. 

Wie van Gogh die evidente, lebendigste Formel seines persönlichen 
Sehaktes gibt, so Gauguin die einfachste, beruhigtste seines dekorativen 
Gescbmackes. Was ihn an der Natur »ereilt hat, war nicht Her Vitalis- 
mus, der bei van Gogh Funktion geworden war, sondern der Eilekt: die 
umschreibende Silhoiiettenlinie, die flächig; einfache Form, d. h. das Fer- 
tige oder sich für das sinnlic he Empfinden ieiciit /Aisainmeniügende. Trotz 
der eigenen Hervorkelirung seiner Bildgebung iial Gauguin niemals ein 
Bild gemacht, sondern nur die Fläche auf Grund eines sinnlichen Ge- 
sell macksempfindens klingend zusammengehalten. Dieses Empfinden hat 
hei Gauguin eine spezifisch moderne Note, die der destruktiven und para- 
doxen Ramnhildung hei van Go^ entspricht, und die seiner FlSdienhe- 
setzung etwas Pridkelndes giht Die Mittel sind die Anwendung kon- 
trärer Formen auf heiden Bildhälften, das rapide Wechseln des GrttBen- 
maOstahes, der Riditungskontraste, der Gewiditsverhlltnisse. Diese para- 
doxe FUichenhesetzung ist begleitet von einer destruktiven. Oft wird nicht 
Flädie auf Fläche^ sondern Ftöche gegen Fliehe gesetzt und so dem Raum 
' in seiner illusionistischen Bedeutung Finlaß gewährt. Es fehlte Gauguin 
letzten Endes trotz oder wegen aller Romantik der Sinn fl&r das Unwirk- 
liche, den die vOllige Flächenschließung voraussetzt. 

Über dieses dekorative Surrogat legte Gauguin ein Surrogat des Gei- 
stigen: ein feierlich-religiö«P<: Moment, ein aus dem exotischen Mythos 
geschöpftes Materielles. „Pommes barbares'', das klingt fremder als Wotan 
und Flora, bleibt aber im Prinzip dasselbe: literarisches Symbol, Mythos 
als verdichtete Stimmung und ist von der geistigen Funktion des srhöj)- 
ferischen Triebes durchaus entfernt. Mit solchen außerkünstlerischen 
Mitteln ließ sich wohl eine Opposition gegen den Impressionismus ma- 
chen, aber seine Überwindung bedeutet sie nicht, denn Gaugums For- 
mel umgeht. Seine Bilder sind geschmackvolle Ijeere. 



«M>Hm>H*IUIM««tH«t>Mt>M«tl«»UII>lf»n»IIHmMHtMnuMMI<tllunMM«t>l«aM«IUIKIIIIM<U«IHMM««tM<lH«tUMHMHM«»MIMUI 



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M A T I S S E 



Ich meine den Matlsfie^ der dch selbst einmal gemalt bat: aus dem 
Kampf zweier hart gegeneinander treffender Diagonalen sich trotzig 
haltend, verbissen in die Realität, die unter den Argumenten des In- 
tellekts und den Vi<;ionen des Mystikers sich in leeren Staub aufzulösen 
drohte. Er war ihr gegenüber immer nür Skepliker, er sah mißtrauisch 
auf sie, während sich sein Auge in das Innere richtete. Hier war seine 
Heimat, und er schärfte alle scmc Sinne, alle seine Andacht, um feiner, 
klarer auf diese inneren Stimmen zu horchen. Und nur was innen klang, 
sollte sich in seiner Wesenheit realisieren: TAbstrail Affectiv. 

Auf einem weiten, arbeitsreichen Wege hat sich Matisse die Mittel 
emmgen, diese reinen Empfindungen, die munittelbar aus dem limvm 
koöameDy aiisziidrflcken. Nachdem ^ sich des Impresnonismus entledigt 
hatte, war er zu Corot in die Schule gegangen, um auf dar Tonleiter 
Schiwarz-weiß die liditnOanderung zu studieren/ Zugleich sachte er mit 
allen Hil£nnitteln die bildstatischen Gesetze zu ergründen. In dieser Zeit 
schien nichts auf dem Bilde dem Instinkt Oberlassen su sein. Das ist das 
sichere Fundament auf dem Matisse steht. Als er dann begann, direkt 
in der Farbe sidi auszudrücken, zunächst noch Farbflecken ananander 
stellend, ifvar ihnen ein Leben gesichert, das Matisse in seinen guten 
Werken auch später hat, wenn die Farben flächig«: und die Flächen 
größer werden. Diese Lebendigkeit ist das Geheimnis und die Kraft des 
Matisseschen Schaffens. Sie resultiert aus der starken Kondensieruncr des 
Erlebnisses, die alles Einzeltie aufsaugt und, ohne es zu töten, vielmehr 
virtuell erhält 5 und aus der Kontinuität des Empfindungslebens, die dem 
Zusammenklang der Farben einen solchen inneren Elan zu geben ver- 
mag, daß sich die verschiedenen Farben auseinander zu entwickeln schei- 
nen. Diesen Klang der Farben unterstützt die Linie. Sie vibriert von 
dem Leben, von dem Blut der Dinge, die sie umschreibt, und unter- 
stützt die Kompositionsgabe des Matisse bei der Abwägung der Massen. 
Wie die Kurve von der Kunre, die Diagonale von der Diagonalen be- 
antwortet ist, ohne daß der dynamische Zusammenhang zerrissen wird, 
zeugt Ton dem feinsten Gewichtsempfinden. Und eine überaus differen* 
zierte Sensibilität für die Forderungen dekorativen Zusammenhanges des 



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Matitse 



EnManUea ul das Matisse stärkste Begabung. Die dekorative Einheit des 
, Ganzea l)eim0t mit l&öchster Weisheit und Knappheit die SteUung und 
die Zdü der einzehien Formen imd ihre DetaSlierung. Bisweilen konzen- 
triert er den rdn omamentalen Rhythmus^ der durch eine von pessimisti« 
scbem Chatakter getragene Vereinzeking der Gegenstände charakterisiert 
wird^ auf einen Punkt hin und, erreicht dann eine architektonisch-dekor 
ratiye GröOe^ die ihn die Wand beherrschen läßt 

Wir haben es hior fi»t mit einer intellektuellen Erzwingung zu tun 
und sind weit entfernt von der organische Bildgestaltung C^zannes. Die 
Gesam^eit, die optische Einheitsform der Matisseschen Empfindung ent- 
steht nicht aus der logischen Abwicklung eines sich selbst setzenden Kon- 
flikte?. Die KompocitioriKstimmen liegen getrennt nebeneinander, pie 
durchdringen sich nicht, ihre Ordnung ist psychisch-logisch oder ge- 
schmäcklerisch, d. h. psychologisch-naturalistisch oder dekorativ. Rnt- 
spreciiend ist der Farbfleck, der bei (^rzanne als Kunstform die konträr- 
sten Pole zusammenband, nur Reproduktion der persönlichen Empfin- 
dung. Darum ist seine Farbfläche dem Wesen nach verschieden von der 
schwebenden Fläche Cezannes: deren Belebung kam nach den Gesetzen 
der Konzeptionsrhythmik, den Flächenforderungen und dem Bedürfnis 
nach größtmöglichstem Kubus zustande, d. h. rein formal ohne Rflcksidht 
auf die Materialität der Sensation. Die des Matisse — und das ist ihre 
G^&hr ~ 'Wird tmkuhisch und materiell, eine wirkliche Bläche, deren 
Lehen von einem mit Worten unbeschreiblichen Vibrieren jcommt, das 
die ganze IhtensiUlt der ihm eigentflmlichen Optik entfafilL 

Das Erlebnis setzt sich Matisse in Rhythmen um, in fiurbige und lineare 
Rhythmen. Aber es begegnet ihm oft, dafi die Farbe das liOben der Linie 
verringert (deren Einheit er bei Ingres bewundert); daß diese Rhythmik 
keine adäquate Realität findet, um sidi zu materialisieren -oder dort, wo 
sie sie findet, doch nur in einer ungenügenden Form. Um diesen wichti- 
gen Punkt von einer anderen Seite nachdrücklichst zu beleuchten, will ich 
ein Beispiel aus der modernen Literatur nehmen, zwei Fassungen desselben 
Themas aus den „Neuen Gedichten^ von Wilhelm von Scholz: Die Nacht 

Eiste F«Mung: Zweite Faiiung: 

Sidi wiediegianeNachtimZiinxnerstehti Ich bin erwacht: Nach^iau, das vm midi 
Voll imwren Dtnmierliditet i^cich dem ■ <ch^eigt 

Tnim» ^^^1 innsroi Dfimmarlicbte« wie ein 

Traum, 



Io8 Di« Naolifolgw Oxannet 



£in stiller See, der in dem ruhigen Raum 
Hoch über uns bit an die Decke geht. 

Du hebfft den weißen Ann in feine Flut, 
Doch du bewegit ne nicht. Sieiteht und 

ruht. 

Nur füllen langsamSchatteuihren Schein, 
AU trüge tie die kühle Luft herein. 

Dein A rm , <^ pr schwerelos dasD ii nkel trägt , 
Sinkt leisaui meine Brust. Und unbewegt 
FSlll innere Nacht, von Erdennacht um' 

hülh 

InnnserSchann,^das lich mit Schlummer 

füllt. 



Ein stiller See, der in den ruhigen Raum 
Hoch über mir bis an die Decke «teigt. 

Der Vorhang weht vom Fensterin dieFlut, 
Die unbewegt doch ist und auf mir ruht! 
Nur füllen Schatten langsam ihrai 

Schein — 

Michdankt,dieküh1eLuffctrigtnehei«itt. 

Wie leises Rieseln übergleitet mich 
Ihr Dunkeltein. Ihr Rühlsein atme ich. 
Und innere Nacht, vom Brdennacht um- 
hüllt. 

Fällt in mein Schaun, das sich mit 

Schlummer füllt. 



Was die zweite Fassung veranlaßt hat, war offenbar der Wunsch des Didh- 
t&iSf der sidi unmittelbar im Wort äußernden, sehr starken Stimmung 
eine Situation zu schaffen, die sie trägt und zugleich in ihrer Materialität 
aufhebt. Das ist ihm offenbar nicht gelungen. Die Realität hat in sich 
nicht den Halt gefunden, der ihre Kontinuität ermöglicht. Die Real- 
motive sind nicht Formmotive geworden, so daß das Sujet den Gehalt 
nicht aufnimmt und erlöst, sondern ihn tötet. Für die gesamte Cieneration 
charakteristisch ist es, daß das einzelne Motiv so aus dem Unlebendigen 
und Alltäglichen gegriffen ist, daß seine individuelle Seite es unmöglich 
macht, die aligeniciiie miteiiizuschließen. Das fruchtbarste Motiv ist nicht 
gefimden. Als Gegenbeispiel mag die völlige Realisation bei C. F. Meyer 
hier stehen: 

Meine eingelegten Kuder triefen, 

Tropfen fallen langsam in die Tiefen. 

Nichts^ das micfa Terdroß! Nichts, das mich freute! 

Niedenimit ein schmevzenloses Heute! 

Unter mir — ach, aus dem Liclit entscliwuiideii — 

Träumen schon die schdnem meiner Stunden. 

Aus der blauen Tiefe ruft das Gestern; 

Sind im Licht noch manche niemer Sdiwestem? 

Der Unterschied ist offenbar der, daß hier die Situation so von inneren 
Spannungen gdialten ist, daß.8te sich wie aus einer inneren Notwendigkeit 
heraus vollendet. Scheinbar handdt es sich nur um eine ein&che schlichte 
Beschreibung der Situation ; in Wirklichkeit aber liegt zwischen der deskrip- 



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Matisse 1 09 

tivenGestaltungsstufe und dt€sem Gedicht die g^mze Kluft. Die Situation 
ist nidit mehr passiv, erleidend^ sondern aktiv, och seihst voUendendi und 
in ihrer Aktivität Auedruck des Gehaltes, den sie in ihre rein« «lergetische 
Form aufgesaugt hat, während der Gehalt hei Scholz nodi außerhalb der 
Situation bleibt. Dasselbe gilt für die Malerei. Der reine RhythmuSy und 
mag er sdbst dingliche Erscheinungsform gefunden haben, ist keine ge* 
nOgende Realisierung, das Mittel der reinen Farbe ist ein Äquivalrat, « 
aber keine Form. Ohne Hineinziehung des Dreidimensionalen ist sie un- 
möglich. Und es möchte scheinen, daß des Matisse Werke in dem Mal3e 
qualitativ stärker sind, je mehr er seiner eigenen Natur Hindernisse des 
Kubischen und des Dinghaften in den Weg legte. 

Mit Keinen letzten Werken aber sucht Matisse die Richtigkeit dieser 
Deduktion zu verneinen. Je sicherer er in der Ergreifung seiner Erleb- 
nisse wurde, ]e meisterlicher er seine Mittel in der Hand hatte, um so 
stärker befreite er sich von allem Konkreten und physisch-Dinglichen, 
um sich ganz seinen inneren Empfindungen, dem Klang seiner seelischen 
Sprache hinzugeben und ihn direkt zu reproduzieren. ,yJe vais vers mon 
sentiment, vers l'extase.'* Aber wenn mit dem Fliegen des Vogels das 
Flugproblem gelfist w8ie^ wir hätten nicht mit tausend Menschenleben 
Luftschiffe zu bauen brauchen. Der Mystiker verliert sich in die leeren 
Räume der Ekstase, der Maler aber hat nur soweit ein Recht zu ihr, als 
er sie realisierm kann. Matisse dagegen begnügt sich mit ihrer dekora- 
tiven Niederschrift. Er nahm die falsdie Wahrheit Monets an: „Plus c'est 
plat, plus c'est de Fart . . . Faisons des caites k jouer.** Nur wurden die 
Karten etwas groß, selbst als Plakate noch etwas zu groß. 

Die Kunst des Matisse hat einen weiten und bedeutsamen "Weg ge- 
macht: vom Ungewußten über das Bewußtsein zum Unbewußten. W' enn 
das Bewußtsein das Leben nicht lot^cbliigt, ist das Resultat von jener 
Ruhe, die Matisse will. Aber das ist nicht die Ruhe des Seins, sondern 
nur die Ruhe der Seele, die spricht, die ruh)io:e Sprache. Daß das nicht 
eins ist, ist das Manko bei Matisse. Diese ganze Kunst klebt an dem Be- 
dürfnis des Subjekts, sich auszudrücken^ ist direkte Handschrift, aber 
nicht Gestaltung. Man ist aufdringhch mit Brutalitäten oder Zartheiten, 
mit Materie oder mit Mystik. 

Es konnte dieser Kunst nicht gelingen, ein Bild zu schaffen. 



•lintMNniHMMnM«ill»M«tl>MMNHM«UHHHmMmHtH««M<tM«IMtl 



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ummiiimim nnM W 



PICASSO 



So fand die eine Entwickelungsreihe , die von C^zanne ausging, — 
weit entlernt von seiner Wei«;heit — im Absolutismus des Subjek- 
tiven und dank des Mangels räumlich-kubischer Gestaltung) in der 
flachen Dekoration em Ende. l^)isher war dies das letzte W ort, das die 
Franzosen zu sagen hatten, denn es war ein Ausländer, der Gemahne an 
seiner Wurzel zu packen und ihn dort zu ülx^i winden versuchte. 

Picasso kam mit dem Siegerschriit des spanischen Mystikers. Durch- 
glüht von inneren Feuern, zittert seine vomehm^ aller Brutalität und 
Gemeinheit fremde Seele ^e ein angefichlagene^ dflimes Gla^ und klingt 
neue Sensibilität psychischer Erregung. Er stellt die Flaminen mysti- 
scher Innerlichkeit tot Harlekine , saltimhanques, seltsame Lebensalter 
menschlicher Jugend, vor Ausgeworfenes^ Armes, MitleUöses. Es handelt 
sich da nicht um sodales Sentiment und soziales Pathos, scmdem um ein 
rdigUfses Leben. Mysterien der Seele gewinnen Gestus an diesen Armen, 
TieUeicht ynai in ihnen noch Gott umgeht, der alles Reiche und Protzige 
Terlassen hat. Darum ist ihnen allen die andächtige Frömmigkeit ge- 
meinsam. Schon diese frühen Bilder Picassos sagen, daß sein Schaffoi 
von vornherein ein Nadi'^ußen-setzen innerer Erlebnisse war, daß an 
dem Leibe alles seinen Sinn hatte aus der formalen Bildung der Vision, 
die trotz aller literarisch ablesbaren, sich vordrängenden Umsehleierungen 
von Anfang an die Hauptsache war. Aber Picasso kannte niemals (wie 
etwa Matisse") die Oual, Model! und Erlebnis in Einklang zu bringen. Er 
konnte sich eine Weit schaüen, die gleich weit von der Banalität des nur 
Realen und dem im Leeren schwebenden Sentiment entfernt war, eine 
Welt, die offenbar darum restlos ausdrückte, was sie sollte, weil sie ge- 
schaffen war und nicht absti^ahiert von einem Naturgegenstand, verdünnt 
zu einem Ornament. 

Der Umfang und die Kraft seiner Innerlichkeit offenbart sich in dem 
MaBe^ in dem er jeden Punlct des EUirpers, die geaaa» Bildfläche mit der 
Reichen Empfindung hat durchdringen kOnnen. Man sagt Ton der firQhen 
Zeichnung Picassos nichts, wenn man von dner abstrakten IJnie spricht. 
Vielmehr vibriert ^ ganz im Gegensatz zu der kalten Leerheit einer ab- 
strakt^ linie ^ kondensierte^ pulsietendes Leben in dem groBzQgigen 



P)ca«»o III 

••HMItMm« 



Umrifl. Dieae Art zu SMcfanen, die Festigkeit und Steilheit der Linieiii das 
enge Vmgtmeisa ennnert vm» an j^ernsche Miniaturen^ wShrend die Pto- 
porEionen ganz in. die Schtanj^heit gotischen Strehbns geholien sind. Be- 
deutsam ist, daß die Luije< trotz ihrer schmalen lOmtuthaftig^t unver- 
kennbare lichtwerte bei sich f&hrt Dieis Einheit Ton licht und Linie 
will Ton'TOvnherem als Eigenart Picassos bemerkt sein. Man könnte auch 
von der Farbe sagen, daß in ihrer Reduktion auf eine einzige: blau oder 
rosa keine Al^traktion zu sehen ist, weil sie überall von unterirdiscäüm 
Leben zittert. Mit diesen 'einfachen und doch von warmem und intimem 
Lehen erfüllten Mitteln weiß Picasso seinen Erlebnissen eine Form zu 
geben, die man schon auf diesen frühen Werken als bildhafte Notwendig- 
keit charakterisieren möchte TJberall sind wir festgehalten von einer 
Aufteilung der Fläche, die etwas Klingendes hat, von einem Rhythmus, 
der schlechthin spricht. Dabei ist es typisch für Picasso, daü er in der 
Breitenabwii klung des Rhythmus fast immer mit einem unbetonten Teil 
beginnt und schließt, in der liölienabwicklung hingegen betont beginnt, 
mit einer Leere schließt. Dadurch bekommen alle diese Menschen ein 
Festes und Abgetreimtes zugleich, ein Wurzehi im Grund und ein Schwan* 
ken in der Luift, im Dunkeln, im Leeren. 

' Seit etwa 1 907 beginnt Picasso imter einer groi3en Krise diese schein* 
har schon Tollendete und allen Werken der Ztttgenossen flherlegene Wdt 
zu Stürzen und unter allmählichem aber rastlosem Suchen, eine neue Welt 
au&ubauen. Er fond vielleicht, daß das Einmalige des Psychischen ebenso 
willkürlich sei wie das der Natur; daß selbst so unerhört feine seelische Er* 
lebnisse zu reproduzieren, nicht der Sinn dar Kunst sein konnte. Der schöp- 
ferische Trieb mußte Neues produzieren, das Psyche von sich aus alsKomplex 
nie liätte bilden können. Das innere Erleben mußte kontrolliert, ausgewählt, 
zusammengeballt werden j die Gleichberechtigung jedes Erlebnismomentes 
aufgehoben werden in ein Gesetz ihres Ablaufes*. Er ahnte die ungeheuere 
Perspektive: Malerei ist die plastische Gestaltun|f von Gesetzen psychischen 
Erlebens. In dem MaJie als ihm die im könstlenschenTriebe liegendeTen- 
denz zur absoluten Gestaltung bewuiil *\urde, s.ib ei ein, daß seine Kunst 
auf schwankendem Boden stand^ daß er zwar wuhlklmgend und rhyth- 
misch gesprochen, gesungen, aber nicht gestaltet hatte. An diesem schwin- 
delnden Abgrund begann er, den Mystiker in sich zu hassen, und schrieb 
über- das Tor seines neuen Lebens das unmystische Wort des schöpferi- 
schen Menschen: Der Wille zur Notwendigkeit 



- 'ci ^'J --J^ '-'b^lC 



IIA 



Di» WMMdgtr G^SMHU« 



OiMtr WiUe ging Ui auf das Letzte zurück Er befreite teinen jdi0p» 
ferischen Trieb von allem konventionellen Inhalt und erfaßte ihn in seiner 
unumgänglichsten und letzten Form: in der Gestaltung einer liumlichen 
Realität durch ein notwendige Spiel von Formen. Und er begann damit, 
sich diese Formoi aus seinen dgenen Erlebnissen heraus zu luldeny sich 
den Stein zu seinem Bau zu schaffen. 

Der We^ Picassos ist dadurch gekennzeichnet, daß für ihn nicht mehr 
der Gegenstand der Ausgangspunkt seines Schaffens war, sondern der 
Raum, d.h. in die Sprache des Psychischen übersetzt, daß nicht mehr ein 
real-physij-ches, sondern ein subjektiv-psychisches Moment der Ausgangs- 
punkt und die einzige Gewißheit des Schaffenden war. Der Kaum aber 
war nicht mehr ein objektives Kontinuum von Dingen, nicht apriorische 
Anschauung des Menschen, sondern eine vom psychischen Erlebnis je- 
weilig bestimmte Relation seiner Komponenten. Wenn Picasso die Ver- 
iSumliehung s^er Erlebnisse aitttrebt, so bedeutet das von Tomherem 
nicht eine Matetialisierung in unserem Sinne, aus dem' Zusammenhange 
der Funktionen des Bewußtseins mit den GrQnden der Objektwerdungrüber 
haupt, sondern nur eine Realisierung des Psychisdien an deH Eiementen 
des Raumes, weniger eine Gestaltung als eine Beschreibung. Es war die 
grofie schöirferische Leistung Picassos, uns eine neue Konzeption des Rau- 
mes gegeben zu haben. Sie charakteriaert sich durch die innere Spannung j 
alle Raumrichtungen sind ^eichsam Mn jedem Punkte gesammslt, so daß 
ein jeder mit der rraTizcn Unendhchkeit des Raumes schwanger ist. Da- 
durch wird das Momenr der Zeit mit der reinen Statik des Raumes ver- 
eint. Raum bedeutet die Funktion des Räumlichwerdens, imd zwar das 
der Raumtotalität, so daß sich für Picasso die sehr fruchtbare Aufgabe 
ergibt: die plastische Gestalt dieses Räumhchwerdens zu schaffen. Die 
kausale Kraft wird als in dem Raum selbst hegend gedacht. Sie ist die 
Gegenkraft zu der Haupttendeuz des Raumes selbst. Der KonfUkt spielt 
sich nicht nur im Raum, sondern am Raum selbst ab. 

Die Tendenz der Kunst Picassos geht nun dahin, diese Raumwerdung so- 
wohl in den Quantitäten der Massen, die sie bilden, wie in der Lage der- 
selben zueinander, exakt zu bestimmen. Für den einzelnen Raumteil boten 
sich die mathematischen Grundformen als die bestimmtesten und fOr das 
Auge meßbarsten. Die Raumlage zueinander aber mußte trotz aller Mar- 
kierung und linearer Ausmessung letztenEndesder ▼dUigenVereinigungder 
Form« und Lichtwerte überlassen bleiben. Diese hat Picasso mit großem 




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Phot. Kahnu-filrr, Paris 

Pablo Picasso 



Coli. KahnuH'ittr 

Männlicher Kopf (Zeichming) (Abb. 28) 



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PicaMo 



Emst gesucht^ so daß echlieBIich eme vallig notweaiclige Kongruenz von 
Licfatstufe und Form erreicht zu sein schien. Aber licht und Schattm — 
auBerhalh der Farbgegensitze von Weiß und Schwarz — waren qualitative 
Momente unsachlicher Art und Schemen schließlich von Picasso als Kom- 
promiß empfunden zu werden. Die völlig klare Lösung des Raumes in 
reine Quantitfiten war nur auf der Fläche möglich. Diese hat in der 
Kunst Picassos von jeher eine große und eigene Rolle gespielt. Er hat 
sie immer als das Ewige empfunden, als die Grenze des irdischen Seins, 
und auch als Grenze der menschlichen Gestaltungskraft. Schon anf seinen 
fnihen Bildern ist die räumliche Unendlichkeit auf die Fläche gebannt, 
ohne daB perspektivisch-illusionistische Mittel die zweidimensionale Em- 
heit des Bildes auflieben. Sie hat vielmehr die Realität in sich autgesaugt 
und richtet sich in rhythmischer Autteilung wie eine undurchdringliche 
Mauer auf, wie ein Ewiges, Unerreichbares, Absolutes, vor dem die armen 
Menschen mit der selbstverständlichen Gröl3e vijii Heiligen gotischer Glas- 
fenster, aber mit tiefer Traurigkeit stehen. Und auch in den späteren 
Werken wurde die Fläche als solche gewahrt Ganz im Qegensatz zu der 
klassischen Art der Kaumbildung, die, in den Rauzd hineinschreitend^ die 
Grundfläche durchbricht und nun gezwtmgen ist, die Raum&me durdi 
eine ideelle Fläche zu begrenzen, beginnt Picaiso auf der Fläche imd 
schreitet nach vom. Darum mu6 er die Dinge' nach vom hin limitieren, 
eine ideelle Vorderfläche schaffen. Damit war dnr Raum als unendlidie 

. Tiefendimension beschränkt auf die Lage der Dinge zueinander. Er war 
gleichsam an die Dinge seihst gebunden, deren Distanzen allein, soweit 
sie als fiXr das Auge ausmeßbar dargestellt werden konnten, Raum be- 
deuteten. Ein horror vacui spricht aus diesen Bildern, eine Angst vor der 
w^eiten Au<;dehnung des Himmels, vor der schlechten nnd ^rhz unfaß- 
baren Unendlichkeit, die sofort Platz greift, wo der Begnft der (Quantität 
und Meßbarkeit nicht inelir zureichte. Wir haben m dieser neuen Art, 
Fläche und Raum in Heziehung zu setzen, ein ganz andersartiges Lebens- 
gefühl, indem Picasso das Absolute hinter der Gestaltung stehen ließ, 
setzte er die Dinge wohl in eine Beziehung zu ihm, aber es gelang ihm 
nicht, es in sie hmabzuziehen und ümen dadurch jene innere Ewigkeit und 

« Totalität sachlicher Lebendigkeit zu geben, die das Signum der absoluten ' 
Gestaltung ist. Er ging vielmehr auf eine ganz andere Art der Säfchlichkrät < 

Die Differenz zwischen den beiden Flächen^in die der Raum gespannt 
war, konnte auf ein Minimum zusammenschrumpfen, zumal mit der 
Memo 8 



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Ii4 



Die Nachfolger Cczannet 



größeren Flfichenliaüigkett die Möglichkeit wuchs, den Raum als eine 
Relatioin von Quantitäten ta beschreiben. Diese waren zum mindesten 
gefüllt von der Materie der Farbe, und diese enthidlt (solange sie nicht 
hl absolut glatter FlMche aufgestrichen, sondern in önzelnen Flecken ge- 
geben war) Sugg^fitionswerte qualitativer Art. Da gab es nur noch den 
Ausweg, diese zu materialisieren, d. h. sie als reine Realitätsdeskription 
zu erlösen. Nicht mehr ein beliebiges, zufälliges (nur seelisch bedingtes) 
Fleckengewirr, sondern getreueste Wiedergabe des realen Materials, sei 
es, daß die Farbe ah Farbe diese Funktion ausfüllte oder als StofTl>ezeich- 
nung (Holz, Marmor). Man begann dann gewisse fixe Formen, Buch- 
staben usw. in das Bild mitaufzunehmen. Die ganze Tendpnz des Schaf- 
fens war ja darauf ausgegangen, die verworrene Vielheit des Raumes in 
feste Formen zu gestalten, und es war gleiciisani eine erste Probe auf das 
Resultat, wenn man die fixen Formen der Wirklichkeit mit ihnen ver- 
einigte. Schließlich ging man weiter, indem man Stücke des realen Seins mit 
in die Bildrealität hineinnahm, etwa Zeitungsausschnitte usw. So sind zwei 
scheinbar nicht zu rmianBoäm Ktmtraste zusaminengeuommen: die reine 
QuantitätydieatuderDeskriptiondesRauniesgewonnenistjUndMnefiäcfajeh- 
luift Gxdf )a reale Seinsform. Die Einheit der Empfindung, die dcfaer vor- 
handen ist, liegt schließlich darin, daß es sich beide Male um quantitativ 
genaudeskribierteRaumrelationenhandeltDerGrund waraugenscheinlich 
der, daß man durch die Nfihe am Material snn Bild zu bereichem glaubte. 

Es war ein weita ^eg, den Picasso zurflckgdegt hatte, ehe er diese 
beiden GegensStze vereinige konnte. Denn zunächst mußte ja aus der 
neuen Raumanschauung heraus der Gegenstand überhaupt erst geschaf- 
fen werden. Er bestimmt sich aus der Priorität des Raumes als einer 
Reihe von Raumbeziehungen. Indem die Raumschirhtung nach Höhe, 
Breite und riefe Ausgangspunkt wurde, in der die Din^p dienende Stel- 
lung einnahmpn, konnte es kommen, daß verschiedene Dmge, die in der- 
selben R aiimsc liicht zusammenlagen, zu einer relativen Einheit verwach- 
sen konnten, während verschiedene Teile ein und desselben Körpers, weil 
sie in verschiedenen Raumschichten lagen, auseinandergerissen werden 
muJJien. Diese Spannung zwischen Raum und Gegenstand können wir 
psychisch auch so ausdeuten: der Glaube der Renaissance an die absolute 
Sdittnheit, an das transzendente Sein, das Ding an dch, ist verloren. Alles 
Erleben ist besfhnmt vom Erlebenden her, all^ Sein ist immanent. Picasso 
kann also die notwendige Form eines menschlichen Körpers nicht mehr 



in «einer Scli0nlidt suchen^ sondern in seiner gesetzmäßigen Gestaltung, 
nicht melir im ObjektiTen^ sondern im SnbjektiTen. Fflr B^casBo bedeutet 
also das Sehen nicht mehr eine einfache Wahrnehmung der t)inge, son> 
dem ein Wissen, entstanden durch ein neues Verhältnis zu ihren kuhi- 
schen Werten. Er zerlegt jeden natürlichen Gegenstand in eckige und 
runde Flächen, die sich gegeneinander bewegen, und sieht ihn ferner 
von allen Seiten, da er ja als der schlechten Unendlichkeit des Raumes 
völlig anheim gegeben empfunden wird. Dann setzt er ihn ■ — nacTi den 
erörterten Prinzipien seiner Kaumbildung — aus so vielen Ansichten (die 
in der Natur nicht zugleich sichtbar zu sein brauchen) zusammen, als das 
Ganze es notwendig erfordert. Diese Erkenntnis des Gegenstandes hängt 
weder an diesem selbst noch an der Willkür des Subjektes, bedeutet also 
keinerlei Schematismus und Abstraktion, sondern ein Wissen um seine 
räumlichen Werte unter der Bedingung eines bestimmten Kontrastkon- 
fiiktes, so daß Picasso die verschiedensten Konzeptionen aus demselben 
Gegenstand zieht Aher nicht nur von ohen her, vom Ganzen aus, son- 
dern auch glttdisam wn untm aus wird diesem Weg eine notwendig 
Form aufgezwungen. Picasso will, daß sein neuer Kunstgegenstand durch 
seine Formen meßbar sei Ein Körper muß so gegeben sein, daß ein in- 
telligenter Mechaniker ihn nachhauen kann. Es wird versucht^ das Er- 
lebnis in die unpersönliche Form des Ingenieurs zu zwingm. 

Bei dieser Ei^tstehung der Kunstform Picassos am der Naturform wttrde 
das von KQnstleim so beharrlich von ihm geforderte reine Ornament die 
größte Inkonsequenz seiner Kunst darstellen. Wie sehr sein schöpferisches 
Denken mit dem Gegenstand verknüpft ist, zeigt besonders der Umstand^ 
daß sich seine Phantasie mit Vorliebe an die Artikulationen des Körpers 
wendpt Mit einem erstaunlichen Wissen um die natürlich -organische 
I unktiun der Glieder suchte er ihre Funktion unter dem Zwang eines 
bestimmten Ausdruckes zu geben. F.'; c^ibt Frauenbrüste, die fremd an 
ihrem Körper hängen wie angeflogene Vögel oder vorjährige Beeren, und 
andere, die schon an den Schultern ansetzen und beherrschen. Eis gibt 
Arme, die wie die von Drahtpuppen lose im Körper sitzen, und Arme, 
die den ganzen Körper mit in die weite Rundung ihrer Kurve ziehen. 
Das geforderte reine Ornament ist aus Willkür gezogene leere Abstraktion 
gegenüber den Dingen, materielle ReprodukUon gegenüher dem psychi- 
schen Erlebnis. Dagegen stellt Plcassos Kunstform eine reine, organische 
Funktion des Schaffenstriehes dar. . 



1 1 6 Die Nachfolger C<$xannes 

ttl«MI«tlMll»llltlll»ltMl«tlMttll»»l»WIIMtM«MIMIW«l»l » «lll «MtM tlMtW«MM»ttl«tlllIMIltlW«IMII»>MtnW»W»t«l«MMlttMlllMl M IIII » IMWMtl M I I 

Hat nun Picafiso mit seiner neuen und in sich konsequenten Konzeption 
des Raumes die völlige Realisation, das Ziel der absoluten Gestaltung er- 
reicht^ Trh sehe in seinem Prinzip zwei Diskrepanzen. Zunächst die zwi- 
schen Quantität und Qualität Indem er darauf ausginc: den Raum aus 
reinen Quantitäten zu beschreiben, war er genötigt, die dinghche Konti- 
nuität für immer zu zerreißen, und damit die Dinge zu vergewaltigeri, 
ohne von ihnen das zu erreichen, was er wollte. Denn indem er sie als 
Ergebnis ihrer räumlichen Beziehungen bestimmte, wurde er einerseits 
gezwungen, eine sehr bedenkliche Art von materieller Realität in das 
Bild mit hinein zu nehmen, und muiSte andererseits einseben, daß dieser 
neue Gegenstand nicht föhig ist^ das Erlebnis 'wirklich zu realisieren. 
Picasso hat sich mit einm* fast verzweifelten liebe an die Dinge geklam- 
mert: die leblosen, kleinen, immer gebrauchten und nie beaditeten: 
Papierbogen, Federhalter, Tintenfaß, Mandeline und Pfeife. Die nature 
morte gewinnt ein Leben, dessen Bedeutung Töllig über die Banalitit 
des Gegenstandes hinauswachst und unser Auge besticht, sie in große 
Themen zu übersetzen, die uns unsere Erinnerung ^ng^bt: den impo- 
santen Aufbau einer Palasttreppe, unwirkliche Brückenbögen oder Käthe» 
dralwölbungen, kostbare Häuser, die wie Mythen einer anderen Welt an 
einem Wasser zu liegen scheinen wie Paläste am Canale grande: strah- 
lend und unwirklich. So stark, drängend ist die psychische Kraft Picasso«, 
daß er mit kleinsten Dingen Monumentalitäten suggeriert. Aber man 
muß sich hüten, dem nachzugeben. Denn Picasso rneait die kleinen 
Dinge: die Pleite, die Deckenquaste und das Strohgetlccht, Er machte 
sich von allen großen Stoffen frei und liebt die unscheinbaren und ver- 
worfenen Dinge mit dem Gestus des Königs: er streichelt sie unendlich 
zart und gibt ihnen die Peitsche, er gießt über sie den ganzen Reichtum 
seiner plastisch-malerischen Imagination aus, und zwingt sie, di^ uner- 
t]^liche Wohltat hinzunehmen, indem er sie zwischen Linien und Ton- 
massen spannt wie in einen Ring. Aber die Dinge rüchten sich. Das Er- 
lebnis blieb in seiner ganzen psychischen Materialität außerhalb und liegt 
— sobald man einmal die Fremdheit der Formen fiberwunden hat — 
ebenso literarisch ablesbar über dem Ganzen wie auf den froheren Wer^ 
ken. Ganz deutlich wird die Diskrepanz^ sobald Picasso mit der Farbe 
arbeitet. Er hat sie Jahre lang gewaltsam aus seiner Konzeption ausschal- 
ten müssen, weil sie ihm die Form ruinierte; und jetzt geht sein ganzes 
Trachten darauf, der Form die eine, Ton ihr geforderte, adäquate Farbe 



4 



PiOMM 117 

zu finden. Das zeigt deutlich, daß die Konzeption ni< lit von dem einheit- 
lichen Mittel getragen ist, und darum keine Formbüdung im Sinne der 
absoluten Gestaltung bedeuten kann. 

Dieser Diskrepanz entspricht die zweite zwischen Statik und U) iiaunk. 
des Aufbaues. Dank seiner immensen Begabung, seine Erlebnisse in ein 
einheitliches Vorstellungsbild zu projizieren^ ist die Gesamtheit immer 
zucisC da mit der ganzen Unmittelbarkeit des K^Offfkaoadaßa Stromes^ 
wahrend die FmiuDg derselben .in den Teilen ihn vor eine miendliche 
Au%abe «teOt. Wdl 90 die Besiehung der Teile zum Ganzen kdne or* 
gankdie ist, droht die Vielheit der Teile das Ganze zu zerbrechen, die 
Dynamik bedroht die statisch-plasdsche Einhmt, und diese bleibt bis- 
weilsn one leere Flüche. 

Der Grund für diese Diskrepanz kann allein in den Krfiften gesucht 
werden, die bei der Gestaltung beteiligt sind. Da sie (wie wir sahen) ein 
Manko im Subjekt wie im Objekt darstellen, bleiben sie in ihror Funk- 
tion im Materialen. Di^es Manko liegt nicht darin, daß die Dinge nicht 
naturähnlicher geworden sind, sondern darin, daß bei ihrer Bildung eine 
ganze Seite dor Weh überhaupt an^geschaltet wurde. Indem Picasso den 
Wert und zugleich den Dualismus und die Inkonsequenz des Cezanne- 
schen Raumbildungsprozesses erkannte, glaubie er, sich des Raum^ in 
einer unangreifbaren, unpersönlichen und gleiciibaoi experimentellen Weise 
versichern zu müssen, und er meinte, das durch seine quaniitative De- 
skription zu können. Er zerriß damit die 1 otcdität und Harmonie der psy- 
chischen Kräfte, so daü er zu einer individualpsychologischen Methodo- 
logie des Raumes, nicht aber zu dessen Gestaltung kam. Seine Leistung 
findet auf dem Gebiet der Wissenschaflen eine Analogie in der Mathe- 
matik und Mechanik| also im Umkreis der Naturwissenschaften eho- als 
im Gebiet der Philosophie selbst Das zeigt deutlich die Ge&hr seiner 
fiinsdtigkeit 

All dtese Einwendungen gehen nur die absolute Wertung seines Wer- 
kes an, bedeuten eine Auseinandersetzung mit seinen Prinzipien und lassen 
den relativen Wert desselben ganz außer Betracht, Auf seiner eigeim 
Gestaltungsstufe bedeutet er durch die Sensibilität für die Bildforderungen, 
durch die geschlossene und festgefügte Plastik seiner Konzeption, durch 
die Feinheit und den Um&ng der Valeurs einen sehr hohen Grad der 
Vollendung. Wir haben einen Menschen vor uns, dessen Schaffen eine 
innere Notwendigkeit ist) einen Geist^ der den Mut hat, seiue^ eigenen 



ii8 



Die Nachfolger Cexannes 



Tiefen und Forderungen zu erkennen, und die Kraft, sich ihnen Schritt 
für Schritt zu nahri n. Trh weiß nicht, ob die tiefe Ehrlic hkeit des Mannes 
und Künstlers, oder üb diese ununterbrochene Konsequenz seiner Ent- 
wicklung mehr zu bewundern ist. Beide Momente trennen ihn in einer 
unüberbrückbaren Kluit von allen Kubisten und Futuristen. Wir haben 
es mit einem im höchsten Sinne schöpferischen Künstler zu tun, der 
unsere Welt ei vveiteit und unserer künstlerischen Erziehung ein t üiirer 
sein kann und muß. Denn seine Betonung und Realisierung Raumes 
enthält die vressillichstfln £letiieate im Kuiistscliaffeiis ebenso in flieh 
' wie die Mathematik, die Fundamente phikeophiscfaer Produktion. Der 
Begriff der Mathematik, der sich uns hier zum Vergleich anbietet, be- 
zeichnet den ganzen VVeg, den wir von der Willkör des faipressionismua 
zum Gestaltungswilta Picaseoa durchlaufen haben; denn was war dem 
Impresdonismus freinder als gerade dieser Begriff? Daß Picasso uns mehr 
eine fruchtbare Lektion als ein geschlossenes und absolut gestaltetes Werk 
gegeben hat, muß uns auf den hoffen lassen, der dieses Wissen zur Weis* 
heit des pdro Corot komplettieren kann. 



EIN HISTORISCHER VERGLEICH 



Die innere Bedingtheit und UnvoIktämUgkeit der modernen Kunst, 
die sich uns überall zeigte, solange wir den Ma08tab der alieoluten 
Gestaltung konsequent beibehielten, wird uns geradezu demonr 
strier^ sobald wir Werke der Vergangenheit zum Vergleich heFanholeny 
den erkenntniskritischen durch den historischen Standpunkt ergänzen, 
etwa einem Cezanne einen Poussin gegenüberstellen (wozu uns Cezanii^ 
selbst ermächtigt, indem er seinen Begriff einer klassischen Kunst definiert 
als ,,Poussin refait entiferement sur nature"). Der Unterschied liegt in 
der meisterlichen Ruhe, mit der Poussin sein Bild aufhauen kann. Er 
beginnt mit einer nicht zu starken Betonung des vordersten Planes und 
^^chreitet von hier aus in den Raum. Jede Raumriehl ung wird zugleich 
durch ihre Gegennchtung oder durch die Betonung der Fläche gewisser- 
maßen zum Stehen gebraciit, in sich gespannt, erhält dadurch eine La- 
bilität, die ihr in gleicher Weise die Statik des Raumes und die Dynamik 
der Zeit sichert. Durch diese Spannung wird die Raumbildung vi eanae 
reinen ^tenntät, entfernt sich raa dem mathematisch-architektonischen 
der starren Raumerschließung und sichert die Kontinuität des räumlichen 
Verlaufes. Indem Poussin so^ von dem Konflikt seiner Konzeption ge> 
führt, |den Raum durchschreitet — immer wieder jeder Tiefentendems 
dne Hemmung durch ein GegenmotiT vorschiebend, imd dadurch dm 
Raum einen Richtungsreichtum sichernd; immer wieder die Faden sam* 
melnd und auflösend, ohne Angst, den Raum nicht durchmessen zu kön- 
nen — kann er ihn völhg in sich schließen, so daß weder von außen her 
etwas durch den ersten Plan in das Bild hinein, noch aus seinem letzten 
Plan etwas aus ihm herausragen kann. Der Bildraum ist eine Einheit ge- 
worden, die weder Aufteilurtf^en in Gründe kennt noch gar ein Auljei- 
halb. Innerhalb dieser Einheit kann Poiis'-in so weit in die Tiefe geiien, 
als er will, kann dank einer meisterlichen Beiierrschung der Liiftperspek- 
tive und der Gesetze, nach denen die Farben durch die Ferne liiodifiziert 
werden, das dunstige Verdänunem malen, ohne in die Kategorien des 
Naturruuaici. zurückzufallen, weil dieses weißbläuliche Dämmern der 
Ferne nicht mehr Bezeichnung einer Natursituation ist, sondern Form 
und Faktor des ganzen Bildes, Resultat des Ganzen. 



Ein bittorischer Vergleich 



Bei C^Eamie sptiit man die Wut det WOlenSi mit der er sich tmea 
Konflikt TOr Äugen hült, selneii Raum in Etappen zerlegt, um ihn acher 
zu haben. Er gibt viel direktw, was er zu sagen hat. Die Bäume bie- 
gen sidi ganz gegen ihre Natur zu einem Dreieck, die Figuren stürmen 
dirdEt aui ihr Ziel los, sind zu augenscheinlich aui ein Zentrum hin ge- 
Bammelt. Trotzdem hat Cözanne MCLhe gehabt, in den Kunstraum hinein* 
zukommen und sich in ihm zu halten. Perspektivische Rechnungen 
drohen ihm die Einheit der Fläche zu zerreißen und die Gestaltung in 
einen illusionistischen Naturraum zurückfallen zu lassen, 
« Die Differenz der Gestaltung ist von einer solchen des Realisierun?«;- 
grades betrleitet. Bis zu ■welcher Stufe der Hlusionistik konnte Poussin 
die strenge und viel inhaltsreichere Gesetzmäßigkeit seiner (Gestaltung 
erlösen, sie in ein Detail der Blätter, der Stoffe, der Haut betten! Cö- 
zanne dagegen gibt sie als ein ablesbares Gerüst, als einen skeletthaften 
Knochenbau. Daher bedeutet ein Stoff loser Farbüeck die leLzie Realisie- 
rung, während Poussin ihn so weit materialisiert, daß die Materie selbst 
-noch den Geföhligehalt des Ganzen gibt. : 

Fragen wir uns nach den GrOnden dieser Unterschiede, so mögen sie 
zunächst in einer innerm Sicherheit liegen^ die dem altea. Meister die 
Ruhe gab, sdne Erlebnisse ausreifen zu lassra, bis sie wie eine reife Frucht 
Tom ihm abfielen. Er hat kdne Furcht, die lebendige Sensation der Natur 
zu variieren, nocih in ihr zu Yerharren, weil fdr ihn Gestalten die oi^a- 
tiiscbe Aufhebung und Erhaltung der Natur ins BildbedeuteL So braucht 
er weder seine Optik noch seine Logik, weder seine Sensation noch seinen 
Willen zu forcieren. In einer völligen Harmonie aller psychischen Kräffce 
reifte das Erlebnis zu einer reinen Energetik der Form. 

Ein Zweites aber war das große Wissen Poussins und der alten Mei- 
ster. Man kannte als Maler vor allem die Forderungen inirl Bedingungen 
des Raumes, man kannte die Dinger das Wachstum der Bäume, die La- 
gerung der Felsen, den Bau des Körpers, das Leben der Tiere. Man be- 
gnügte sich nicht mit dem Schein der Dinge, sondern suchte sie in ihren 
Gründen zu begreifen, da sie ja die Träger und Mittel des Gestaltuiigs- 
willens sein mußten. Wieviel Beobachtung mag vorangegangen sein, ehe 
Poussin diese Kühe malen konnte, die so sehr die Quintessenz ihres Da- 
seins bedeuten, daß alles davor verblaßt, was je an Tiermaierei geleistet 
wurde. Zu dttn Wissen um dieDinge kommt dlas um die Materialien. Um 
bis in die Materie hinein zu realisierenund jedesmal die Materie dem Gehalt 



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Schluß 191 

MnMtUMnM«MiMt>t«intttii<»MiM»Huu«iM<>ti<nMMii«iiui>tiiiiiwiM»i»i«i>nnMatH*iiM«iu«iti«wii«iiiiniiniititintMniMMmMtimunnut 



anzupassen, mußte er sie bis in die feinsten Abstufungen ihres Ausdruckes 
hinein kennen. Und wer von unseren Malern ahnt heute auch nur das 
groüe Geheininis dieser in ihren Tiefet: glühenden Dunkelmalerei? 

Das Wichtigste aber scheint mir die TotaUtät des Empfindens zu sein, 
die uns das Poussinsrhe Bild zeigt. Ich meine nicht so sehr die Vielheit 
der Objekte, daß iVJensch und Baum, lier und Berg beieinaiider bUid, 
sondern daß sie von einem einheitlichen Gefühl gezeugt und getragen 
8md| das ach über die engen Grenzen des Subjekts hinauszu einer Mensch- 
UdikeLt erweitert hat, die die ganze Welt umfiaiBt. Die Welt .ist nicht 
Termenscfalicfat, anthxopoinorpliisiwt, sondern in der Eigenbedeutung 
ihres licbais erhalten und in die AlUieit der Welt au%ehoben. Das ist ' 
kein Pantheismus^ fOac den Ton voniheroin alles göttlich und einig ist, es 
ist Yiehnefar der Triumph der schdpferischett "Kxak, die aus der ydUig 
verstreuten und feindlichen Mannigfeltigkeit der Welt eine neue, einige^ 
in sich geschlossene Harmonie aufbaut, aus der die Objekte so wenig ver« 
bannt sind, daß sie in ihr und durch sie erst ihr wahres Leben führen. 
Das ist das Manko d&c modernen Kunst, daß sie sich vom Individualis- 
mus nicht zu befreien und — in den Kreis des egozentrischen Subjekts j 
gesperrt — die Totalität der Welt nicht in ihre Konzeption aufzunehmen 
vermag. Die Frage der Kunst wird zu einer Frage des Lebens und wir 
sahen, wie hier immer große Teile derselben untersprun^en wurden. 
Fast überall fanden wir nicht Menschen, sündeni Ästheten, denen die 
Forderung absurd erscheint, daß man erst sein Leben bis in die kleinsten 
Dinge hinein und bis an seine weitesten Grenzen ernst und ehrlich ge- 
stalten müsse, ehe man den Pinsel auch nur in die Hand nehmen kann. 
Man wirft heute die wesentlichsten Dinge leichtfertig über Bord oder 
man hiingt sie sich als Pose um. Und wahrend man wähnt, in seinem 
Pinsef das Mittel zu haben, in dieser armseligen Scheinwelt das ganze 
All auf die Leinwand zu bannen, hat man schon versdierzt, zu jener 
Komplettheit der Gestaltung zu kommen, die die großen Ahnen aus- 
zeichnet: die Glasmaler von Ghartres, Giotto^ Rembrandt, QitoL Wenn 
wir sie^frfgen künnten, worauf diese fÜUe und VoMstfindigkdt, diese 
innere Gidfie ihres Werkes beruhe, mfißten sie nicht die tiefisimugen 
Worte[PousBins. wiederholen; „Je n'ai li^ n^lig^*'? • 



ANMERKUNGEN 



VERSUCH EINER GRUNDLEGUNG DES SCHÖPFERISCHEN 

Zu Seite 8. Cohen: Kants Begründung der Ästhetik, S. 556. 
Zu Seite 8. Kant: Kritik der Urteilskraft. 

Zn Seite 10. LeonaTdo: Traktat ▼on der MalereL Bd. Jena 190g. Kap. 34. 
< Zu Seite 1 1 . Fölibien : Entretiens sur lei viel et las <BUTTes dei plna cKOeUenit pein- 

tres. Paris 1666. Bd. IV. S. 46 f. 

Zu Seite 13. R. Baerwald. Exp. Untersuchungen über Urteilsvorsicht und Selbst- 
tätigkeit. Zeitschrift f. angewandte Psych, u. psych. Sammellbnchung II, 
S. 35S'384* Lps. igo8. — W. Stern; Diffneatielle Fiychologie, S. S03— «13. 

Zu Seite 15. Man vergl. Hugo Mümterberg: Grundzuge der F^ni^ologie. Bd. L 
Erkenntnistheoretische Grundlegung S. 155 ff. 

Zu Seite 14. Nach Kroner: Über die Allgemeinguliigkeit des logischen und ästhe- 
tiichen Urteile». 

Zu Seite 15. Ansätze hierzu bei Goethe: Einfache Nachahmimg der Natttr» Minier, 

Stil. 1788, und beiDessnir: Ästhetik S. 61. 
Zu Seite 17. Hönigswald: Zur Kritik der Machschen Philosophie S. 4Ö. 
Zu Seite 18. Münsterberg a. a. O. S. 65. 
Zu Seite 18. James: Psjrchologie S. 556 f. 

Zu Seite 19. S. hierzu die sehr interessanten Ausfuhrungen bei E. Mäle: Die kirch- 
liche Kunst dps Jin. Jhds. in Frankreich. Deutsch: Straßborg 1907. Zur Kunst- 
geschichte des Auslandes. Heft 52, S. 9 if., S. 43a if. 

Zu Seite ai. Besonders deutlich Goethe; Jubiläumsausgabe Bd. XXXIV, S. 548. 
„Das Gemüt hat einen Zug gtgai die ReIig|ott; ein religföies Gemüt mit Na- 
turell zur Kunst, sich seihst überlatien, wird nur unvollkommene Werk^hervor- 
bringen; ein solcher Künstler verläßt sich auf das Sittlich -Hohe, welches die 
Kunstmäugel ausgleichen soll. Eine Ahnung des Sittlich -Höchsten vrill sich 
durch Kunst ausdrüdken und man bedenkt nicht, dafi nur das Sinnlich-HSdist« 
das Element ist, worin sich jenes verkörpern kann." 

Zu Seite 21. Simmel: Philisophische Kultur. Ges. Essays, S. 183. 

Zu Seite 22. Cohen - a. a. O., S. 259 f. 

Zu Seite 25. Rodin; L art, S. 5. 

Zu Seite 94. Den Künstlern zur Belustigung diese Stelle aus Mach: Analyse der 

En)pfindungen, S. 351. 

,,Was hat die Gehörsentwickinn g mit der Arterhaltung zu schaffen? Geht sie 
nicht weit über das Notwendige oder überhaupt nur Nützliche hinatu? . . , 



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Anmerkungen 1 25 

MMMIilMttllllllMIMilll«ISai<BtlllliailltllltllliailltllltlU*ltltllllUtl«IMftlllttMttrMMf«tinitMtlllMinillltlMftllf»ttltlll»lllfllllt««lll«IMaillM 

Eigentlich kann man in bezug auf jede Kunst dieselbe Frage stellen . . . Die 
Frage liegt nur am nächsten bezüglich der Mutik, welche gar kein prakticchei 
Bedür&is zu befriedigen, meict oichtt daixactellen hat. Sehr verwandt mit dw 
Musik ist aber die Ornamentik. Wer lehen will, mnB Ricfatttiifen der Linien 
unterscheiden können. Wer sie fein tn unterscheiden vermag, dem kann sich 
aber, gewissermaßen als ein Nebenprodukt seiner Ausbildung, das Gefühl fiir 
die Gefälligkeit der Kombinationen von Linien ergeben. So verhiQt et dcfa andi 
mit dem Sinn für Farbenharmonie nach Entwicklung des Unteischeidungpver* 
mögent für Farben, so wird es auch mit der Musik sich verhalten." 

Zu Seite 24. Vergl. 2u dieser höchst wichtigen Frage des Malers te Peerdt Büch- 
lein: Das Problem der Darstellung de« Momentes der Zeit in den Werken der 
malenden und leichnenden Kunit. 

Zu Seite »4. Fflibien a. a. 0<> S. 56. Eine Stelle gleichen Inhalts bd Leonardo 
a. a. O., S. 48 : „Setzen wir den Fall, du Leser siehst mit einem Blick dieses 
ganze beschriebene Blatt an. Du '.virst sogleich urteilen, es sei voll verschiedener 
Buchstaben, aber in diesem Au g' nbUck wirst du nicht erkennen, was für Buch- 
staben das seien, noch was sie M^ta. wollen. Daher mußt du es YV^ort für Wort, 
San für Satz durchmachen, wenn du Kenntnis von diesen Buchstaben haben 
willst. So ist es auch, wenn du zur Höhe eines Gebäudes hinauf willst, du wirst 
dich bequemen, Stufe für Stufe hinanzusteigien, sonst ist's unmöglich, zu seiner 
Höbe zu gelangen.** 

Zu Seite ft6. H. Bergson: Ikfoterie und Gedächtnis. Deutsch baOiedendis. Jena. 

8. 55. • 

Zu Seite 37. Münsterberg: a. a. O., S. 131 f. 

Zu Seite 50, Cohen: Ästhetik des reinen Gefühls, I. S. 159 f. 

Zu Seit^ 50. A. Binet: Le mystere de la peinture. Annee psychologi^ue 1909. 

. Zu Seite 31. H. Flandrint Lettres et Pensdes. 

Zu Seite 51. Cohen: a. a. O., I, S. 537, IL S. 513 ff., S. 378 ff. 

Zu SpiTp 31. Goethe: M tcrial der bildenden Kuust. Bd. XXXIV -XXX VU der 

ges. Werke. Aiisg-abe bei Hesse. 
Zu Seite 5a. Wuudi; Grundzuge der physiologischen Psychologie. Ziehen: Leit- 
&den der physiologischen Psychologie, dem die Figur des Farbensystems eat' 
nommen ist. 

Zu Seite 54. W. v. Sc holz: Kunst und Notwendigkeit. 

Zu Seite 5g. Mach: a. a. O., S. 102 ff. 

Zu Seite 40. Hildebrand: Problem der Form. Neuerdings eine Ausgabe mit Ab- 
bildungen. Strafiburg 1915. 

Zu Seite 41. Zitiert aus der Einleitung zum Traktat von Marie Herzfidd, S. 171^ 

Zu Seite 43. Emilie Rernarflr Paul C^zanne L'occident. Juli 1904. 

Zu Seite 43. Deutsch bei Keclam von Dr. L. Fischer. Femer Goethe: Gespräche 
mit Eckermann vom 10. Oktober 1838. 

Zu Seite 44. Kandinski: Du Gästige in der Kunst, München. 

Zu Seite 48. Näheres bei Ch. Lalo: L'introduction dans TEtth^que. Dr. Mfiller- 
Fnnenfdb: Biiychologie der Kunst. 



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Zu Seite,48. Eline andere Einteilung nach psychologischen Gesichtspunkten bei 
Ridh, M. Meyer: Über dai VentiDdnit tob Kunctw^ea. Neue Jahrbacher 1901 . 
Bd. VU. S, 56Af. 



DIE EROBERUNG OES NEUEN LEBENSGEFÜHLES 

Zu $ate 54. Judiüi Cladd: Rodin Uhonune et ToBavie mit Binleitung von Ga- 
mille Lemoimier: femer Rodin: L*art. 

Zu Seite 54. Vergl. zu der folgenden Darlegung Mach: Analyse der Empfindung. 
Erkenntnis und Irrtum. Rickprt- Der Geg;enstanrl r!rr Erkenntnis. Dilthey: Bei- 
träge zur Losung der Frage vom Ursprünge unseres Glaubens an die Realität der 
Außenwelt und seinem Recht (Sitzungsberichte der kgl. preuß. Akad. d. Wissen- 
tdiaft. Berlin 1890. 59, S. 977 ff.)* Hamann: Impieiiioniimus in Leben und 
Kunst. 

Zu Seite 55. Deutsdh von Heinrich Horwit. 

Zu Seite 55. Hemi Bergsons Schriften deutsch bei Diederichs Jena: Zeit und Frei- 
heit. Materie und Gedächtnis. Einführung in die Metaphysik und Schöpferi- 
sche Entwicklung. Zur Kritik: Richard Kroner: Henri Bergson. Logos Bd. I. 

•Zu Seite 57. Tb. Ouret: Die ImpreMionisten, S. 88 u. S. 97. 

Zu Seite 58. Camilla Mandair: L'impreiiioniime. 

Zu Seite 58. Baerwald: Fvjrdiologiidie EViktoren des modernen Zeitgeistes. 

Zu Seite 59. Nietziche: Alto «ptach Zatathuttra: Vom neuen Götsen. 

Zu Sdte 59. Diese Forderung Ist weder durcb Margis: £. T. A. Hoffinann. Eine • 

psychographische Individual-Analyse (Lpz. 1911) noch durch L. T.ewin : F. Heb- 
bel (Berlin 1915) erfüllt. Das Schema an sich ist völlig unbrauchbar, weil es 
zwischen Mensch und Werk trennt, dem Menschen gegen iiber im Allgemeinsten, 
Unbedeutendsten, AUtägiichsteu bleibt; dem Werk gegenübw &ber d«i sdt lango 
üblichen philologischen Apparat nicht hinauskommt. Schon das völlige MiB- 
verhältnis der Inhaltsaufteilung (bei Mai gis : Seiten über die innere Gestaltung, 
57 Seiten über das literarische Sch iffpii, 119 Seilen über die Persönlichkeit) 
sollte dem Psychologen die er kenutuiskri tische Frage vorlegen, ob die Interpre- 
tationsmethodb der analjneienden Ftychologie &b«tliaupt fShig ist, das weaent- 
liche Problem zu stellen. 

Zu Seite 60. Ich leugne also keineswegs» daß hier ein schöpferischer Akt vorliegt, 
aber ich werde noch dartun, daß dieser nur ein Beginn eines solchen ist und 
keineswefs iiKond eine Allgemeingühigkeit hat. Dieser wesentliche Unterschied 
kann nldlt sdiarf genug betont Wetden, da jüngsthin keine geringere Antoiitit 
als die G>liens ihn in der „Ästhetik des reinen Gefühles" (Bd. I, S. 557. Bd. II, 
S. 405 f.) zu verwischen suchte. Einem Satze wie t^iesem: „Das Wort Impression 
ist mißverständlich 1 Die Impression geht sonst von dem Objekt aus. Hier da- 



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Aamerlmiigeii 105 

•waimuilnM I »»ii«»iiiiiiHi»wiiHiiw<Mlttlllllll l llll l ll t Wlllnmw«ttwimt»iiiiimmim»»H H |I W Ii n t n »m»«m»mt uitiiMf 

. gpgp'n soll das Objekt nirht pmpfanf^rn wprcfrn. MpHt als es von der Kunst über- 
. haupt geschieht (sicl;, wird hier ^cpen eine solche rezt-])tivp Aufnahme des ein- 
wirkenden Objekts Stellung genommen. Das Objekt ist so wenig vorhauden, 
dafi e» nicht Arnual whledhthlii smn Objekt gemacht wiid; in einer ponktn- 
cilen Einheit loll. es mt hegrQndet, von ihr ans konstruiert werden. Das ist das 
gerarJe Geffenteil von Impression; f^as ist erzeugendes Denken und so hier erzeu- 
gendes Schatfen/' . . . einem solchen Satze ist mit dem Vermerk zuzustimmen, 
daß es f&r den Idealisten im Grunde doch nur eneugendes Schaffen geben kann. 
Aber Cohen meint das andc»: ^ 

„Versenken in den bunten Wechsel der alltäglichen Naturpbänomene ist der 
ganze alle anderen Ziele ausschließende nunmehrige Zweck der Malerei . . . 

Die Selbständigl^eit von Luft xmd Licht muß deslialb die Vermittlung: tler 
Raumgestaltung umgehen, wenn sie der Landscbait selbständige Eigenart erobern 
will. Die Natur freilich ist immer das Korrelat zum Seilet; sie kann nicht aus- 
geschaltet werden. Aber das wird die Frage: ob Licht und Luft nicht an und für 
sich selbst das Gepräge und den Gebalt der Natur auf sich nehmen konnra. Was 
ist denn die Natur anders im letzten Sinne als Luft und Licht?** 

Solche Sätze sind energisch abzulehnen; nicht nur weil sie gegen die Grund- 
lagen der Cohens( hen Ästhetik miijtrauisch machen, sondern weil sie — wären 
de gültig — die ganze idealistis^e Erkenntnistheorie ad absurdum fuhren wiii^ 
den. In der Tat liegt hier deren bisherige Grenze, daß man die Allgemeingültig- 
keit und Wahrheit eines Gedankens allein aus dem isolierten Vermögen imd 
seiner apriorischen Grundlage deduzierte und nicht aus dem schöpferischen 
Triebe überhaupt, in dem jene doch nur einen Teil bilden. 
Zu Seite 61. Hier liegt die exzeptionelle Stellung und Bedeutung^ Renoirs, dafi er 
ungeheuer viel kubischen Gehalt mit der Fläche zu vereinen gewußt hat. Auch 
in der Farbgehung geht er in der Vereinheitlichung weit über die an lerm Im 
piessionisten hinaus* Aber ein Bild im Sinne der absoluten Gestaltimg hat Renoir 
doch nie gemalt. 

Zu Seite 65. Eine eingehende Würdigung und Widerlegung des Okonomieprinzipes 
bei R. Hönigswald: Zur Kritik der Rflachtciien Philosophie. Eine erkenntnia- 
theoretaache Studie. Bes. S. 13 —15 f. 

Zu Seite 67. Außer seinen Bildern existieren Briefe. Sie wurden zuerst 1895 als 
Auszüge im Mercure de France veröffentlicht „Lettres de Vincent van Go^rb 
^mile Beruard et ä son fr^re Theodore". Diese erschienen deutsch. Berlin, 4. Auf- 
lage 1911. — Eine voUslfindige Ausgabe der Briefe an Bemard erschum .1911 
bei Vollard mit versdiiedaien Einleitungen und Vorreden von Bemard selbst 
und mit 100 Ahhildungen, zum größeren Teil Zeichnungen. 

Ich zitiere zuweilen französich, da die deutsche Ausgabe nicht nur als Text, 
sondern vor allem als Übersetzung unzulänglich isi und nichts von dem Rhyth- 
mus der ursprünglidien Worte wiedergibt. ^ 

Zu Seite 70. Die Verwandschaft der Viulität wird am deutlichsten, wenn man die 
wenigen Radiemngm RuiTsdads mit Zeichnungien van Goghs vergleicht. 



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Aamarkungen 

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Die symbolische Absicht R.s ist schon von Goethe mit Bezug auf den Juden* 
friedhof (Dresden) hervorgehoben worden. Doch ist gerade hier die Löfung un- 
genügend, weil sie im Gegenständlichen bleibt. 

Zu Seite 7«. James: Psychologie, S. 458. 

Zu Seite 75. Dasselbe Prinzip als Forderung für den FortMihritt der Individnal- 
pqrchologie hat William Stern formuliert. Die Uadenkbarkeit denelben Vei 

erkenntnistheoretischer, normativer — kurz schöpferischer Arbeit zeigt eklatant 
die Difierenz der Gestaltungsstufcn. Übrigens liegt hier eine rein menschliche 
Frage der vorigen Generation, und es ist interessant, welchen Weg Hauptmann 
•ixt ihrer JJkwag von den „Einiamen Menichen** zu »«Gabriel SchiUing» Ptucht'* 
genommen bat. Dort nimmt sich der „Held" das Leben, weil er ohne dai 
Weib, das ihn versteht, nicht leben kann; hir-rt weil er mit dem Weib» das ihn 
zu verstehen behauptet bat, nirht leben kann. 

Zu Seite 75. Gauguin in „Kunst und Künstler'' VIII, S. 581. 



AUF DEM WEGE ZUR ABSOLUTEN GESTALTUNG 

Zu Seite 77. Faul Signac; Von Eugfene Delacxoix zum Neo-Imprestioniimue. 

Zn Seite 77. Maurice Denli: Kunst und Künstler, Bd. VIII, S. 91. 

Zu Seite 81. Jules Christophe: Seurat; zitiert aadi B^la Lasar: Die Maler des 
Im^resnonismus. 

Zu Seite BifT. Dieses Zitat wie die meisten übrigen stammen aus den Aufsätzen 
Bernards, weniges aus den sehr guten von Maurice Denis. ^Imile Bemard: Paul 
C^zanne, L^Occident, II. 1904, Juli und Souvenir sur Paul C^zanne. Mercure 
de France 1907. Jetzt als Buch igta. — Maurice Denis: C^zanne, L'Ood- 
dent 1907, Oktober und: Kunst und Künstler, VIII, S. 95 ff. 

Zu Seit 92. Ich möchte hier f^^rj^rnüber dem Buche Bnr^r>rs: Cezanne und Hodlrr, 
München 1913 ausdrück lich'^t betonen, daß ich diesen Vergleich bereits im 
November 1911 in der Zeitschrift „Nord und Süd'' durchgeführt habe^ Ich 
sehrieh damals: „Welche Bedeutung hat Hodler für eine zukünftig^ Malerei? 
Man ist namentlich in akademischen Kreisen geneigt, dieselbe sehr hoch anzu- 
schlagen und man beruft sich auf die Ausstellungen Schweizer Künstler, flie 
Überali durch ein sehr hohes Niveau aufgefallen sind. Jenseits dieser nationalen 
Schranlen aber wird man nichts heibringen können. Ich glaube vielmehr, dafi 
Hodlevs Spradie eine durchaus persönliche bleihen muß, weil sie stilisiert und 
ein Schema konstruiert. Stilisierungen aber können nicht die erschöpfende 
Sprache einer Zeit werden, wenn sie auch unter den Händen einef großen 
Künstlers ein bewundernswürdig weites und allgemeines Gebiet von Tatsäch- 
licbk'eiten umftssen können. Nicht Hodler, sondern C^ianne hat den Weg ge- 
wiesen, auf dem allein eine neue Malerei sidi entwidceln kann, sich schon ent^ 
wickelt hat/* 



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DIE NACHFOLGER C^ZANNES 

Zu Seite g6. Maurice Denis: Kunst und Künstler, VIII, S. 9s. 

Zo S«te 97. Henri Matine; Notizen eines Malen. Ebenda VII, S. 505. 

Zu Seite 98. Siehe die bereits zitierten Schriften von Bergion und Münsterberg. 

Zu Seite 99. H. Wölfflin: Die klassische Kunst. — D;irer. — Das Problem de« 

Stils in der bildenden Kunst (Sitzungitberichte der kgl. preuß. Akademie der 

Wissenschaften 1913. XXXL) 
Zn Seite 101 . Leo Greiner: Literariachea Echo, VI, i^8~i 19.—' Besprachnng Ton 

Heinrich Manns: Die Jagd nach Liebe. 
Zu Seite lOfl. Th. VoUbehr: Die Neidfiurbe Gelb, Zeitacbrift für Ästhetik, Bd, I» 

S. 355* " • 

Zu Seite 104. Rotonchamp: Gauguin. 
Zn Seite 106. Cahier d*ani<mid*htti, Nr. 4» April 1913. 



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